Martha Johanne Wachtendorf wird am 16. August 1905 als erstes Kind von Gerhard Rüscher und Meta Rüscher in Hurrel geboren. Sie ist die ältere Schwester von Georg Rüscher, Else Ahrens, Adolf Rüscher und Herbert Rüscher.
Drei Tage vor Marthas Geburt findet in Norwegen eine Volksabstimmung statt, in der sich 99,95 Prozent der Teilnehmer für eine Auflösung der seit dem Ende des Schwedisch-Norwegischen Krieges im August 1814 bestehenden Union des Landes mit Schweden aussprechen. Noch einstimmiger fällt das Ergebnis einer parallel zur Volksabstimmung laufenden Aktion aus, in der der Norwegische Frauenstimmrechtsverein Unterschriften für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Frauen sammelt: Sämtliche 250.000 Teilnehmerinnen sind dafür. Zwar hat Norwegen als erstes Land in Europa überhaupt im Mai 1901 ein kommunales Frauenwahlrecht eingeführt. Dieses ist allerdings an ein Mindesteinkommen oder eine entsprechende eheliche Vermögensgemeinschaft gekoppelt und somit stark eingeschränkt. Bislang gibt es ein aktives und passives Wahlrecht für Frauen auf nationaler Ebene lediglich in Australien, es gilt seit 1902.
Schon im September 1905 besiegelt der Vertrag von Karlstad die volle Souveränität Norwegens, der schwedische König Oskar II. tritt daraufhin von seinem Amt als norwegischer König zurück. Mit dem geforderten allgemeinen Wahlrecht für alle Norwegerinnen dauert es etwas länger, es kommt erst im Juni 1913. Zuvor war Finnland 1906 dem australischen Beispiel gefolgt und hatte Frauen den Weg an die Wahlurne geebnet. Davon ist das Deutsche Reich damals noch weit entfernt. Dort dürfen Frauen statt zu wählen bislang nur auf Humor-Postkarten davon träumen, sich den gleichen Freizeit-Aktivitäten wie die Männer zu widmen, während diese den ganzen Tag über am Waschzuber stehen oder die Kinder versorgen. Immerhin: Im März 1908 kippt der Reichstag das preußische Vereinsgesetz, das es „Frauenspersonen“ bis dahin verbietet, Vereinen und Parteien beizutreten oder auf politischen Veranstaltungen ihre Stimme zu erheben.
Zu diesem Zeitpunkt haben Marthas Eltern Hurrel bereits verlassen. Im Laufe des Jahres 1907 sind sie mit den beiden bis dahin geborenen Kindern von einem heute nicht mehr bestehenden, an der Hurreler Straße zwischen den Hausnummern 46 und 48 gelegenen Hof in ein ehemals als Schulgebäude dienendes Heuerhaus am Pohlweg in Altmoorhausen gezogen (heutiger Besitzer: Ingo Fischer). Dort kommen bis Juni 1912 ein tot geborener Sohn und die drei jüngsten Geschwister zur Welt.
Ihre Schulzeit verbringt Martha überwiegend in der nur 200 Meter von ihrem Elternhaus gelegenen Volksschule Altmoorhausen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, an dem ihr auf der Ziegelei Munderloh arbeitender Vater einer im Dorf kursierenden Gedenktafel zufolge teilnimmt, verlagert sich der Unterricht allerdings spätestens ab 1915 zeitweise nach Neu-Moorhausen, dem heutigen Hemmelsberg. Von den fünf Geschwistern ist Martha in den Kriegsjahren als ältestes Kind mit Sicherheit am stärksten gefordert, ihre Mutter bei der täglichen Hausarbeit und der Versorgung der für den eigenen Bedarf gehaltenen Tiere zu unterstützen.
Der Sturz des Kaiserreichs nach dem im November 1918 verlorenen Krieg bringt Deutschlands Frauen mit der Weimarer Verfassung zwar das lang ersehnte Wahlrecht. Doch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen bleiben unverändert hart, die Verdienstmöglichkeiten entsprechend gering. Das bekommt auch Martha zu spüren, die nach Konfirmation und Schulabschluss zunächst beim in der Nachbarschaft wohnenden Dorfschullehrer Friedrich Hartmann in Stellung geht. Kurz bevor die sich zur Hyperinflation steigernde Geldentwertung millionenfach Vermögen vernichtet und dazu führt, dass auch die Menschen im Freistaat Oldenburg ihr Entgelt für die Dinge des täglichen Lebens in Koffern und Waschtrögen transportieren müssen, beschließt Martha deshalb, ihr Glück im Ausland zu suchen: Im Frühjahr 1923 geht sie nach Holland und arbeitet dort als Magd auf einem großen landwirtschaftlichen Betrieb mit angeschlossener Käserei in Woerden, rund 30 Kilometer von Amsterdam und 250 Kilometer von Altmoorhausen entfernt.
Mit Einführung der Rentenmark bessern sich die Verhältnisse in Deutschland allmählich. Nach fünf Jahren in der Fremde kehrt Martha deshalb nach Hause zurück und arbeitet fortan auf dem Hof von Johannes Henken in Lintel (heute: Carl-Heinz Wragge). Im Mai 1932 heiratet sie Gerhard Wachtendorf und bezieht mit ihrem Ehemann einen kleinen, 1927 von dessen Vater gekauften Hof in Hurrel, der nur einen Steinwurf von ihrem Geburtshaus entfernt liegt (heute: Elke Brumund und Egon Wachtendorf). Dort pflegt Martha zunächst ihre schwerkranke Schwiegermutter Metta Wachtendorf, bevor im Juli 1934 Tochter Elfriede und im Dezember 1936 Sohn Gerold zur Welt kommen.
Das Familienglück ist nicht von langer Dauer: Bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Gerhard zur Wehrmacht einberufen. Martha muss den rund 8 Hektar großen Hof zunächst allein mit ihrem Schwiegervater Johann Wachtendorf und später mit Hilfe eines französischen Kriegsgefangenen bewirtschaften. Ende Januar 1945 fällt Gerhard, den Martha kurz zuvor nach einem erlittenen Armdurchschuss noch im Lazarett in Gütersloh besucht hatte, in der Nähe von Posen. Drei Monate später nehmen kanadische und englische Truppen Hurrel ein. Es kommt zu Gefechten in unmittelbarer Nähe des Wachtendorf-Hofes, und Martha verbringt bange Stunden im hofeigenen Bunker, wo sie von den sich im Haus niederlassenden Soldaten verhört und über Nacht eingesperrt wird.
Nach Kriegsende quartiert Martha vorübergehend den aus Schlesien stammenden Flüchtling Karl Picker ein, der auch auf dem Hof hilft. Weitere Hilfe kommt in den folgenden Jahren von Georg Bruns und Vera Christiansen aus Voslapp, die nach dem Auszug von Tochter Elfriede vorübergehend bei Martha und Gerold wohnt. Ab April 1958 wird es dann für einige Zeit eng im Haus: Nach der Scheidung von Willy Stolle aus Klattenhof zieht Elfriede wieder ein und bringt ihre im November 1957 geborene Tochter Ingrid mit. Im Mai 1961 heiratet Gerold Irmgard Wilkens und siedelt mit vier Kühen sowie mehreren Jungkühen und Kälbern auf den Hof von Irmgards Großvater Georg Barkemeyer über.
Weil Elfriede ab 1962 als Näherin bei der 1949 in Hude gegründeten Möbelfabrik von Wilhelm Vietor arbeitet, kümmert sich Martha in den folgenden Jahren viel um ihre heranwachsende Enkelin Ingrid. Als Elfriede und Ingrid im August 1968 zu Elfriedes zweitem Ehemann Erich Nehls nach Hatterwüsting ziehen, bleibt Martha allein im Haus zurück und widmet sich fortan ihren beiden großen Hobbys: Garten und Reisen. Bis ins hohe Alter ist sie auf vom Reichsbund organisierten Touren in ganz Deutschland unterwegs – meist begleitet von einem Kreis gleichaltriger Freundinnen, zu dem unter anderem ihre Nachbarin Adele Timmermann gehört.
Nachdem Martha auf diese Weise ihren 80. und auch ihren 85. Geburtstag bei guter Gesundheit feiern kann, kommt im Juli 1992 noch einmal eine Zäsur: Sie erleidet nach dem Aufstehen einen Schwächeanfall und muss nach kurzem Krankenhausaufenthalt das eigene Zuhause aufgeben. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie auf dem Hof ihres Sohnes Gerold, wo sie schließlich am 30. Dezember 1994 stirbt. Beerdigt ist Martha sechs Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.