Anna Gröne – Biographie

Anna Katharine Gröne – Rufname Anna – wird am 10. Oktober 1881 als erstes Kind von Heinrich Ernst Sanders und Anna Mathilde Sanders in Hude geboren. Sie ist die ältere Schwester von Heinrich Diedrich Sanders.

Zwei Wochen nach Annas Geburt veröffentlicht die in Rom erscheinende Kinderzeitschrift „Giornale per i bambini“ die 15. Folge von „Pinocchio“. Darin geht es um eine urplötzlich zu Leben erwachte Holzpuppe, die mit ihrem Schöpfer, dem Schnitzer Geppetto, allerhand Abenteuer erlebt. Nach dem Willen des Autors Carlo Collodi soll es die finale Episode sein: Weil Pinocchio extrem arbeitsscheu ist, wiederholt die Schule schwänzt und es zudem (abzulesen an seiner bei Lügen in die Länge wachsenden Nase) mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau nimmt, lässt er ihn von Räubern verfolgen, die ihn schließlich am Ast einer Eiche aufhängen. Damit statuiert Collodi zur Warnung seiner jugendlichen Leserschaft ein Exempel – ähnlich, wie es zuvor in Deutschland bereits Heinrich Hoffmann mit einigen seiner Protagonisten im „Struwwelpeter“ (1844) getan hatte oder Wilhelm Busch mit „Max und Moritz“ (1865).

Doch der selbst nicht zu übermäßigem Fleiß neigende Schriftsteller (ihm wurde die Arbeit an „Pinocchio“ schlicht zu aufwändig) hat sich verrechnet. Nach dem Erscheinen der Episode geht ein Aufschrei durch die Fan-Gemeinde des hölzernen Helden, es hagelt Protestbriefe. Zunächst bleibt Collodi standhaft, doch dann resigniert er und nimmt die Arbeit wieder auf. Am 16. Februar 1882 erscheint Episode 16, in der eine blauhaarige Fee den totgeglaubten Pinocchio in letzter Minute rettet, ihn gesundpflegt und zu Geppetto zurückschickt. Nur fünf Wochen später versucht Collodi erneut, zu einem – dieses Mal offenen – Ende zu kommen. Auf der Suche nach seinem Schützling hat Geppetto in der Zwischenzeit ein Boot gebaut, mit dem er aufs offene Meer hinaussegelt. Vom Ufer aus muss Pinocchio zusehen, wie das Boot von einer großen Welle erfasst wird und kentert. Um den Vater zu retten, stürzt Pinocchio sich mutig in die Fluten, wird aber wie zuvor schon Geppetto von ihnen fortgetragen.

Auch dieser Schluss stellt die Leser nicht zufrieden. Was sie sich wünschen, offenbart sich abermals in zahllosen Zuschriften: Pinocchio soll zu einem echten Jungen aus Fleisch und Blut werden! Collodi gibt sich geschlagen, er nimmt den Erzählfaden ein zweites Mal wieder auf. Zwischen Mai 1882 und Januar 1883 erscheinen neue Episoden, die Pinocchio von der Insel der fleißigen Bienen ins Spielland und über weitere Stationen zusammen mit Geppetto zurück nach Hause führen. Weil er es danach schafft, die zuvor so oft über den Haufen geworfenen guten Vorsätze einzuhalten und mit Fleiß und Hilfsbereitschaft zu glänzen, wacht er eines Morgens tatsächlich als Mensch auf. Eine wundersame Verwandlung, die nun wiederum bei vielen Literatur-Kritikern nicht sonderlich gut ankommt. Dem weit über Collodis Tod (er stirbt im Oktober 1890 kurz vor seinem 64. Geburtstag) hinaus anhaltenden Erfolg der 1883 erstmals gesammelt in Buchform veröffentlichten Geschichte tut das freilich keinen Abbruch.

Die deutsche Übersetzung von „Pinocchio“ erscheint erst 1905 – dass Anna mit Collodis Werk als Kind oder Jugendliche auf irgendeine Art und Weise in Berührung kommt, erscheint deshalb so gut wie ausgeschlossen. Das ist aber auch fast schon die einzige mit dieser Lebensphase verbundene Gewissheit. Denn das Kirchenbuch der Gemeinde Hude gibt über Annas Familienverhältnisse nur sehr spärlich Auskunft: Dokumentiert ist dort neben ihrer Geburt und der Geburt des eingangs genannten, zwei Jahre jüngeren Bruders lediglich die Hochzeit ihrer Eltern im Mai 1880. Vater Heinrich Ernst – 1853 auf dem heutigen Hof von Gerold Neuhaus geboren – stammt aus Lintel, Mutter Anna Mathilde aus Hude. Da Heinrich Ernst Sanders bei allen drei Einträgen als Brinksitzer bezeichnet wird, muss er in der Klostergemeinde Anfang der 1880er Jahre über Grundbesitz verfügen. Danach verschlägt es die Familie aber offenbar nach Grummersort, denn dort sterben laut Aufzeichnungen des Bookholzberger Heimatforschers Klaus Grummer beide Elternteile. Wann genau, ist leider nicht überliefert.

Allem Anschein nach wächst Anna also – möglicherweise mit weiteren Geschwistern – in Grummersort auf und besucht dort die Volksschule. In Grummersort lernt sie sehr wahrscheinlich auch ihren künftigen, wie sie selbst 1881 geborenen und aus dem benachbarten Wraggenort stammenden Ehemann Gerhard Kreye kennen. Nach der im April 1906 gefeierten Hochzeit pachten Anna und Gerhard in Grummersort einen kleinen Hof (heute: Tierheilpraxis Tina Harms). Im April 1910 bringt Anna Tochter Magda zur Welt.

Der Wunsch nach eigenem Grundbesitz erfüllt sich zwei Jahre später. In Reiherholz steht ein Hof (heute: Herbert und Bernd Horstmann) zum Verkauf, der Informationen aus der Familie zufolge auch schon einmal von Annas Eltern oder anderen Verwandten bewirtschaftet worden sein soll. Dorthin siedelt Anna nach dem Kauf mit Gerhard und Magda über. Ihren Bruder Heinrich Diedrich, inzwischen mit Mathilde Punke aus Wraggenort verheiratet, verschlägt es derweil nach Jaderberg, wo er bei der Großherzoglich Oldenburgischen Staatseisenbahn als Weichenwärter Dienst tut.

Das Jahr 1912 bleibt späteren Generationen wohl vor allem durch den Untergang des damals weltgrößten Passagierschiffs „Titanic“ in Erinnerung. Es ist aber auch das Jahr, in dem der Erste Balkankrieg beginnt und sich das Verhältnis zwischen den europäischen Großmächten weiter verschlechtert. Mitten in dieses Spannungsfeld hinein platzt im Juni 1914 die Nachricht von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Die Lunte am Pulverfass brennt plötzlich lichterloh und lässt sich nicht mehr austreten.

Als am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, ist Gerhard Kreye vermutlich von Beginn an dabei. Von einem Tag auf den anderen ist Anna somit alleine für den zuvor gemeinsam bewirtschafteten Hof verantwortlich. Die Hoffnung, nach dem Krieg in ihr altes Leben zurückkehren zu können, zerschlägt sich schon im Februar 1915 – mit der amtlichen Mitteilung, dass Gerhard „in Feindesland den Heldentod fürs Vaterland gestorben“ ist. So wird es später auch in seiner Traueranzeige stehen.

Der auf den Schlachtfeldern und unter der Zivilbevölkerung bis zu 17 Millionen Opfer fordernde Krieg zieht sich mehr als vier Jahre lang hin. Wie Anna diese schwierige Zeit und den unmittelbar auf die deutsche Niederlage folgenden Zusammenbruch des Kaiserreichs konkret erlebt, ist nicht überliefert. Dasselbe gilt für die Umstände, unter denen sie ihren zweiten Ehemann Johann Gröne kennenlernt. Der gelernte Zimmermann stammt aus Neuenkoop, lebt aber bereits seit 1903 in Tweelbäke, wo seine erste Ehefrau Anna Gesine Wiese im Oktober 1918 verstorben ist.

Anna und Johann heiraten am 22. Oktober 1919 in Hude. Die Hochzeit beschert Anna mit Fritz und Heinrich Gröne zwei 1904 und 1906 geborene Stiefsöhne, die fortan mit auf dem einstigen Kreye-Hof leben. Dort kündigt sich schon bald neuer Nachwuchs an: Im Juni 1920 kommt Annas zweites leibliches Kind Hermann Adolf zur Welt. Noch bevor das unter anderem vom Kapp-Putsch und mehreren Volksabstimmungen im Rahmen des Versailler Vertrags geprägte Jahr zu Ende geht, heißt es jedoch bereits wieder Abschied nehmen: Im November 1920 stirbt Hermann Adolf an der gefürchteten „Brustkrankheit“ – im Allgemeinen ein Synonym für die noch immer nicht besiegte Volkskrankheit Tuberkulose.

Ein erneuter Schicksalsschlag für Anna, der sie vermutlich hart trifft. Mit der sich rasch zur Hyperinflation steigernden Geldentwertung wartet auf sie und ihre Familie bereits die nächste Herausforderung. Erst Anfang 1924 beruhigt sich die wirtschaftliche Lage etwas. Eine Normalisierung, die die 1929 in den USA ausbrechende Weltwirtschaftskrise aber schnell wieder zunichtemacht. Als auch in Deutschland die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe schnellt und die noch immer wenig gefestigte Demokratie die Probleme nicht in den Griff bekommt, schlägt die Stunde der Demagogen: Bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 versiebenfachen die Nationalsozialisten um Adolf Hitler ihren Stimmenanteil auf 18,3 Prozent, bei den Wahlen vom 31. Juli 1932 steigen sie mit 37,3 Prozent zur stärksten Partei auf. Im Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler dann zum Reichskanzler.

Auf Annas Hof stehen in dieser kritischen Übergangsphase von der liberalen Weimarer Republik zum totalitären NS-Staat Hochzeitsvorbereitungen im Vordergrund: Tochter und Grunderbin Magda, seit September 1932 mit Johann Hobbiebrunken aus Halsbek verlobt, heiratet im Mai 1933. Im Januar 1937 wird Anna durch die Geburt von Enkelin Änne Großmutter. Sie und Ehemann Johann sind zwar nach wie vor in die Bewirtschaftung des Hofes eingebunden, überlassen aber in die Zukunft gerichtete Entscheidungen – etwa den Kauf von einigen Hektar zusätzlichen Landes oder den 1937 beginnenden Bau eines neuen Wohnhauses – mehr und mehr der nachfolgenden Generation.

Der von den Nationalsozialisten mit dem Überfall auf Polen begonnene Zweite Weltkrieg weckt in Anna vermutlich dunkle Erinnerungen und möglicherweise auch böse Vorahnungen. Tatsächlich wird ihr stilles Flehen, Tochter Magda möge es anders ergehen als ihr selbst 25 Jahre zuvor, nicht erhört: Schwiegersohn Johann fällt im September 1942 in der Nähe von Leningrad, Magda ist von da an ebenfalls eine Kriegerwitwe. Kurz vor der Kapitulation der Wehrmacht erwischt es im März 1945 auch noch Stiefsohn Heinrich.

Die ersten Nachkriegsjahre sind für Anna ähnlich schwierig wie für nahezu alle Deutschen – mag die Situation in ihrem ländlichen Umfeld auch nicht ganz so katastrophal sein wie in den von Hunger und Wohnungsnot geplagten Großstädten. Mit vereinten Kräften halten sie, Johann und Magda die Landwirtschaft am Laufen; unterstützt von mehreren Flüchtlings-Familien, die bis Mitte der 1950er Jahre auf dem Hof unterkommen. An eine große oder gar ausgelassene Feier ihres 70. Geburtstages im Oktober 1951 ist deshalb trotz inzwischen wieder etwas besserer Wirtschaftslage in der zwei Jahre zuvor gegründeten Bundesrepublik nicht zu denken.

Im April 1956 verliert Anna nur wenige Wochen nach dessen 80. Geburtstag Ehemann Johann. In den folgenden Jahren erlebt sie zwar noch die Verlobung von Enkelin Änne mit Herbert Horstmann aus Bäke, nicht aber deren Hochzeit im Mai 1960. Anna stirbt am 29. November 1959 und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.