Diedrich Gerhard Hinrich Schwarting wird am 5. Januar 1887 als zweites Kind von Bernhard Heinrich Schwarting und Anna Schwarting in Lintel geboren. Er ist der jüngere Bruder von Sophie Grummer und der ältere Bruder von Heinrich Friedrich Schwarting, Friedrich Schwarting und Johanne Dählmann.
Einen Tag vor Diedrichs Geburt verurteilt das Aachener Landgericht den Arzt und Unternehmer Heinrich Oidtmann wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 200 Mark. Der Herausgeber der Zeitschrift „Impfgegner“ gehört zu den prominentesten Gegnern der 1874 zum Gesetz erhobenen Pocken-Impfpflicht und polemisiert seit Jahren gegen den Mikrobiologen Robert Koch – bis letzterer sich im Herbst 1886 juristisch zur Wehr setzt. Neben der Geldstrafe muss Oidtmann auch die Kosten des Verfahrens tragen.
Das Reichs-Impfgesetz vom 8. April 1874 geht auf den drei Jahre zuvor beendeten Deutsch-Französischen Krieg zurück. In dessen Folge waren zahlreiche französische Kriegsgefangene auf deutschen Boden gelangt und hatten die Pocken eingeschleppt. Die daraufhin im neu gegründeten Deutschen Reich ausgebrochene Epidemie kostete bis Ende 1872 schätzungsweise bis zu 170.000 Zivilisten das Leben. Um künftige Ausbrüche zu vermeiden, müssen vom genannten Datum an alle Deutschen ihre Kinder im Alter von einem Jahr und noch einmal mit zwölf Jahren gegen die Seuche impfen lassen – wie es beispielsweise in Bayern bereits seit dem frühen 19. Jahrhunderts Pflicht ist. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldbußen, vereinzelt sprechen Gerichte auch Haftstrafen aus. In Preußen rückt mitunter sogar Polizei an, um die Impfpflicht durchzusetzen. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten: Ab 1875 sinkt die Zahl der Pocken-Toten massiv.
Heinrich Oidtmann, der in der Nähe von Aachen einen überregional tätigen Glasmal-Betrieb führt und nebenbei als Landarzt praktiziert, können derartige Statistiken freilich nicht überzeugen. Er hält sie für manipuliert und verteufelt die Impfung als staatlichen Angriff auf die Gesundheit: Wen die bewusste Infektion mit Kuhpocken-Viren nicht gleich töte, den mache sie auf lange Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Siechen oder zum Krüppel. Und zwar ohne jede Notwendigkeit, denn Pocken werden seiner Überzeugung zufolge durch Schafswolle und daraus hergestellte Textilien übertragen. Mithin sei es ein Leichtes, künftige Epidemien auch ohne Impfen zu verhindern.
Wissenschaftlich sind derartige Thesen durch keinerlei Fakten gedeckt. Trotzdem schüren sie in der Bevölkerung Misstrauen, das mit jedem weiteren der vereinzelt immer wieder vorkommenden Impfschäden neue Nahrung erhält. Es existieren freilich auch seriösere Vorbehalte gegen die staatlich verordnete Impfpflicht – beispielsweise jenen, dass Reiche sich von ihr freikaufen können, Ärmere jedoch nicht. Letztlich ein Streit, der über alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Lager hinweg noch über viele Jahre weitertobt.
Ob dieser Streit in Diedrichs Geburtsort Lintel jemals aufflammt, ist nicht überliefert – ebenso wenig, wann dort zum letzten Mal Pocken aufgetreten sind. Eine ungleich größere Bedrohung stellt in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts zweifellos die allgegenwärtige Tuberkulose dar, gegen die es noch keinen Impfschutz gibt. Diedrichs Familie scheint davon allerdings nicht ernsthaft betroffen zu sein. Zumindest erreichen neben ihm auch alle vier Geschwisterkinder das Erwachsenenalter, was zur damaligen Zeit durchaus nicht selbstverständlich ist.
Diedrich wächst auf einem heute von Georg Hollmann bewirtschafteten Hof auf, den seine aus der Gemeinde Ganderkesee stammenden Eltern 1883 unmittelbar nach ihrer Hochzeit bezogen haben. Zum damaligen Zeitpunkt gehört er Bernhard Friedrich Schwarting, dem Onkel seines Vaters. Schon für 1890 nennt die Linteler Chronik von Walter Janßen-Holldiek jedoch Diedrichs Vater als neuen Eigentümer. Der Übergang kann nur durch Verkauf erfolgt sein, denn aus der Ehe von Bernhard Friedrich Schwarting mit der ursprünglichen Hoferbin Anna Gesina Schröder gehen insgesamt acht Kinder hervor, von denen 1890 fünf noch am Leben und somit erbberechtigt sind. Die genauen Hintergründe für den Verkauf liegen mehr als 130 Jahre danach jedoch im Dunkeln.
Drei Jahre nach Diedrichs Einschulung in die Volksschule Lintel kommt es noch einmal zu einem Ortswechsel. Seine Eltern verkaufen ihr gerade erst erworbenes Eigentum an Heinrich Hollmann und siedeln Anfang Mai 1896 mit vier Kindern – die jüngste Tochter Johanne wird drei Wochen später geboren – auf eine im Gegenzug gekaufte Hofstelle in Hurrel über (heute: Heiko und Anieka Schwarting). Trotz des Umzugs besucht Diedrich zunächst weiter seine gewohnte, von beiden Dörfern gemeinschaftlich betriebene Schule. Aus Hurrel gehören dort neben dem nur etwas mehr als anderthalb Jahre jüngeren Bruder Heinrich Friedrich unter anderem Gerhard Heinemann, Friedrich Lange, Johann Mönnich und Friedrich Wilkens zu seinen in etwa gleichaltrigen Klassenkameraden.
Als 1897 in Hurrel gegenüber dem Gasthof von Carl Busch (heute: Hajo und Dagmar Mehrings) eine eigene Dorfschule ihre Tore öffnet, verkürzt das Diedrichs Schulweg von drei Kilometer auf nur noch einen Kilometer. Geschenkte Zeit, die auf dem elterlichen Hof sicher gerne gesehen ist: Dort nämlich haben Bernhard und Anna Schwarting alle Hände voll damit zu tun, den etwas mehr als 35 Hektar umfassenden, weitgehend aus Heide bestehenden Besitz urbar zu machen. Aus 1940 zu Papier gebrachten Erinnerungen von Diedrichs Bruder Heinrich Friedrich ist überliefert, dass er und seine Geschwister in den Anfangsjahren Nachmittag um Nachmittag damit verbringen, Steine von den Feldern zu sammeln.
Tut sich Diedrich als ältester Sohn bei den Kultivierungs-Arbeiten besonders hervor? In jedem Fall genießt er die besondere Sympathie seiner Mutter, die ihn entgegen des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts frühzeitig zum Hoferben bestimmt. Nach Schulabschluss und Konfirmation bleibt Diedrich deshalb anders als seine den Lehrerberuf anstrebenden Brüder auf dem Hof und ist 1911 sehr wahrscheinlich bereits federführend an der ersten größeren Neubau-Maßnahme beteiligt, der Verlängerung des ursprünglich 22 Meter langen Wirtschaftsgebäudes auf 33 Meter.
Der 1914 ausbrechende Erste Weltkrieg wirft zunächst alle weiteren Expansionspläne für die Landwirtschaft über den Haufen. Diedrich wird im Laufe des Jahres 1915 zur kaiserlichen Armee eingezogen und zunächst an der Ostfront eingesetzt. Später geht es dann an die Westfront, wo am 11. November 1918 der Waffenstillstand von Compiègne den vier Jahre lang als mörderischen Grabenkrieg geführten Konflikt beendet. Als für die deutsche Seite Staatssekretär Matthias Erzberger seine Unterschrift unter das historische Dokument setzt, befindet sich Diedrich gerade auf Heimaturlaub. Kaiser Wilhelm II. flüchtet derweil ins niederländische Exil. In Berlin hatten zwei Tage zuvor zunächst Philipp Scheidemann (MSPD) und kurz danach auch Karl Liebknecht (USPD) die Republik ausgerufen.
Zwei Wochen vor den ersten Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 wird Diedrich 32 Jahre alt. Höchste Zeit also, wie seine beiden Brüder und die schon seit 1906 verheiratete Schwester Sophie eine Familie zu gründen. Diedrichs künftige, 1894 in Lintel geborene Ehefrau Annchen Hollmann stammt von jenem Hof, auf dem Diedrich seine ersten Lebensjahre verbracht hat – sie ist die älteste Tochter von Heinrich Hollmann, dem Käufer des einstigen Schwarting-Besitzes.
Aus der am 22. Oktober 1920 in Hude geschlossenen Ehe gehen mit Anneliese (August 1921), Heinrich (Februar 1923), Bernhard (April 1924) und Gisela (Juli 1925) insgesamt vier Kinder hervor. Alles in allem keine einfache Zeit: Im April 1922 stirbt nach längerer Krankheit Diedrichs Vater, danach steigert sich die mehr und mehr außer Kontrolle geratene Geldentwertung im zweiten Halbjahr 1923 zur Hyperinflation. Trotzdem geht es auf dem Schwarting-Hof weiter voran: Dank des zunehmenden Einsatzes von Kunstdünger gelingt es Diedrich und Annchen noch vor Ende des Jahrzehnts, die nötigen Kultivierungsarbeiten bis auf einen Rest von fünf Hektar abzuschließen. Sie stocken zudem den Viehbestand auf und errichten neben einem kombinierten Kälber- und Pferdestall inklusive Scheune auch einen neuen Schweinestall.
In der Mitte der 30er Jahre anstehenden Frage der Hof-Nachfolge herrscht in der Familie rasch Einigkeit: Bernhard, als jüngster Sohn eigentlich erbberechtigt, wechselt 1937 von der Volksschule auf das Graf-Anton-Günther-Gymnasium in Oldenburg und strebt wie seine beiden Onkel die Lehrer-Laufbahn an. Damit ist der Weg frei für Heinrich, der nach Schulabschluss und Konfirmation eine landwirtschaftliche Ausbildung beginnt. Auf dessen Mithilfe im Betrieb kann Diedrich danach allerdings zunächst nicht bauen: Im September 1939 beginnt der von den Nationalsozialisten vom Zaun gebrochene Zweite Weltkrieg, zu dem Heinrich noch vor dem offiziellen Ende seiner Ausbildung einberufen wird. Er kehrt Ende 1941 schwer verletzt mit einer Bein-Prothese aus dem Russland-Feldzug zurück – und hat damit immerhin mehr Glück als Bruder Bernhard, der 1944 in Belgien fällt.
Kurz vor Kriegsende schlägt das Schicksal auf dem Schwarting-Hof noch einmal zu: Am 25. April 1945 legen englische Tiefflieger einen Großteil der Gebäude in Schutt und Asche. Diedrich und Annchen finden zunächst Aufnahme bei ihrem Nachbarn Heinrich Tönjes und leben danach bis zum kompletten Wiederaufbau im Herbst 1948 in einer provisorisch aufgestellten ehemaligen Wehrmachts-Baracke.
Bald nach Heinrichs Hochzeit mit Hanna Blankemeyer im Juni 1950 treten Diedrich und Annchen auf dem weiter wachsenden Betrieb ins zweite Glied zurück. In die tägliche Hofarbeit bleiben sie aber natürlich eingebunden, auch wenn Diedrich nach einem Ende der 50er Jahre erlittenen Unfall – er gerät in einem unachtsamen Moment in den Antriebsriemen der hofeigenen Getreidemühle und erleidet dabei diverse Quetschungen – nur noch eingeschränkt mobil ist. An allen die Landwirtschaft betreffenden Fragen bleibt er gleichwohl brennend interessiert, ebenso am politischen Weltgeschehen und nicht zuletzt an seinem größten Hobby, dem Pferdesport. Darüber kann er mit seinen wie er selbst lange Jahre im Reiterverein Sandersfeld aktiven Freunden Heinrich Tönjes und Johann Haverkamp stundenlang debattieren – am liebsten am Sonntagmorgen bei einer guten Zigarre in der Küche des Schwarting-Hofes.
Am 30. Januar 1972 – 15 Monate nach seiner im Gasthof von Bodo und Ursel Mehrings gefeierten Goldenen Hochzeit mit Annchen – gehört ein im Fernsehen übertragenes Pferdesport-Ereignis zu den letzten Eindrücken, die Diedrich aus seinem irdischen Dasein mitnimmt: Als er sich nach nach dem Ende der Sendung zu einem kurzen Schläfchen zurückzieht, wacht er nicht mehr auf. Beerdigt ist Diedrich vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.