Martha Christine Vink wird am 22. Mai 1904 – dem 28. Geburtstag ihrer Mutter – als viertes Kind von Hinrich Lampe und Mathilde Lampe auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Hans-Hermann und Wilma Vink) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Heinrich Lampe, Hermann Lampe und Sophie Plomp und die ältere Schwester von Georg Hinrich Lampe, Klara Johanne Schiller, Hermanda Bernhardine Blank, Alma Lampe, Hinrich Johann Lampe und Lina Lampe.
Drei Tage nach Marthas Geburt bricht in Yazoo City im US-Bundesstaat Mississippi gegen 8.30 Uhr Ortszeit ein Feuer aus. Es gerät rasch außer Kontrolle und zerstört in der rund 6.000 Einwohner zählenden Provinzstadt bis zum späten Nachmittag drei Viertel aller Gebäude. Was das Inferno auslöst, wird nie abschließend geklärt. In einigen Berichten ist später von einem kleinen Jungen die Rede, der unbeaufsichtigt mit Streichhölzern spielt. Anderen Quellen zufolge züngeln die ersten Flammen im Wohnzimmer einer jungen Frau, die sich auf die Feier ihrer Hochzeit vorbereitet.
Es ist nicht die erste Katastrophe, die die 1824 gegründete Stadt heimsucht. Gleich zweimal – 1853 und 1878 – fordert eine grassierende Gelbfieber-Epidemie zahlreiche Opfer, und auch im Amerikanischen Bürgerkrieg trägt Yazoo City nach der Eroberung durch Nordstaaten-Truppen große Schäden davon. Was liegt bei einer derartigen Häufung von Unglücken näher, als an übergeordnete Mächte zu glauben? Nicht wenige Bewohner machen deshalb für das Feuer den Fluch einer Hexe verantwortlich, die Mitte der 1880er Jahre in einem nahen Wald zahlreiche verschollene Flussschiffer in ihr Haus gelockt und dort vergiftet haben soll. Auf frischer Tat ertappt, sei sie damals vor einer vom örtlichen Sheriff zusammengetrommelten Gruppe von Bürgern in die Sümpfe geflohen, dort in Treibsand geraten und im Angesicht ihrer Verfolger versunken. Unmittelbar vor ihrem Tod habe sie wutentbrannt angekündigt, nach exakt 20 Jahren zurückzukehren und Yazoo City ein schlimmes Schicksal zu bereiten.
Was an dieser Geschichte Legende ist und was Wahrheit, wissen vermutlich schon 1904 die meisten Zeitgenossen nicht mehr genau zu sagen. Schenkt man ihr Glauben, wurde der Leichnam der angeblichen Hexe auf dem städtischen Friedhof beerdigt, wo danach über das Grab gespannte Ketten ihre Rückkehr aus der Unterwelt verhindern sollten. Doch oh Wunder, der Überlieferung zufolge sind diese Ketten am Tag nach dem Feuer zerbrochen. Ferner wollen einige Zeugen beobachtet haben, wie die Flammen durch einen „übernatürlichen Wind“ von Haus zu Haus getragen worden sind. Ungeachtet dieser gruseligen Details beginnen die Bürger von Yazoo City unverzüglich mit dem Wiederaufbau – zwei Jahre später erinnert kaum noch etwas an den Brand. Das kettengesicherte Grab wiederum existiert bis heute und hat sich längst zu einer kleinen Touristen-Attraktion entwickelt.
Verheerende Stadtbrände sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches. Erst am 22. Januar 1904 hat in der norwegischen Stadt Ålesund eine umgekippte Petroleumlampe rund 850 Häuser unbewohnbar gemacht, mehr als 10.000 Einwohner wurden obdachlos. Am 19. April 1904 erwischte es die Innenstadt Torontos, als Auslöser vermutet die Feuerwehr der kanadischen Metropole einen elektrischen Defekt in einem Fabrikgebäude. Weltweit Schlagzeilen produziert dann am 18. April 1906 der nach einem Erdbeben ausgebrochene Brand von San Francisco. Auch deutsche Städte bleiben nicht verschont: Der Stadtbrand von Donaueschingen zerstört am 5. August 1908 in nur fünf Stunden 125 Wohnhäuser und 168 landwirtschaftliche Anwesen.
Brennt es in Marthas Heimatdorf Lintel, trifft es meist nur einzelne Gehöfte oder Häuser. Doch auch das kommt in keiner bestimmten Regel folgenden Abständen immer wieder vor: So bricht ebenfalls 1908 ein Feuer im bis dato als Dorfmittelpunkt geltenden Gasthaus „Zur Eiche“ aus, in dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts sowohl der Männergesangverein „Harmonie“ als auch der Schützenverein Lintel ihre Gründung erlebten. Sicherlich Anlass für aufgeregte Nachbarschaftsgespräche, von denen Martha trotz ihrer erst vier Jahre bestimmt das eine oder andere mitbekommt. Dass ein solches Ereignis eines fernen Tages auch sie selbst in Mitleidenschaft ziehen wird, dürfte sie damals allerdings kaum ahnen.
Marthas Eltern betreiben in Lintel eine kleine Landwirtschaft, von der allein die Familie aber nicht leben kann. Vater Hinrich arbeitet deshalb nebenher als Hausschlachter und Schuster, um die insgesamt neun heranwachsenden Kinder – lediglich der im März 1906 geborene Sohn Georg Hinrich stirbt noch im Säuglingsalter – satt zu bekommen. Dass dabei beizeiten auch Martha ihren Beitrag durch Mitarbeit auf Hof und Feld sowie das Hüten der jüngeren Geschwister leisten muss, steht wohl außer Frage.
Vermutlich ab Frühjahr 1910 besucht Martha die von ihrem Elternhaus rund einen Kilometer entfernte Volksschule Lintel. Dort gehören neben Schwester Sophie unter anderem Sophie Hollmann, Alwine Runge und Gesine Wachtendorf zu den in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen. Mitten hinein in ihre Schulzeit platzt im Sommer 1914 der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, zu dem aber zunächst allem Anschein nach kein Familienmitglied einberufen wird: Vater Hinrich ist mit 44 Jahren zu alt, die beiden älteren Brüder sind mit 15 und 14 Jahren noch zu jung. Ob die beiden Letztgenannten im weiteren Verlauf des Krieges noch einen Stellungsbefehl erhalten, ist in der Familie nicht mehr bekannt, man kann aber mit einiger Sicherheit davon ausgehen.
Als der Krieg im November 1918 mit einer deutschen Niederlage endet, hat Martha die Schule sehr wahrscheinlich bereits abgeschlossen. Ob sie danach zunächst weiter auf dem elterlichen Hof arbeitet oder direkt andernorts in Stellung geht, liegt heute im Dunkeln. Da sich jedoch rasch abzeichnet, dass die von den Siegermächten im Versailler Vertrag festgelegten Belastungen die nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. ausgerufene Weimarer Republik wirtschaftlich noch über Jahre hinaus knebeln werden, kommt Martha mit ihren Schwestern Sophie und Klara überein, das gemeinsame Heil in der Hollandgängerei zu suchen. Dieser Entscheidung voraus geht der tragische Unfalltod des zweitältesten, als Maurer arbeitenden Bruders Hermann: Er stirbt im Juli 1922 durch einen auf einer Baustelle erlittenen Stromschlag.
Wann Martha und ihre Schwestern in der Nähe von Rotterdam ankommen und wo genau sie arbeiten, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Man kann jedoch davon ausgehen, dass sie dort in Kontakt zu anderen deutschen Hollandgängerinnen stehen – Martha Rüscher und ihre Schwester Else aus Altmoorhausen etwa oder Sophie Albers und Erna Franz aus Hurrel. Doch natürlich lernt das Linteler Trio auch Einheimische kennen. Daraus entwickeln sich sowohl bei Martha als auch bei ihrer Schwester Sophie rasch ernsthafte Beziehungen. So ernsthaft, dass diese durchaus geeignet sind, die bisherige Zukunftsplanung in Frage zu stellen.
Sophies Auserwählter heißt Arie Plomp, sie bleibt seinetwegen in Holland. Martha hingegen zieht es wie Klara nach Deutschland zurück und sie überzeugt ihren Freund Gerrit Vink mitzukommen. Eine Entscheidung, die wahrscheinlich irgendwann in der ersten Jahreshälfte 1927 fällt, denn am 28. Juli 1927 stehen beide in der St.-Elisabeth-Kirche in Hude vor dem Traualtar. Anschließend geht es nach Thienfelde bei Ganderkesee, wo Martha am 11. November 1928 Sohn Friedel zur Welt bringt. Nur wenig später erhält Gerrit in Mansholt bei Wiefelstede eine Anstellung auf dem dank seiner Größe überregional bekannten Büsing-Hof. Verbunden damit ist der Bezug eines kleinen Landarbeiterhauses mit rund zwei Hektar Land, die Martha und Gerrit fortan nebenher beackern.
Zum Jahreswechsel 1928/29 gibt es nur wenige Anzeichen dafür, dass der mittlerweile etablierten Weimarer Republik schon bald ein perfekter Sturm bevorsteht. Im Gegenteil: Aus der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 ist die fest auf dem Boden der Demokratie stehende SPD als klare Siegerin hervorgegangen: Sie führt eine Fünf-Parteien-Regierungskoalition an und stellt mit Hermann Müller den Reichskanzler. Die auf einen Sturz des politischen Systems hinarbeitende NSDAP unter ihrem Führer Adolf Hitler hingegen kommt mit einem Stimmenanteil von 2,6 Prozent nicht über den Rang einer Splitterpartei hinaus. Gute Voraussetzungen also, um die von Müller in seiner Neujahrsansprache beschworenen „vertrauensvollen Beziehungen“ mit den Nachbarstaaten zu vertiefen.
Indes, es kommt anders. Die im Oktober 1929 vom Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse ausgelöste Weltwirtschaftskrise stärkt die radikalen Kräfte von links und rechts. Als am 8. März 1933 Marthas und Gerrits Tochter Marianne die Familie vergrößert, führt Hitler in Berlin bereits seit fünf Wochen als Kanzler die Regierung. Bei der drei Tage zuvor durchgeführten Reichstagswahl hat die NSDAP zwar die angestrebte absolute Mehrheit verfehlt, doch mit dem am 24. März 1933 erlassenen Ermächtigungsgesetz schaufelt sich die 14 Jahre zuvor gestartete Republik ihr eigenes Grab. Knapp zwei Monate nach der Geburt von Marthas und Gerrits zweitem Sohn Hans-Hermann im August 1938 feiert der NS-Staat mit dem Münchner Abkommen seinen größten außenpolitischen Erfolg: Es bestimmt, dass die Tschechoslowakei das von beiden Seiten beanspruchte Sudentenland an das Deutsche Reich abtreten muss. Hitlers „letzter territorialer Forderung in Europa“ folgen kaum ein halbes Jahr später die Zerschlagung der Rest-Tschechei und am 1. September 1939 der den Zweiten Weltkrieg auslösende Überfall auf Polen.
Als Niederländer erhält Gerrit Vink keinen Stellungsbefehl zur Wehrmacht. Anders als einige Schwestern und Schwägerinnen muss Martha also nicht um das Leben des Ehemannes bangen. Dafür erreicht sie im Februar 1941 die Nachricht vom krankheitsbedingten Tod ihrer Mutter Mathilde und der jüngsten Schwester Lina. Am 14. Juli 1944 – eine Woche vor dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler durch ranghohe Offiziere um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg – fällt dann in Lettland Marthas gemäß Jüngstenrecht für die Hofnachfolge in Lintel vorgesehener Bruder Hinrich Johann. Ein Schicksalsschlag, der nach der Anfang Mai 1945 erklärten bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht maßgeblichen Einfluss auf Marthas weiteren Lebensweg nimmt: Auf Wunsch von Vater Hinrich zieht sie im März 1949 mit ihrer Familie von Mansholt zurück nach Lintel und übernimmt neben seiner Betreuung auch die Vormundschaft für ihre mit auf dem Hof lebende, durch eine Nervenkrankheit beeinträchtigte Schwester Alma.
Da der Lampe-Hof gerade einmal über einen Besitz von rund vier Hektar verfügt, eignet er sich lediglich als Nebenerwerb. Für dessen Betrieb nach dem Umzug in erster Linie Martha verantwortlich zeichnet, denn Ehemann Gerrit arbeitet fortan hauptberuflich auf der Ziegelei von Friedrich Knabe in Kirchkimmen. Drei Jahre nach der im Mai 1955 gefeierten Hochzeit von Sohn Friedel mit Marianne Abel aus Lintel beginnt Gerrit auf dem Hof mit dem Bau eines Altenteiler-Hauses, in das nach der Fertigstellung Friedel und Marianne einziehen. Im September 1958 stirbt Marthas Vater, im März 1959 heiratet Tochter Marianne Günter Gerdes aus Weserdeich bei Berne und verlässt den Hof. Ende der 50er Jahre besteht Marthas ursprünglich sieben Personen beherbergender Haushalt somit nur noch aus ihr selbst, Gerrit, Schwester Alma und dem jüngsten Sohn Hans-Hermann.
Bevor Hans-Hermanns Verlobte Wilma Düßmann die Personenzahl wieder erhöhen kann, macht ein tragischer Unfall Martha kurz vor ihrem 60. Geburtstag zur Witwe: Am Morgen des 10. Februar 1964 wird Gerrit auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Moped von einem Auto erfasst und tödlich verletzt. Die Trauer darüber überschattet zwar die noch im August desselben Jahres gefeierte Hochzeit von Hans-Hermann und Wilma, doch spätestens die Geburt von deren Sohn Gerold im Januar 1965 dürfte Martha wieder auf andere Gedanken bringen. Er ist nach Mariannes Söhnen Jens und Frank und Friedels Adoptivsohn Carl-Hermann bereits ihr viertes Enkelkind. Im Mai 1967 kommt mit Hans Hermanns und Wilmas zweitem Sohn Heiko ein fünftes hinzu.
Das gute Verhältnis mit Nachbarinnen wie Ella Logemann, Berta Suhr, Gertrud Ahlers oder ihrer früheren Schulkameradin Alwine Runge sowie der nach wie vor enge Kontakt zu den Schwestern hilft Martha ebenfalls über den Verlust hinweg. So reist sie regelmäßig mit Hermanda Blank für 14 Tage zu Sophie Plomp nach Holland – woraus sich im Laufe der Jahre ein regelrechtes Ritual entwickelt: Hans-Hermann bringt Martha und Hermanda zu einer kurz hinter der Grenze gelegenen Gaststätte, wo Schwager Arie Plomp die beiden dann nach einem ausgiebigen Mittagsmahl aufsammelt. Eine recht enge Beziehung pflegt Martha bis zu deren Tod im Januar 1976 auch zu Mathilde Knutzen. Die nicht minder ritualisierten samstäglichen Einkäufe in Mathildes Laden – einschließlich Butterkuchen – gehen selten ohne ein Gläschen leckeren Likörs vonstatten.
Sehr wahrscheinlich eine defekte Heizung setzt in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1973 auf dem Vink-Hof den hofeigenen Schweinestall in Brand, dabei brennt auch das Obergeschoss des Wohnhauses aus. Körperlich kommt glücklicherweise kein Mensch zu Schaden, doch bis zum von Hans-Hermann rasch organisierten Wiederaufbau gilt es für Martha und ihre Familie im von Friedel und Marianne bewohnten Nachbarhaus eng zusammenzurücken. Nach etwas mehr als drei Monaten ist dann jedoch das neue Domizil zur Erleichterung aller bezugsbereit.
Im August 1982 stirbt Marthas Schwester Alma, um die sie sich mehr als 33 Jahre lang gekümmert hat. Bald darauf erkrankt Martha an Lungenkrebs, der zunächst aber nur sehr langsam wächst. Ein halbes Jahr vor ihrem 85. Geburtstag wird sie gleichwohl mehr und mehr pflegebedürftig. Trotzdem kann sie bis zum Schluss in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Martha stirbt am 3. April 1989 und wird drei Tage später in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche beerdigt.