Am 14. Januar 1976 endet in Lintel eine Ära: Im Alter von 91 Jahren stirbt Mathilde Knutzen, Inhaberin des 1908 zusammen mit Ehemann Friedrich Knutzen (1874 – 1950) übernommenen Dorf-Gasthofs. Ihre Tochter Erna Lienemann verkauft das Lokal daraufhin 1978 an den Bremer Geschäftsmann Albert Tholen. Der wiederum verpachtet es drei Jahre später an Paul Schaper. Letzterer hat mit traditioneller Gastronomie nicht viel am Hut und eröffnet im August 1981 das Rockparadise – eine progressive Diskothek, deren Musik-Programm und damit auch das Publikum sich deutlich von zu jener Zeit konkurrierenden Angeboten wie Disco International (unter anderem regelmäßig zu Gast im nahegelegenen Gasthof Buchholz in Grummersort) oder Disco 2000 in Langenberg unterscheidet.
Ein harter Schlag für die Linteler Gemeinschaft. Schließlich bot Mathilde Knutzen nicht nur dem örtlichen Schützenverein über sieben Jahrzehnte und zwei Weltkriege hinweg ein liebgewonnenes Domizil, sondern auch dem Männergesangverein Harmonie und diversen anderen ortsnahen Gruppen und Verbänden. Als „unglückliche Tatsache für das ganze Dorf“, umschreibt die 1992 zum 100-jährigen Jubiläum des Schützenvereins erschienene Festschrift das Ereignis. Was jedoch nicht zu Anfeindungen gegenüber dem neuen Pächter und seinem Publikum führt. Sondern vielmehr zu einem noch stärkeren Zusammenrücken: Das traditionelle Schützenfest findet nun im Festzelt nahe dem Schießstand statt, und an den Schießübungsabenden erfolgt die Bewirtung laut Festschrift fortan intern, ganz nach dem Motto „Jeder sorgt für jeden!“ Das Verhältnis zu den auswärtigen Gästen wiederum ist von einer friedlichen Koexistenz geprägt, die beiden Seiten ihren Freiraum lässt.
Wie es von 1981 bis zur Schließung des Lokals Mitte der 90er Jahre auf der anderen Seite dieses Freiraums aussieht, schildert der 2010 in einem Internet-Forum veröffentlichte Bericht einer regelmäßigen Besucherin: „Man kam in den dunklen Flur, wo die Kasse stand. Eine alte gusseiserne Kasse. Links neben der Kasse ging der Flur weiter zum Tanzsaal. Geradeaus hinter der Kasse war die Kneipe. In der Kneipe war links eine Durchreiche, an der man bei Ali, dem Pizzabäcker, eine Pizza kaufen konnte. Daneben standen ein alter gusseiserner Ofen und viele Sofas. Hier konnte man sich aufwärmen. Dahinter war ein Raum mit einer Schiebetür im Jugendstil und grünen Glas. Hier standen ein altes Biedermeiersofa und ein Billardtisch. … Wenn man den Gang zum Tanzsaal runter ging, war links noch ein Raum mit zwei Kickern. Rechts waren die Toiletten. Bunt bemalt und mit Sprüchen versehen. … Der Tanzsaal hatte einen dunklen Holzfußboden. Links und rechts waren Theken. Paul hatte sein DJ-Pult direkt an der Rückseite des Eingangs. Gegenüber vom Eingang war ein Podest, auf dem die Tanzfläche an der Wand war. In der Mitte war eine Sitzgelegenheit mit Filz bezogen. In der Mitte waren Tonkügelchen und Plastikpflanzen. Überall standen durchgesessene Sofas.“
Mag das Rockparadise in seiner Bedeutung und Bekanntheit auch nicht an andere, in einer 13 Jahre lang laufenden Dauer-Ausstellung des Schlossmuseums Jever gewürdigte ehemalige alternative Diskotheken im Weser-Ems-Gebiet wie Meta’s Musikschuppen in Norddeich, das Ede Wolf in Metjendorf oder das Charts in Harkebrügge heranreichen: Einen Platz in dieser Reihe hat es sich durchaus verdient. Schon allein deshalb, weil im Rockparadise ähnlich wie in den beiden letztgenannten Lokalen von Anfang an regelmäßig Live-Konzerte stattfinden. Von Bands, die teilweise aus der Region stammen, häufig aber auch – wie im Falle der westafrikanischen Formation Susu Bilibi – von weither.
Wie viele später vereinzelt zu Weltruhm gelangte Künstler im Laufe der Jahre in Lintel auf der Bühne stehen? Das weiß heute nicht einmal Ex-Betreiber Paul Schaper noch so ganz genau. Seinen Erinnerungen zufolge eröffnet 1981 Herman Brood nebst Begleitband The Wild Romance den Konzert-Reigen. Der niederländische Pianist und Sänger kehrt danach noch mindestens dreimal ins Rockparadise zurück, das letzte Mal im Dezember 1992. Ebenfalls mehrfach in Lintel vor Ort sind Trio aus Großenkneten – das erste Mal im August 1981, zu einem Eintrittspreis von sage und schreibe 4 DM. Weitere illustre Namen auf der langen Gästeliste: Klaus Doldinger’s Passport, Inga Rumpf, Franz K., Level 42, Vitesse, Gruppo Sportivo und die US-Sängerin Carolyne Mas. Deren Dreizehn-Minüter „Sittin‘ in the dark“ gehört an normalen Disco-Abenden ebenso zum Standard-Repertoire wie die ähnlich überlangen Underground-Kult-Hits „Rainchild“ (Roy Last Group) und „The faith healer“ (The Sensational Alex Harvey Band).
Anders als für Konzerte im Harkebrügger Charts sind für Live-Gigs im Rockparadise kaum Veranstaltungs-Plakate erhalten – sofern es sie denn überhaupt je in größerer Anzahl gegeben hat. Auch in der lokalen Nordwest-Zeitung finden sich damals nur sehr sporadisch Ankündigungen und noch seltener nachträgliche Konzert-Kritiken. Soll die hier erstmals veröffentlichte und bislang noch sehr unvollständige Liste der Rockparadise-Gastspiele wachsen, ist die Mithilfe möglichst vieler ehemaliger Besucher nötig – ein Appell zur Kontaktaufnahme an all jene, die zu Hause noch entsprechende Notizen oder sogar die dazugehörigen Eintrittskarten mit Datum in der Schublade liegen haben.
Auftritte im Linteler Rockparadise
Datum Band/Interpret
26.08.1981 Trio
26.11.1981 Janne Schaffer
01.04.1982 Vitesse
25.04.1982 Inga Rumpf
13.03.1983 Splash (Jazzrock aus Holland)
28.08.1983 Roy Last Group
25.09.1983 Patrick Gammon Band
23.05.1984 Sirius (Gitarrenrock aus Bremerhaven)
25.10.1984 Embryo
12.05.1985 Gary Boyle
21.08.1985 Susu Bilibi
10.12.1987 Kraan
10.09.1989 Sheela (Hardrock aus Bad Zwischenahn)
08.05.1991 Dee Tail (Hardrock aus Delmenhorst)
22.05.1992 Grave Digger
19.06.1992 Marlow (Bluesrock)
16.10.1992 Rendezvous (Jazz, Folk, Rock und Reggae)
04.11.1992 Dark Horse (Rock aus Frankfurt)
13.11.1992 Marlow (Bluesrock)
15.12.1992 Herman Brood & His Wild Romance
11.06.1993 New Adventures
14.08.1993 Black Jack (Poprock)
27.08.1993 Gruppo Sportivo
Die Tatsache, dass all die genannten Bands zwischen 1981 und 1993 im Rockparadise auf der Bühne standen, macht ihre Musiker natürlich noch nicht zu Lintelern. Dennoch, eine gewisse – und zweifellos besondere – Verbindung besteht. Deshalb bietet es sich an dieser Stelle an, auch all jener einst in Lintel aufgetretenen Künstler zu gedenken, die mittlerweile nicht mehr unter den Lebenden weilen. Derer gibt es mehr als 30 Jahre nach dem letzten bekannten Live-Konzert viele, und die Liste wird naturgemäß noch ein ganzes Stück länger werden. Wer möchte, findet hier entsprechende Biographien aus dem World Wide Web oder andere (mitunter leider recht spärliche) Hinweise:
das
Zeitungsartikel Rockparadise
(zum Vergrößern bitte anklicken)
Quelle: NWZ vom 28. November 1981
Quelle: NWZ vom 1. April 1982
Quelle: NWZ vom 12. März 1983
Quelle: NWZ vom 27. August 1983
Quelle: NWZ vom 27. Oktober 1984
Quelle: NWZ vom 9. Dezember 1987
Quelle: NWZ vom 22. Mai 1992
Quelle: NWZ vom 11. Dezember 1992