Paula Quitsch – Biographie

Anna Paula Quitsch – Rufname Paula – wird am 24. Februar 1920 als zweites Kind von Wilhelm Fülle und Meta Fülle in Haidhäuser bei Dötlingen geboren. Sie ist die jüngere Schwester von August Fülle und die ältere Schwester von Alwin Fülle und Hertha Beilfuß.

Am Tag von Paulas Geburt präsentiert Adolf Hitler im Festsaal des Münchner Hofbräuhauses vor rund 2.000 Zuhörern das 25-Punkte-Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Wie alle im rechten Spektrum der Weimarer Republik angesiedelten Parteien fordert die NSDAP darin eine Revision des – auch von bürgerlichen Parteien wie DVP, DDP und Zentrum sowie der SPD kritisierten – Versailler Vertrags, den Anschluss Österreichs und die Rückgabe der bis 1918 von Deutschland kontrollierten Kolonien. Darüber hinaus trägt das Programm aber auch klar antisemitische Züge. So heißt es etwa unter Punkt 4: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ In der Wirtschaftspolitik gelte es zudem, den „jüdisch-materialistischen Geist“ zu bekämpfen und die „Zins-Knechtschaft“ zu brechen.

Worüber die hohe Teilnehmerzahl der Veranstaltung etwas hinwegtäuscht: Die NSDAP ist im Februar 1920 lediglich eine von zahlreichen Splitterparteien, die sich auf dem Boden der 1918 ausgerufenen Republik gegründet haben. Hervorgegangen ist sie aus der 1919 von Anton Drexler und Karl Harrer ins Leben gerufenen Deutschen Arbeiterpartei (DAP). Letztere zählte Anfang 1920 weniger als 200 Mitglieder. Der Österreicher Hitler, der der ausschließlich in Bayern aktiven DAP im September 1919 beigetreten ist, übt in der frisch umbenannten Partei noch keine offizielle Funktion aus, gilt aber als begnadeter Redner und deshalb als ihr von Drexler protegierter Chef-Propagandist.

Welchen Einfluss Hitler auf die Formulierung des Programms genommen hat, darüber streiten Historiker bis heute. Völlig unzweifelhaft ist jedoch, dass die NSDAP ohne ihn in der Frühphase ihres Bestehens kaum so viel Aufmerksamkeit bekommen hätte. Mit Hitler als Hauptredner hält die Partei in den folgenden Monaten Dutzende Kundgebungen ab, die größte davon am 3. Februar 1921 im Circus Krone vor 6.000 Zuhörern. Dadurch steigt die Zahl der Mitglieder rasant – von 200 bei der Gründung über 1.700 im Sommer 1920 bis auf 55.000 im November 1923. Als Hitler, inzwischen gegen Drexlers Willen zum neuen Vorsitzenden und „Führer“ gewählt, in jenem Monat mit einem gewaltsamen Putsch die Reichsregierung in Berlin zu stürzen versucht, wird er allerdings verhaftet und seine Partei bis auf Weiteres verboten.

Der in München geplante Staatsstreich ist selbstverständlich auch im Norden Deutschlands ein großes Thema. „Gegenrevolution in Bayern“ titelt beispielsweise am 9. November 1923 die in Oldenburg erscheinende Tageszeitung „Nachrichten für Stadt und Land“. Ein Exemplar kostet am Kiosk 10 Milliarden Mark. Als die Redaktion zwei Tage später die Freilassung des Mit-Verschwörers Erich Ludendorff aus Polizei-Gewahrsam meldet, sind es bereits 15 Milliarden Mark. Deutlicher als an den Auswüchsen der galoppierenden Inflation lässt sich kaum aufzeigen, in welch tiefer Krise das Land fünf Jahre nach Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs steckt.

Wie Paulas Familie diese chaotische Phase der deutschen Geschichte übersteht, liegt heute im Dunkeln. Ihre Eltern verfügen in Haidhäuser über keinen Grundbesitz, sondern leben als Heuerleute im Dorf. Zu den wenigen überlieferten Details aus jener Zeit gehört bezeichnenderweise Paulas Erinnerung an die üppig bestückten Apfelbäume der besser gestellten Nachbarn, von deren Früchten sie kein einziges Mal kosten darf. Immerhin: Irgendwie schafft es Vater Wilhelm im Laufe der Jahre, etwas Geld auf die Seite zu legen und davon einen kleinen Hof in Seefelderaußendeich zu kaufen oder zumindest anzuzahlen. Und zwar noch bevor Paula die Schule beendet, denn konfirmiert ist sie nach Aussage ihrer Tochter Hella Bisanz bereits in der rund 15 Kilometer südwestlich von Nordenham gelegenen Bauerschaft der Wesermarsch.

Als Paula 1934 mit Schulabschluss und Konfirmation ins Erwachsenenleben eintritt, ist die Weimarer Republik bereits wieder Geschichte. Beerbt wird sie – ausgerechnet – vom Ein-Parteien-Staat der NSDAP, die nach ihrer Wiederzulassung im Februar 1925 bedingt durch die einige Jahre später ausbrechende Weltwirtschaftskrise auch außerhalb ihrer Bastion Bayern massiv Wähler anzieht. So viele, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernennt und damit der NS-Diktatur den Weg ebnet. Mit allen bereits im 25-Punkte-Programm von 1920 angesprochenen Konsequenzen – ergänzt um einen weiteren Punkt, dem sich Hitler 1925 in der während seiner Festungshaft entstandenen Propaganda-Schrift „Mein Kampf“ ausführlich widmet: der Schaffung von „neuem Lebensraum im Osten“.

Wie Paula die ersten Jahre der NS-Herrschaft bis zum zu diesem Zweck von Hitler befohlenen Überfall auf Polen und den damit verbundenen Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebt, dazu gibt es ähnlich wie zu ihren Kinder- und Jugendjahren keine verlässliche Überlieferung. Vermutlich wohnt sie bei Kriegsbeginn bereits in Hatterwüsting. Dafür spricht ihre enge, bis zum Lebensende haltende Freundschaft mit Alma Tangemann, die dort seit Dezember 1939 mit Walter Strangmann verheiratet ist. Auch Paula findet in Hatterwüsting vorübergehend ihr privates Glück – in Gestalt von Johann Schnitker, mit dem sie sich im November 1940 verlobt. Ob Johann zu diesem Zeitpunkt bereits Angehöriger der Wehrmacht ist oder erst später einen Stellungsbefehl erhält, lässt sich heute nicht mehr abschließend klären. Er fällt jedoch dem Krieg zum Opfer, noch bevor es zur Heirat kommt.

Für Paula zweifellos ein harter Schlag. Er bleibt nicht der einzige: Auch Bruder Alwin, seit 1941 mit Anna Hobbie aus Streekermoor verheiratet, verliert im folgenden Jahr sein Leben auf dem Schlachtfeld. Als Paula diese Nachricht erreicht, ist sie vermutlich bereits von Hatterwüsting nach Altmoorhausen gezogen und arbeitet dort als Köchin im Gasthof von Anton Budde (heute: Crown Event Location).

Verteufelte Zeiten also – in denen Paula vermutlich nichts ferner liegt, als sich erneut in einen aktiven oder potenziellen Frontsoldaten zu verlieben. Eine Hürde, die Heinrich Quitsch nicht überwinden muss. Der Linteler Schuhmacher-Meister, der wegen seiner Zugehörigkeit zur örtlichen Feuerwehr des Öfteren in Altmoorhausen zu tun hat, ist 16 Jahre älter als Paula und schon allein deshalb deutlich geschützter vor einer Einberufung zum Kriegsdienst als manch anderer heiratsfähiger Mann in ihrem Umfeld. Ob dies am Ende eine Rolle spielt, ist reine Spekulation. Als Paula von Buddes Gasthof in einen Haushalt nach Delmenhorst wechselt, sind aber beide mutmaßlich bereits ein Paar.

Paula und Heinrich heiraten am 10. April 1943. Danach zieht Paula nach Lintel, wo Heinrich in einem zum Hof von Karl Kreye gehörenden Heuerhaus neben seiner Schuhmacher-Werkstatt eine recht gut laufende Geflügelzucht betreibt. Dort erleben beide den Zusammenbruch des NS-Regimes, die unmittelbar danach folgende britische Besatzung sowie den Neustart der Demokratie unter den schwierigen Bedingungen des Hungerwinters 1946/47. Das Jahr 1948 brennt sich dann in Paulas Erinnerung aus gleich zwei Gründen auf ewig ein: Zunächst sorgt die im Juni jenes Jahres in Kraft tretende Währungsreform für eine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse. Drei Monate später wird sie dann mit der Geburt von Tochter Hella zum ersten und einzigen Mal Mutter.

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 normalisieren sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse weiter. Mit der Geflügelzucht lässt sich in den nun folgenden Wirtschaftswunder-Jahren mehr Geld verdienen als mit der Schuhmacherei, so dass Heinrich sich mehr und mehr diesem Bereich widmet. Nach dem Kauf eines auf der gegenüberliegenden Seite der Linteler Straße gelegenen Hofes (ehemals Heinrich Hoffrogge) im Herbst 1953 und dem damit verbundenen Umzug schafft er vier Brutmaschinen für insgesamt 40.000 Eier an und verbringt fortan insbesondere im Frühjahr viel Zeit damit, die schlüpfenden Küken an den Mann oder die Frau zu bringen. Paula wiederum ist in alle anfallenden Arbeiten auf dem Betrieb involviert und leistet – da deutlich jünger und somit auch belastbarer – unter dem Strich sogar das größere Pensum. Unterstützung erhält sie dabei von landwirtschaftlichen Gehilfinnen wie der Nachbarstochter Elfriede Wilkens oder Edith Ahrens aus Munderloh.

Im Dezember 1957 stirbt in Friedrich-August-Hütte bei Nordenham Paulas Schwester Bertha, gerade einmal 32 Jahre alt. Mutter Meta in Seefelderaußendeich folgt im Januar 1962 mit 67 Jahren, Vater Wilhelm im Oktober 1973 mit 76 Jahren. Auch Ehemann Heinrich stirbt relativ früh, im Dezember 1974 kurz vor seinem 71. Geburtstag und nur zwei Jahre nach Aufgabe der Geflügelzucht. Mit 54 Jahren ist Paula plötzlich Witwe. Halt in dieser schweren Zeit findet sie unter anderem bei Tochter Hella. Letztere ist seit September 1971 mit Kurt Bisanz aus Uelzen verheiratet. Tochter und Schwiegersohn wohnen direkt in der Nachbarschaft – im früheren Heuerhaus der Familie, das Heinrich Quitsch 1966 von den Erben seines einstigen Pachtherrn Karl Kreye gekauft hat.

Mag die Aufgabe der Geflügelzucht Paula auch schon vor Heinrichs Tod von so manch lästiger Pflicht befreit haben: Langeweile kommt bei ihr in den folgenden Jahrzehnten nicht auf. Für reichlich Beschäftigung sorgt alleine schon der für Selbstversorger kaum Wünsche offenlassende Obst- und Gemüsegarten. Dort baut Paula zu großen Teilen an, was morgens, mittags und abends bei der Familie auf dem Tisch steht. Hinzu kommen eine Kegel- und Gymnastik-Runde sowie regelmäßige Kaffeekränzchen mit Nachbarinnen wie Marie Büscher, Käte Hoffrogge, Ella Logemann, Herta Runge und Grete Schmidt. Nicht zu vergessen diverse Reisen: War zu Heinrichs Lebzeiten lediglich ein gemeinsamer Kurz-Urlaub an die Mosel mit dessen in die USA ausgewanderter Schwester Käthe Logemann und deren ebenfalls aus Lintel stammendem Ehemann Dietrich drin, so revanchiert sich Paula Ende der 70er Jahre mit einem Gegenbesuch in Kalifornien und ist auch sonst immer mal wieder auf Achse.

Dann sind da noch ihre 1976 und 1979 geborenen Enkelkinder Karen und Hendrik, die viel gemeinsame Zeit mit der Oma verbringen. Sie erinnern sich unter anderem an Paulas verschiedene vierbeinige Begleiter wie die Boxer-Dame Peggy und deren männlichen Nachfolger Hannes. Und daran, wie der Stundenplan ihres an der Orientierungsstufe in Hude unterrichtenden Vaters Paulas Tagesablauf bestimmt: Das Essen kommt auf den Tisch, wenn er Unterrichtsschluss hat, und vor allem ihm muss es schmecken! Jedes Jahr zu Kurts Geburtstag backt sie überdies für das Kollegium einen von in den Genuss dieser Köstlichkeit kommenden Personen in den höchsten Tönen gelobten Butterkuchen. Dasselbe gilt für Paulas Birnentorte, deren exquisiten Geschmack so mancher Linteler noch heute in bester Erinnerung hat.

Im Vergleich zu ihren Eltern und Geschwistern ist Paula ein relativ langes Leben beschieden: So kann sie sowohl ihren 70. als auch den 75. und – in etwas größerem Rahmen – den 80. Geburtstag bei guter Gesundheit feiern. Ihr 85. Wiegenfest erlebt sie allerdings nicht mehr: Paula stirbt am 31. Mai 2003 im Alter von 83 Jahren. Beerdigt ist sie einige Tage später auf der Ahnenstätte Hilligenloh in Hurrel.