Johanne Witte wird am 16. November 1909 als drittes Kind von Johann Eilers und Friederike Eilers in Berne geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Heinrich Eilers und Mariechen Tesche und die ältere Schwester von Dietrich Eilers.
Drei Tage vor Johannes Geburt bricht im Kohle-Bergwerk Cherry Hill im Bundesstaat Illinois ein Feuer aus, das offiziellen Angaben zufolge 259 Menschenleben kostet. Damit gehört es bis heute zu den größten Gruben-Unglücken der USA. Am Anfang steht ein Stromausfall, der die Arbeiter zwingt, zur Beleuchtung Petroleumlampen und Fackeln mit unter Tage zu nehmen. Um die Mittagszeit gerät dadurch ein mit Heu für die Maultiere beladener Wagen in Brand. Nach zunächst nur halbherzigen Versuchen, das Feuer zu löschen, gerät es rasch außer Kontrolle und schneidet den Arbeitern auf der untersten Ebene den Weg nach oben ab – die meisten von ihnen ersticken qualvoll.
Von den rund 200 Kollegen, die sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können, kehren einige für Rettungsaktionen zurück. Zwölf von ihnen sterben, als sie nach sechs erfolgreichen Fahrten ins Berginnere von einem Käfig-Führer zu spät an die Oberfläche geholt werden und verbrennen. Fast wie durch ein Wunder werden hingegen 21 Arbeiter gerettet, die sich zuvor durch eine provisorisch errichtete Mauer acht Tage lang vor dem Feuer und giftigen Gasen schützen konnten. Einer von ihnen erliegt allerdings zwei Tage später einem Asthma-Anfall. Unter den Toten sind viele italienischstämmige Einwanderer, aber auch Jugendliche und sogar Kinder: Manche der Bergleute sind erst elf Jahre alt. Ein Missstand, der neben der Summe der anderen Versäumnisse eine lebhafte Diskussion über die bislang für den Betrieb von Bergwerken erlassenen Gesetze zur Folge hat.
Unglücksfälle wie in Cherry Hill kommen angesichts der oft viel zu laschen Sicherheitsvorkehrungen immer wieder vor. Auch im Deutschen Reich, wo eine im November 1908 sogar 348 Todesopfer fordernde Schlagwetter-Explosion auf der Zeche Radbod in Bockum-Hövel zwölf Monate später noch in frischer Erinnerung ist. Dort hätte eine von Gewerkschaften bereits seit vielen Jahren geforderte unabhängige Aufsichtsbehörde für die Branche das Schlimmste vermutlich ebenfalls verhindern können.
Verglichen mit den Gefahren, denen sich Bergmänner im Ruhrgebiet, in Oberschlesien oder in Thüringen Tag für Tag aussetzen, geht Johannes Vater im damaligen Großherzogtum Oldenburg einer deutlich risikoärmeren Tätigkeit nach, die ihm überdies viel frische Luft beschert: Er ist Forstarbeiter. Ein körperlich gleichwohl sehr fordernder Beruf, der ihn schon bald nach Johannes Geburt von Berne nach Vielstedt führt. Noch vor Ankunft des jüngsten Sohnes Dietrich bezieht die Familie im Hasbruch eine von zwei in unmittelbarer Nähe des Forsthauses untergebrachten Arbeiterwohnungen, die laut den Ausführungen des von 1975 bis 2004 amtierenden Revierförsters Heino Tielking in der Vielstedt-Chronik von Walter Janßen-Holldiek nur wenig Luxus bereithalten. Weil aber fast alles eine Frage der Perspektive ist und die allgemeine Wohnsituation von 1912 kaum mit jener des Jahres 2022 vergleichbar, dürfte sich Johanne dort allen Einschränkungen zum Trotz durchaus wohlfühlen – zumal sie einen riesigen Natur-Spielplatz direkt vor der Tür hat.
Noch vor Johannes Einschulung in die Volksschule Vielstedt bricht im August 1914 der Erste Weltkrieg aus. Ob ihr Vater daran teilnimmt, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Falls ja, gehört er in jedem Fall nicht zu den 23 Männern des Dorfes, die diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen. Nach Schulabschluss und Konfirmation im Frühjahr 1924 geht Johanne zunächst auf mehreren Höfen der näheren Umgebung in Stellung. Ihre letzte Station vor der Hochzeit liegt dabei möglicherweise irgendwo in Lintel, denn von dort stammt ihr künftiger Ehemann Johann Witte.
Johanne und Johann heiraten am 5. Februar 1937 – einen Tag, bevor in Hamburg mit der „Admiral Hipper“ der erste Schwere Kreuzer der deutschen Kriegsmarine vom Stapel läuft. Seit vier Jahren schon sind die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler an der Macht, und die Rüstungs-Maschinerie läuft mittlerweile auf Hochtouren. Etwaigen Kriegsabsichten indes erteilt der selbsternannte Führer zu jeder sich bietenden Gelegenheit eine Absage, etwa bei einer Rede im Hofbräu-Festsaal in München am 24. Februar 1937: „Wir ziehen durch die Welt wie ein friedliebender, aber in Erz und Eisen gepanzerter Engel.“
Was von solchen Beteuerungen zu halten ist, zeigt sich nur zweieinhalb Jahre später: Mit dem Befehl zum Überfall auf Polen löst Hitler am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg aus. In Lintel dürfte Johanne es mit Schrecken zur Kenntnis nehmen, ist sie doch nach der Geburt von Sohn Lothar im März 1937 gerade zum zweiten Mal schwanger. Die Befürchtung, dass Ehemann Johann wie so manchem Nachbarn schon bald ein Stellungsbefehl zur Wehrmacht ins Haus flattert, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht: Zum einen leidet Johann unter Asthma, zum anderen ist außer ihm und Johanne niemand da, der den von den inzwischen verstorbenen Schwiegereltern übernommenen Hof (heute: Rainer und Anne Witte) im Falle einer Einberufung weiterbewirtschaften könnte. Somit steht Johann zunächst weiter an ihrer Seite und erlebt nach der Geburt von Tochter Gunda im April 1940 im Januar 1942 auch die Ankunft des zweiten Sohnes Dieter im Kreis seiner Familie.
Im Laufe des Jahres 1943 wird die militärische Lage der Wehrmacht immer prekärer. Anfang 1944 muss Johann deshalb doch noch an die Front abrücken. Im besetzten Frankreich erlebt er im Juni 1944 die Landung der Alliierten in der Normandie, zwei Monate später kommt er in der Nähe der Stadt Caen unter nie geklärten Umständen ums Leben. Da Johann anfangs lediglich als vermisst gilt, hegt Johanne vermutlich eine ganze Weile lang die stille Hoffnung, ihn eines Tages wieder in die Arme schließen zu können. Wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen erfüllt sich diese Hoffnung allerdings nicht.
Mit drei kleinen Kindern außerstande, den Hof alleine weiterzuführen, verpachtet Johanne ihn anderthalb Jahre nach Kriegsende an Heinrich und Betty Grashorn. Und muss kurz darauf den nächsten Schicksalsschlag hinnehmen: Im Juni 1948 stirbt Tochter Gunda infolge von Komplikationen nach einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung. In dieser wohl dunkelsten Phase ihres Lebens hält Johanne vermutlich nur der Gedanke an die beiden ihr gebliebenen Söhne aufrecht. Für ein wenig Ablenkung sorgt zudem die Arbeit auf den Tabakfeldern von Nachbar Adolf Stöver.
Als Heinrich und Betty Grashorn den Witte-Hof im Herbst 1955 verlassen, verkauft Johanne ihr Inventar und verpachtet den größten Teil des knapp 20 Hektar großen Betriebes an mehrere andere Bauern. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet der ältere Sohn Lothar – ausgebildet von Johannes Bruder Dietrich Eilers – bereits als Zimmermann, Dieter steht kurz vor dem Abschluss der dorfeigenen Volksschule. Er übernimmt 1961 den Hof mit zunächst zwei Kühen sowie vier Hektar selbst bewirtschaftetem Land und vergrößert ihn nach dem Auslaufen der Pachtverträge systematisch Jahr für Jahr. Das bedeutet nicht nur für Dieter viel Arbeit, sondern auch für Johanne, die sich gleichwohl immer wieder als unermüdliche Antreiberin erweist. Lothar wiederum steht mit Rat und Tat zur Stelle, wenn es um die Modernisierung der vorhandenen Gebäude oder die Errichtung neuer Ställe geht.
Im Februar 1962 heiratet Lothar Käte Krause aus Hude, Dieter führt im Mai 1964 Inge Ellinghusen aus Altmoorhausen zum Traualtar. Aus den beiden Ehen gehen für Johanne bis 1975 mit Peter, Sabine, Jens, Rainer, Imke, Tanja, Katja und Dirk insgesamt acht Enkelkinder hervor. Jens – wie später auch sein jüngerer Bruder Dirk unheilbar an der Stoffwechselstörung Mukopolysaccharidose erkrankt – stirbt allerdings im Februar 1972 nach dem tragischen Sturz in eine Jauchegrube.
Nachdem sich 1957 nach jahrelangen Recherchen zumindest der Verbleib der sterblichen Überreste von Ehemann Johann aufgeklärt hat, besucht Johanne zweimal dessen Grab auf der Kriegsgräberstätte La Cambe in der Normandie – das letzte Mal im Juni 1983. Ein Jahr später feiert sie bei noch immer sehr guter Gesundheit ihren 75. Geburtstag. Einige Monate vor ihrem 80. Geburtstag stürzt sie allerdings unglücklich, wovon sie sich nicht mehr erholt: Johanne stirbt am 30. Juli 1989 und wird drei Tage später in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche beerdigt.