Anna Dählmann – Biographie

Anna Margarethe Dählmann wird am 18. August 1863 als viertes Kind von Gerhard Gebken und Anna Helene Gebken in Hankhausen bei Rastede geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Oltmann Hinrich Gebken, Johann Gebken und Ahlert Gerhard Gebken und die ältere Schwester von Helene Gebken und Wilhelm Gebken. Daneben hat sie noch einen weiteren Bruder, der im April 1866 kurz nach der Geburt namenlos stirbt.

Im August 1863 nimmt in den USA der in den Grenzstaaten Kansas und Missouri geführte Guerilla-Krieg immer brutalere Formen an. Weitgehend losgelöst vom seit zwei Jahren tobenden Sezessionskrieg liefern sich dort mit den Konföderierten sympathisierende Bushwhacker und die Sklaverei ablehnende Jayhawker erbitterte Gefechte. Um die von Teilen der Bevölkerung unterstützten Bushwhacker zu schwächen, gibt Nordstaaten-General Thomas Ewing Jr. den Befehl, direkte Verwandte der aktiven Kämpfer festzunehmen und an zentralen Orten zu internieren. Am 13. August 1863 kommt es dabei in Kansas City zu einem folgenschweren Zwischenfall: Ein provisorisch zum Gefängnis umfunktioniertes Gebäude stürzt in sich zusammen und begräbt mehr als zehn Frauen unter sich. Dabei stirbt eine Schwester des prominenten Bushwackers William Anderson, eine zweite wird schwer verletzt.

Anderson, damals Mitglied der „Raiders“ des für seine Grausamkeit berüchtigten Partisanenführers William Quantrill, schwört Rache. Zusammen mit Quantrill und rund 450 weiteren Raiders überfällt er im Morgengrauen des 21. August 1863 die überwiegend von Sklaverei-Gegnern bewohnte Stadt Lawrence. Wie im Rausch töten die Angreifer fast 200 Männer und Jungen, sprengen die Bank, plündern die örtlichen Geschäfte und brennen nahezu sämtliche Gebäude nieder. Eines ihrer Hauptziele erreichen sie allerdings nicht: Jayhawker-Kommandeur James Henry Lane, der sich zum Zeitpunkt des Überfalls in Lawrence aufhält, kann im letzten Moment – der Überlieferung zufolge nur mit einem Nachthemd bekleidet – in ein nahegelegenes Maisfeld flüchten und entgeht so dem Massaker.

Die Reaktion General Ewings lässt nicht lange auf sich warten. Am 25. August 1863 ordnet er die Zwangs-Evakuierung von vier Countys in Missouri entlang der Grenze zu Kansas an. Davon betroffen sind zehntausende Zivilisten, die innerhalb von zwei Wochen ihren Wohnort verlassen müssen. Anschließend brennen Nordstaaten-Truppen die verlassenen Orte nieder, zerstören die Ernte auf den Feldern und schlachten das zurückgelassene Vieh, um die Versorgung der Bushwhacker mit Lebensmitteln zu unterbinden. Quantrills Raiders, zu denen auch die Brüder Frank und Jesse James gehören, ziehen sich daraufhin zum Überwintern nach Texas zurück, begehen aber bis zum Ende des Bürgerkriegs im Frühjahr 1865 und teilweise auch noch danach zahlreiche weitere Überfälle und Gräueltaten.

Ein Einwohner von Annas Geburtsort Hankhausen verfolgt die Ereignisse im fernen Nordamerika vermutlich ganz besonders aufmerksam: der Hofbesitzer Hinrich Hillje, dessen jüngere Geschwister Johann, Friedrich und Margarethe schon Anfang der 1850er Jahre nach Texas ausgewandert sind. Obwohl der „Lone Star State“ zu den Verlierern des Krieges gehört, dürften ihm alle drei in ihren Briefen signalisieren, dass das Leben dort bessere Perspektiven bietet als die alte Heimat. Deshalb verkauft Hinrich im Herbst 1868 Hab und Gut und lässt sich nach der Einwanderung über New Orleans mit Ehefrau Almut und fünf Kindern in High Hill nieder, dem Wohnort von Schwester Margarethe und deren Ehemann Diedrich Nordhausen.

Als Hinrich Hillje mit seiner Familie via Bremerhaven die Reise ohne Wiederkehr antritt, leben Anna, ihre Eltern und die bis zu diesem Zeitpunkt geborenen Geschwister bereits nicht mehr in Hankhausen, sondern im vier Kilometer entfernten Nachbarort Leuchtenburg. Der Anlass für den Umzug liegt heute im Dunkeln, aber der Start verläuft eher zwiespältig: Neben dem 1866 am neuen Wohnort namenlos verstorbenem Bruder ist auch der nächstgeborenen Schwester Helene kein langes Leben beschieden: Sie stirbt im November 1869 im Alter von nur zwei Jahren. Im Januar 1871 – kurz vor Ende des Deutsch-Französischen Krieges und der Ausrufung des Deutschen Reiches – macht die Geburt des jüngsten Bruders Wilhelm die Familie komplett.

In Leuchtenburg existiert im ausgehenden 19. Jahrhundert noch kein eigenes Schulgebäude, deshalb besucht Anna entweder in Rastede oder in Neusüdende die Volksschule. Details aus dieser Zeit sind in der Familie nicht mehr bekannt. Gleiches gilt für die ersten Jahre nach Konfirmation und Schulentlassung. Ihren künftigen, sieben Jahre älteren Ehemann Johann Dählmann aus Loy lernt Anna sehr wahrscheinlich über die Verbindung ihres als Schuhmacher arbeitenden Bruders Johann mit Johann Dählmanns Schwester Anna kennen. Die beiden Letztgenannten feiern im April 1883 Hochzeit. Im Mai 1884 heiratet Annas Bruder Ahlert Gerhard, stirbt aber nur vier Monate später im Alter von 23 Jahren. Gut möglich, dass dieser plötzliche Todesfall die Planungen für Annas eigene Hochzeit ein Stück weit nach hinten schiebt: Sie gibt Johann Dählmann am 1. September 1885 in Rastede ihr Ja-Wort, gut elf Monate nach der Beerdigung des Bruders.

Johann Dählmann ist der Erbe eines rund vier Hektar großen Hofes, den er mit seiner verwitweten Mutter Almut Helene bewirtschaftet. Dort bringt Anna in den folgenden Jahren mit Johann (Dezember 1885), Gerhard (Februar 1888), Helene (August 1890) und Heinrich (Februar 1893) vier Kinder zur Welt. Im Mai 1893 tritt dann im Gasthaus von Georg Niemann der Rasteder Gemeinderat zu einer Sitzung zusammen, auf der die von der Großherzoglich Oldenburgischen Staatseisenbahn (GOE) geplante Bahnlinie von Oldenburg nach Brake auf der Tagesordnung steht. Die Trasse soll über Loy führen und wird, wie sich später herausstellt, die Wirtschaftsfläche des Dählmann-Hofes in zwei Hälften teilen.

Eine Entwicklung, die für Anna und Johann natürlich von existenzieller Bedeutung ist. Dennoch rückt sie Anfang 1894 zunächst völlig in den Hintergrund. Denn in den ersten Wochen des neuen Jahres bricht in Loy eine Scharlach-Epidemie aus, die in mindestens einem Fall tödlich endet. Nach der Beerdigung des Opfers, zu der er geladen ist, reicht Johann den Hinterbliebenen die Hand – und überträgt so später die angesichts fehlender Antibiotika hochgefährliche Krankheit auf seine beiden jüngsten Söhne. Gerhard stirbt am 6. März 1894, Heinrich vier Tage später am 10. März.

Der Schmerz, der Anna und Johann nach diesem Schicksalsschlag umgibt, muss unermesslich sein. Doch das Leben geht weiter. Im Herbst 1894 ist Anna wieder schwanger, und die Trassen-Pläne der GOE nehmen immer konkretere Formen an. Am Ende einigen sich beide Seiten auf eine großzügige Entschädigung, die der im April 1895 um Sohn Georg erweiterten Familie den Kauf eines von der Fläche mehr als dreimal so großen Hofes in Neuenkoop (heute: Günter Schwarting) ermöglicht. Für Anna heißt es dadurch Anfang März 1896, sich von ihrer vertrauten Umgebung sowie von Nachbarn, Freunden und Eltern zu verabschieden. Mag die Entfernung zwischen Loy und Leuchtenburg auf der einen und Neuenkoop auf der anderen Seite auch weniger als 30 Kilometer betragen, so schränkt der Umzug vor dem Hintergrund der damals verfügbaren Verkehrsmittel die künftigen gegenseitigen Kontakte doch stark ein.

Viel Zeit, über diesen Umstand nachzugrübeln, dürfte Anna freilich kaum haben. Denn auf sie und Johann wartet auf dem neuen Hof viel Arbeit. Zudem wächst die Familie in den folgenden Jahren mit Adolf (Oktober 1897), Gerhard (Juni 1901) und Heinrich (Mai 1904) um drei weitere Mitglieder. Im Februar 1899 stirbt in Leuchtenburg Vater Gerhard, im Mai 1902 Mutter Anna Helene. In Neuenkoop machen Anna und Johann derweil die Erfahrung, dass sie nun zwar über deutlich mehr Land verfügen, aber dass die Bodenverhältnisse längst nicht so gut sind wie am alten Standort. Sowohl im Frühjahr als auch im Herbst sind die Felder sehr nass, und darüber hinaus tut das allgemein feuchtere Klima der Wesermarsch Annas Gesundheit nicht gut. Vereinzelte Gelenkschmerzen steigern sich schon bald zu einem quälenden Rheuma, wofür ein irgendwann zu Rate gezogener Arzt nur eine sinnvolle Therapie sieht: den erneuten Umzug, vorzugsweise auf die deutlich trockenere Geest.

Eine Empfehlung, die Anna vermutlich anfangs ebenso wenig gefällt wie Johann – zu der es aber angesichts ihrer sich weiter verschlechternden Konstitution keine Alternative zu geben scheint. Die Suche nach einem geeigneteren Standort führt die Familie dann im Frühjahr 1910 nach Lintel, wo ein in etwa gleichgroßer, zuvor von Johann Christian Witte bewirtschafteter Hof (heute: Heiko und Renke Dählmann) zum Verkauf steht. Nicht dabei ist der älteste Sohn Johann: Er absolviert zum Zeitpunkt des Umzugs gerade seinen Militärdienst und erhält anschließend das Angebot, nahe der alten Heimat als Verwalter auf dem durch seine Kornbrennerei überregional bekannten Hof Hilbers in Etzhorn zu arbeiten.

Johann Junior ist denn auch das erste Familienmitglied, um das sich Anna nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs Anfang August 1914 ernsthaft sorgen muss. Im weiteren Verlauf des Krieges werden dann auch noch Georg und Adolf zur Kaiserlichen Armee eingezogen. Am Ende gehört aber glücklicherweise keiner von ihren Söhnen zu den mehr als zweieinhalb Millionen getöteten oder versehrten deutschen Soldaten. Trotzdem dürfte Anna die Jahre von 1914 bis 1918 in eher schlechter Erinnerung behalten – zumal sich ihr Rheuma in dieser Zeit anders als erhofft kaum bessert.

Am Ende des historischen Jahres 1918, das den Deutschen neben der Niederlage im Weltkrieg die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik bringt, leben neben Anna und Johann noch Tochter Helene, Kriegsheimkehrer Georg, die beiden jüngsten Söhne Gerhard und Heinrich sowie Annas 91-jährige Schwiegermutter Almut Helene auf dem Dählmann-Hof. Trotz der wirtschaftlich weiter schwierigen Zeiten gibt es dort in den folgenden Jahren diverse freudige Ereignisse zu feiern – allen voran die Hochzeiten von Georg (August 1921), Johann Junior und Helene (beide im Oktober 1921) sowie die Geburten der Enkelkinder Almut (November 1921), Gerd (Februar 1923) und Hans (März 1923).

Annas letzte Lebensjahre sind weiter von gesundheitlichen Problemen gekennzeichnet. Obwohl gerade erst 60 Jahre alt, kann sie in der Landwirtschaft kaum noch mitarbeiten und beschränkt sich deshalb auf den Haushalt, wo sie von Schwiegermutter Almut Helene – sie stirbt im März 1927 kurz vor ihrem 100. Geburtstag – und dem jüngsten Sohn Heinrich unterstützt wird. Trotzdem dürfte auch für diese Phase gelten, was Ehemann Johann 1934 in seiner Familienchronik zu Papier bringt: Er und Anna hätten „glücklich miteinander gelebt“ und „ich habe es ihr zu verdanken, dass wir so weit gekommen sind“.

Anna stirbt am 28. Januar 1928 durch einen sehr wahrscheinlich mit ihrem Rheuma in Zusammenhang stehenden Herzschlag. Beerdigt ist sie wenige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.