Heinrich Georg Diedrich Ahrens wird am 16. Juni 1889 als drittes Kind von Hermann Ahrens und Gesine Sophie Ahrens in Hiddigwarden bei Berne geboren. Er ist der jüngere Bruder von Johann Hinrich Ahrens und Johann August Ahrens.
In den Wochen um Heinrichs Geburt unternimmt Persiens Machthaber Nasreddin Schah seine dritte Europa-Reise. Sie führt ihn gleich zweimal nach Deutschland, wo Kaiser Wilhelm II. den hohen Staatsgast am 11. Juni zu einem feierlichen Bankett im Berliner Schloss empfängt. Nach dem Besuch diverser Sehenswürdigkeiten der Reichshauptstadt wie dem Aquarium Unter den Linden, der Museumsinsel und dem Zoologischen Garten reist Nasreddin nach Essen, wo am 16. Juni eine Führung durch die Krupp-Werke auf dem Programm steht. Per Sonderzug geht es dann über Amsterdam zur Anfang Mai eröffneten Weltausstellung nach Paris. Auf dem Rückweg macht Nasreddin noch im Großherzogtum Baden Station, bevor er schließlich über Wien die Heimfahrt nach Teheran antritt.
Von deutscher Seite verbinden sich mit dem Besuch nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Interessen. Die jedoch abermals enttäuscht werden. Zwar gab es in der Vergangenheit – etwa 1868 für den Bau der indo-europäischen Telegrafenlinie durch Siemens & Halske – den ein oder anderen Großauftrag. Insgesamt droht Persien jedoch seit dem Amtsantritt Nasreddins im September 1848 mehr und mehr unter britischen und russischen Einfluss zu geraten. Dies verstärkt sich nach der jüngsten Europa-Reise eher noch, als Nasreddin im Frühjahr 1890 das Monopol für die Herstellung sowie den Kauf und Verkauf von Tabak in britische Hände gibt. Eine Entscheidung, die im eigenen Land auf massiven Widerstand stößt: Weil sie sich zu Landarbeitern einer ausländischen Firma degradiert sehen, stecken die bis dahin unabhängig produzierenden persischen Tabak-Anbauer reihenweise ihre Ernte in Brand, während gleichzeitig viele Händler um ihre Existenz fürchten.
Um einen Aufstand zu verhindern, muss Nasreddin seine Zusagen an die Investoren zurücknehmen und diese aus der Staatskasse abfinden. Das versetzt der ohnehin angeschlagenen Wirtschaft des Landes einen weiteren Dämpfer und verstärkt die Unzufriedenheit im eigenen Volk. Am 1. Mai 1896 beendet daraufhin eine von dem politischen Aktivisten Mirza Reza Kermani abgefeuerte Pistolenkugel Nasreddins 48-jährige Regierungszeit.
Zum Zeitpunkt des Attentats ist Heinrich in seiner zum Großherzogtum Oldenburg gehörenden Heimat bereits Halbwaise. Mutter Gesine Sophie und auch sein Bruder Johann August sind 1894 im Abstand von nur sieben Wochen der Volksseuche Tuberkulose zum Opfer gefallen. Für Heinrich, seinen als Heuermann arbeitenden Vater Hermann und den sechs Jahre älteren Bruder Johann Hinrich ganz sicher keine einfache Zeit. Ob alle drei im Mai 1896 noch in Hiddigwarden leben oder bereits rund 15 Kilometer weiter südwestlich in Lintel, liegt heute im Dunkeln. In Lintel nämlich gibt es mit Gesine Drieling eine verwitwete Hofbesitzerin, die männliche Hilfe sehr gut gebrauchen kann und die Hermann Ahrens sehr wahrscheinlich noch aus jener Zeit kennt, als sie mit ihrem verstorbenen Ehemann Adam Drieling selbst noch in der Wesermarsch zuhause war.
Spätestens ein Jahr darauf ist der Umzug jedoch vollzogen: Im Mai 1897 heiraten Gesine Drieling und Hermann Ahrens, Heinrich bekommt dadurch mit dem Drieling-Hof (heute: Gerhard Sedlaczek und Frank Peters) ein neues Zuhause und mit Gesines Tochter Martha eine nahezu gleichaltrige Stiefschwester. Mit ihr besucht er zunächst die alte und von November 1897 an die neue Linteler Volksschule, wo unter anderem Georg Hoffrogge und Carl Heinrich Rodiek zur gemeinsamen Jahrgangsstufe gehören.
Die kaum behandel- geschweige denn heilbare Tuberkulose stellt in jenen Jahren eine stete Gefahr dar. Sie kann letztlich jeden treffen und schlägt in Heinrichs Familie mit dem Tod von Bruder Johann Hinrich im Januar 1901 noch ein drittes Mal zu. Stiefmutter Gesine wiederum erkrankt bald darauf an Magenkrebs, der sie vier Jahre später ebenfalls viel zu früh das Leben kostet. Neben Heinrich bleiben so lediglich Vater Hermann und Stiefschwester Martha zurück. Grunderbin des rund sieben Hektar großen Hofes ist Martha – Heinrich dürfte deshalb frühzeitig bewusst sein, dass er seinen Lebensunterhalt früher oder später andernorts wird verdienen müssen. Bald nach der Einheirat von Hinrich Wilkens aus Hurrel geht er deshalb auf dem nahegelegenen Hof von Johann Gerhard Nutzhorn (heute: Rainer und Stefanie Logemann) in Stellung.
Ob Heinrich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 bereits mit Lucie Timmermann aus Grummersort befreundet ist, lässt sich mehr als 100 Jahre später nicht mehr mit Bestimmtheit sagen – ebenso wenig, wann er zur kaiserlichen Armee eingezogen wird und an welche Orte es ihn im Rahmen seines Kriegsdienstes verschlägt. Überliefert ist lediglich, dass Heinrich und Lucie im Dezember 1917 heiraten und Lucie im September 1918 den gemeinsamen Sohn Heinrich Junior zur Welt bringt. Nach Kriegsende bezieht die junge Familie dann eine Wohnung am Uhlhornsweg in Oldenburg. Dort kommen drei weitere Kinder hinzu, von denen aber lediglich der im Juni 1921 geborene Sohn Arthur das Säuglingsalter übersteht.
Die Perspektiven, es einer vierköpfigen Familie an möglichst wenig fehlen zu lassen, sind Anfang der 1920er Jahre in der unter den Folgen des verlorenen Krieges leidenden Weimarer Republik denkbar bescheiden. Dafür sorgt schon die sich nach der Ruhrbesetzung zur Hyperinflation auswachsende Geldentwertung, die vielen Bürgern den Alltag zum Alptraum werden lässt. Verständlich, dass Heinrich und Lucie nach Auswegen suchen und dass dabei der Gedanke an eine Auswanderung immer konkretere Formen annimmt. Das auserkorene Ziel heißt jedoch nicht Nordamerika, wohin es in den Jahrzehnten zuvor schon zigtausende Oldenburger gezogen hat. Stattdessen lockt der südliche Teil des Kontinents und dort konkret Brasilien.
Heinrich und Lucie werden die nordamerikanische Alternative zumindest in Erwägung gezogen und sich ihre Entscheidung gewiss nicht leichtgemacht haben. Dass das Pendel am Ende für Brasilien ausschlägt, ist jedoch weniger überraschend als es im ersten Moment anmuten mag. Denn die USA sind schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts bemüht, die zuvor fast ungebremste Einwanderung aus der Alten Welt einzudämmen. Anfangs vor allem auf osteuropäische Länder zielende Restriktionen gelten dabei längst auch für den einstigen Kriegsgegner Deutschland. Die Zeiten, in denen es beispielsweise wie mit „Little Germany“ in New York ganze von Deutschen besiedelte Stadtteile gab, gehören zudem definitiv der Vergangenheit an. Wer in den 1920er Jahren in die USA einwandert, muss bereit sein, sich anzupassen und die deutsche Identität mehr oder weniger aufzugeben.
Zwar wächst nach dem Ersten Weltkrieg auch in Brasilien der Assimilierungs-Druck auf ausländische Einwanderer, unter denen Deutschstämmige seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine der größten Gruppen stellen. Noch ist das System der eigenständigen Kolonien mit deutschsprachigen Zeitungen und Kultur-Angeboten jedoch weitgehend intakt. Das spricht zwischen Konstanz und Königsberg viele Auswanderungswillige an. Hinzu kommt, dass auch staatliche Behörden wie das 1919 gegründete Reichsamt für deutsche Einwanderung, Rückwanderung und Auswanderung den Strom in diese Richtung zu lenken versuchen. Dahinter steht unter anderem die Vorstellung, dass nicht-assimilierte Deutsche im Ausland bevorzugt deutsche Waren nachfragen und so den Export ankurbeln. Von den Mitarbeitern des Amtes muss sich zwischen 1919 und 1924 jeder Deutsche beraten lassen, der einen Auswanderungsantrag stellt.
Als die Entscheidung steht, geht vermutlich alles ganz schnell. Heinrich, Lucie und die beiden Söhne verabschieden sich von ihren Freunden und Verwandten und besteigen irgendwann im Jahre 1923 ein Auswandererschiff Richtung Brasilien. Dort treffen sie auf Gerhard und Helene Borchers, deren Tochter Hermine etwa im gleichen Alter wie Heinrich Junior ist. Beide Familien freunden sich während der Fahrt an und reisen zunächst auch gemeinsam über Land weiter. Dann allerdings trennen sich die Wege: Während Gerhards und Helenes Ziel die 1850 von dem deutschen Apotheker Hermann Blumenau gegründete Stadt Blumenau ist, haben sich Heinrich und Lucie für die knapp 100 Kilometer weiter nördlich gelegene, damals knapp 45.000 Einwohner zählende Stadt Joinville entschieden.
Auch Joinville ist überwiegend von Deutschen besiedelt, die ersten von ihnen kamen ebenfalls um 1850 ins Land. Ein Umfeld, in dem sich Heinrich und Lucie schnell heimisch fühlen: Sie kaufen etwas außerhalb der Stadt auf einem Berg eine kleine Farm und betreiben dort in erster Linie Viehzucht. In dieser Zeit wird Heinrich noch einmal Vater: Im Oktober 1928 bringt Lucie Tochter Hilda zur Welt – und hat einige Jahre später das Glück, eine durch ein Missgeschick beim Nähen ausgelöste Blutvergiftung ohne bleibende Schäden zu überstehen. Erzählungen aus der Familie zufolge liegt sie sechs Wochen lang in einem Hospital, bis endgültig feststeht, dass sie um eine Amputation des betroffenen Armes herumkommt.
Schon bald nach diesem Vorfall verkaufen Heinrich und Lucie ihre Farm und ziehen in die Nähe der direkt am Atlantik liegenden Provinz-Hauptstadt Florianópolis. Landschaftlich – ihr neues Farmhaus steht auf Beton-Stelzen, unter denen höchst malerisch Wasser hindurchfließt – und wirtschaftlich definitiv ein Aufstieg. Davon losgelöst fühlt sich die Familie jedoch in Brasilien zunehmend unwohl. Schuld ist ein Militärputsch, durch den im Oktober 1930 der zuvor bei den regulären Wahlen gescheiterte Präsidentschaftskandidat Getúlio Vargas an die Macht gelangt. Unter seiner Regierung erlebt Brasilien zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung, doch innenpolitisch verfolgt Vargas einen strikt nationalistischen Kurs und zwingt so zum Beispiel alle Deutsch-Brasilianer, Portugiesisch zu sprechen. Deutsche Schulen werden ebenso verboten wie deutsche Predigten in den Kirchen.
Als erstes Familienmitglied zieht der jüngere Sohn Arthur die Konsequenzen aus dieser Entwicklung, er kehrt Ende der 1930er Jahre nach Deutschland zurück und wird dort prompt zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Ob ihm und auch seinen Eltern sowie den anderen Geschwistern bewusst ist, wie radikal sich das Land seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 verändert hat und dass in Europa womöglich ein neuer Krieg droht? Darüber lässt sich nur spekulieren. In jedem Fall beschließen Heinrich und Lucie ungeachtet aller vielleicht vorhandenen Bedenken im Laufe des Jahres 1939, ihre Farm zu verkaufen und Arthur zu folgen.
Wieder in Oldenburg angekommen, wohnt die Familie zunächst bei Lucies Schwester Rebecca Gras und ihrem Ehemann Bernhard in Ofenerdiek. Dann beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg, woraufhin Arthur und wenig später auch Heinrich Junior zur Wehrmacht eingezogen werden. Heinrich findet derweil eine Anstellung bei der Reichsbahn. Daneben hilft er aber auch wieder regelmäßig auf dem Hof seiner mittlerweile verwitweten Stiefschwester Martha in Lintel aus, deren Sohn Benno ebenfalls Kriegsdienst leisten muss.
Auf der Suche nach einem eigenen Domizil werden Heinrich und Lucie in Osternburg fündig. Sie kaufen in der Schützenhofstraße ein Zwei-Familien-Haus, dessen eine Hälfte zunächst noch von einem älteren Ehepaar bewohnt wird. An den Tag des Einzugs kann sich Tochter Hilda zeitlebens gut erinnern: Es ist der 22. Oktober 1940, wenige Tage später feiert sie ihren zwölften Geburtstag.
Überrollt die Wehrmacht 1940 und 1941 noch halb Europa, so zeichnet sich spätestens nach der Anfang 1943 verlorenen Schlacht von Stalingrad ab, dass der Krieg aus deutscher Sicht abermals mit einer Niederlage enden wird. Heinrichs und Lucies Söhne kommen dabei vergleichsweise glimpflich davon: Arthur gerät nach der Landung der Alliierten in der Normandie in amerikanische Gefangenschaft und verbringt die letzte Phase des Krieges in einem Lager in Großbritannien. Nach der Freilassung bleibt er in England, heiratet und wandert später mit Ehefrau Kathleen und drei Kindern nach Ontario aus. Heinrich Junior wiederum kehrt nach Oldenburg zurück und heiratet dort seine Schiffspassagen-Spielgefährtin Hermine Borchers, deren Eltern Brasilien schon Anfang der 30er Jahre den Rücken gekehrt hatten. Die 1947 aus dieser Verbindung hervorgehende Tochter Inka ist Heinrichs und Lucies erstes Enkelkind.
Ingrid und Christa, die 1952 und 1953 geborenen Kinder von Tochter Hilda und ihrem Ehemann Günter Kubale, wachsen in den 50er und 60er Jahren mit ihren Eltern im Zwei-Familien-Haus der Großeltern auf. Ihnen und seinem liebevoll gepflegten Garten widmet Heinrich als Rentner viel Zeit. Obwohl Stiefschwester Martha bereits 1951 im Alter von nur 62 Jahren verstorben ist, hält er bis ins hohe Alter engen Kontakt zu deren Kindern und Enkeln. An den Teil seiner Jugend, den er vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Lintel verbracht hat, denkt er auch in dieser späten Phase seines Lebens gern zurück. Den Wunsch, mit Lucie noch einmal Brasilien zu besuchen oder andere ferne Länder zu entdecken, verspürt er hingegen nie: Die weiteste Reise, die er nach 1940 unternimmt, führt ihn für einige Tage in die Lüneburger Heide.
Heinrich stirbt am 26. April 1971, kurz vor seinem 82. Geburtstag. Beerdigt ist er vier Tage später auf dem Städtischen Friedhof Kreyenbrück.