Hinrich Johann Lampe wird am 11. März 1914 als neuntes Kind von Hinrich Lampe und Mathilde Lampe auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Hans-Hermann und Wilma Vink) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Heinrich Lampe, Hermann Lampe, Sophie Plomp, Martha Vink, Georg Hinrich Lampe, Klara Schiller, Hermanda Blank und Alma Lampe und der ältere Bruder von Lina Lampe.
Fünf Tage nach Hinrich Johanns Geburt löst in Frankreich ein kaltblütig begangener Mord den größten politischen Skandal seit der Dreyfus-Affäre aus. Am frühen Abend des 16. März 1914 betritt Henriette Caillaux, Ehefrau des französischen Finanzministers Joseph Caillaux, das Verlagsgebäude der Pariser Tageszeitung „Le Figaro“ und verlangt deren Chefredakteur Gaston Calmette zu sprechen. Kaum zu ihm geführt, zückt sie einen Revolver und feuert mehrere Schüsse auf ihn ab. Einer davon zerfetzt eine innere Arterie, so dass Calmette kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus stirbt. Henriette Caillaux lässt sich derweil seelenruhig von der an den Tatort eilenden Polizei verhaften. Am folgenden Tag tritt Ehemann Joseph von seinem Amt als Finanzminister zurück und organisiert ihre Verteidigung vor Gericht.
Dem Mord geht eine wochenlange Kampagne des konservativen „Figaro“ gegen Joseph Caillaux voraus. Das prominente Mitglied der Parti radical macht sich seit Jahren für die Einführung einer Einkommensteuer stark und wirbt parallel dazu um eine Verständigung mit dem als Erbfeind geltenden Deutschen Reich. Beides ist Calmette ein Dorn im Auge. Um Caillaux politisch noch weiter in die Defensive zu drängen, droht Calmette offenbar damit, ihm von einem Informanten zugespielte, von Henriette Caillaux an ihren Ehemann gerichtete Liebesbriefe zu veröffentlichen – geschrieben zu einem Zeitpunkt, als beide noch mit anderen Partnern verheiratet waren und heimlich eine Affäre unterhielten. Zu dieser Veröffentlichung kommt es nach dem Anschlag selbstverständlich nicht mehr.
Für den am 20. Juli 1914 beginnenden Strafprozess engagiert Joseph Caillaux den prominenten Anwalt Fernand Labori, der 1906 die vollständige Rehabilitierung des unschuldig wegen Landesverrats verurteilten Offiziers Alfred Dreyfus erreicht hatte. Tatsächlich holt Labori abermals einen Freispruch heraus: Er überzeugt die Geschworenen, dass Henriette Caillaux sich zum Zeitpunkt der Tat in einer „akuten seelischen Notlage“ befunden habe und anschließend das Opfer „unkontrollierbarer weiblicher Emotionen“ geworden sei.
Als die Richter ihr Urteil am 28. Juli 1914 verkünden, zieht ein Sturm der Entrüstung durchs Land und verstellt vielen Franzosen für einen Moment den Blick dafür, welche Gefahr ihnen durch die seit Wochen schwelende, auf die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo folgende Juli-Krise droht. Noch am selben Tag erklärt Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg und beschwört damit außer in Russland und Deutschland auch in Frankreich eine Generalmobilmachung herauf. Zur Mäßigung aufrufende Stimmen gibt es nach den tödlichen Schüssen eines französischen Nationalisten auf Jean Jaurès – neben Joseph Caillaux einer der wenigen einflussreichen Kritiker des unter Politikern und Militärs weit verbreiteten Revanchismus-Gedankens – in Paris nicht mehr, und angesichts des außer Kontrolle geratenen Wechselspiels von Aktion und Reaktion beginnt am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg.
Als Säugling nimmt Hinrich Johann in Lintel von all den beschriebenen Ereignissen natürlich nichts wahr. Erst einige Monate vor seinem fünften Geburtstag dürfte ihm angesichts des im November 1918 geschlossenen Waffenstillstands von Compiègne dämmern, dass Krieg zwischen den Völkern keineswegs der Normalzustand ist. Die schon während des Krieges herrschende wirtschaftliche Not begleitet ihn und seine Familie jedoch auch in den folgenden Jahren: Vater Hinrich, bei Kriegsausbruch bereits 44 Jahre alt und deshalb 1914 wohl von einer Einberufung verschont geblieben, muss mit seinem nur rund vier Hektar großen Hof insgesamt neun heranwachsende Kinder versorgen – Hinrich Johanns Bruder Georg Hinrich ist 1906 nur sechs Monate alt an Brechdurchfall verstorben – und arbeitet deshalb nebenher auch als Schuhmacher und Hausschlachter. Wie schwierig die Zeiten angesichts der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Reparationen und einer rasch zur Hyperinflation anschwellenden Geldentwertung sind, zeigt der Umstand, dass mit Sophie, Martha und Klara gleich drei ältere Schwestern Lintel vorübergehend als Hollandgängerinnen den Rücken kehren.
Sehr wahrscheinlich im Frühjahr 1920 wird Hinrich Johann in die dorfeigene Volksschule eingeschult. Dort gehören unter anderem Erich Henken, August Schmidt und Benno Wilkens zu seinen in etwa gleichaltrigen Klassenkameraden. Kurz nach Beginn der dritten Klasse ereignet sich in der Familie ein tragischer Unglücksfall: Hinrich Johanns als Maurer arbeitender Bruder Hermann stirbt im Juli 1922 im Alter von 22 Jahren an einem auf einer Baustelle erlittenen Stromschlag.
Ob Hinrich Johann nach seiner Schulentlassung und Konfirmation im Frühjahr 1928 zunächst weiter auf dem elterlichen Hof lebt und arbeitet, liegt heute im Dunkeln. Da er gemäß des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts der legitime Grunderbe ist, darf man jedoch davon ausgehen – ebenso davon, dass er Vater Hinrich auch bei dessen anderen Tätigkeiten zur Hand geht und sich darüber hinaus aktiv am Dorfleben beteiligt. Zwar ist über einschlägige Aktivitäten im Linteler Schützenverein oder im örtlichen Männergesangverein „Harmonie“ nichts weiter überliefert. Dafür existiert ein allem Anschein nach Anfang der 1930er Jahre aufgenommenes Foto, das Hinrich Johann als Mitglied eines mutmaßlich von Dorf-Gastwirt Friedrich Knutzen initiierten Radfahrvereins zeigt. Derartige Freizeitgruppen sind damals sehr populär: So gibt es seit 1906 den Radfahrerverein Reiherholz, und im Nachbardorf Hurrel existiert mit dem Radfahrverein „Wanderlust“ ein schon 1902 ebenfalls von Knutzen mitbegründetes Pendant.
Die frühen 1930er Jahre sind geprägt von der Weltwirtschaftskrise und dem dadurch bedingten Aufstieg der Nationalsozialisten. Als diese kurz nach der Berufung ihres Führers Adolf Hitler zum Reichskanzler den von ihnen angestrebten NS-Staat errichten, steht die Wiederaufrüstung der zuvor von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs auf 115.000 Mann begrenzten Reichswehr ganz oben auf der Agenda. Verkündet werden die entsprechenden Beschlüsse im Umfeld von Hinrich Johanns 21. Geburtstag: Am 9. März 1935 gibt Reichsminister Hermann Göring die Existenz einer durch den Versailler Vertrag eigentlich verbotenen deutschen Luftwaffe bekannt. Sieben Tage später folgt die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht, die zunächst alle männlichen Angehörigen des Jahrgangs 1914 in die Kasernen ruft.
Wo und wann genau Hinrich Johann diesem Aufruf Folge leistet, ist heute nicht mehr bekannt. Gleiches gilt für die Umstände, unter denen er seine künftige, aus der ostfriesischen Stadt Norden stammende Ehefrau Anna Luitjens kennenlernt, sowie das Datum der Hochzeit. Möglicherweise hat Hinrich Johann sich zu diesem Zeitpunkt bereits bei der Wehrmacht verpflichtet, denn als am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg beginnt, ist er gemäß seiner späteren Todesanzeige schon fast drei Jahre lang Soldat.
Im Mai 1941 wird Hinrich Johann mit der Geburt seines Sohnes Karl-Heinz zum ersten und einzigen Male Vater. Drei Monate zuvor sind innerhalb weniger Tage sowohl Mutter Mathilde als auch Schwester Lina nach längerer Krankheit verstorben. Auf welchem Kriegsschauplatz Hinrich Johann diese mal guten, mal schlechten Neuigkeiten jeweils erreichen und ob er beispielsweise Gelegenheit hat, an der Beerdigung der beiden Letztgenannten teilzunehmen, ist in der Familie nicht mehr bekannt – ebenso wenig, wie oft er anschließend noch auf Heimaturlaub zu Anna und Karl-Heinz nach Lintel kommt. Informationen der Deutschen Kriegsgräberfürsorge zufolge fällt Hinrich Johann am 14. Juli 1944 unter nicht näher aufgeklärten Umständen in einem Dorf namens Izvalta, rund 35 Kilometer östlich der zweitgrößten lettischen Stadt Daugavpils. Bislang wurden seine sterblichen Überreste noch nicht auf einen der in der Region errichteten Soldatenfriedhöfe überführt.