Adolf Haverkamp – Biographie

Adolf Heinrich Haverkamp wird am 10. August 1894 als zweites Kind von Georg Haverkamp und Metta Haverkamp auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Ralf und Jannik Haverkamp) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Martha Wübbenhorst und der ältere Bruder von Gretchen Heinemann und Klara Potthast.

In der Woche vor Adolfs Geburt beginnen die Farbwerke Hoechst mit dem großflächigen Vertrieb eines von Emil Behring entwickelten Immun-Serums gegen Diphtherie. Es ist der ersehnte große Schlag gegen eine im Volksmund „Würgeengel der Kinder“ genannte Krankheit, die bevorzugt Säuglinge und Kleinkinder befällt und damals allein im Deutschen Reich Jahr für Jahr mehr als 50.000 von ihnen qualvoll ersticken lässt. Besteht die bis dahin einzig wirksame Behandlungsmethode in einem Luftröhrenschnitt, so hilft fortan das aus dem Blut von Pferden gewonnene Serum schnell und zuverlässig: Einer im Mai 1894 erstmals durchgeführten klinischen Studie zufolge haben 102 von 108 Kindern überlebt, die innerhalb von drei Tagen nach der Diagnose behandelt wurden. Vorher war jedes zweite Kind gestorben.

Obwohl der wichtige Etappensieg über die Diphtherie bis heute eng mit dem Namen Emil Behring verbunden ist, hat der Erfolg wie so häufig in derartigen Fällen viele Väter. Zu nennen ist hier unter anderem der japanische Arzt Kitasato Shibasaburō, der 1890 zusammen mit Behring die theoretischen Grundlagen für die Entwicklung des Serums schuf. Ferner Forscher-Kollege Paul Ehrlich: Er entwickelte ein Verfahren, mit dem die Menge des für die Bekämpfung der Krankheit nötigen Antitoxins im Tierblut um ein Vielfaches gesteigert werden konnte. Und schließlich August Laubenheimer: Das Vorstandsmitglied der Farbwerke Hoechst bot Behring bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt die fabrikmäßige Herstellung des Serums an, ohne die jedes in Eigenregie erstellte Fläschchen des „Behring’schen Goldes“ (Lobpreisung des sächsischen Kinderarztes Otto Heubner) ein Tropfen auf den heißen Stein geblieben wäre. Denn um seine ehrgeizigen Pläne von einer eigenen Fabrik in die Tat umzusetzen, fehlt es Behring Anfang der 1890er Jahre an Kapital.

In den ersten fünf Monaten nach Markteinführung verlassen 75.225 Serum-Fläschchen die Farbwerke Hoechst, im nachfolgenden Betriebsjahr 1895 erzielt das Unternehmen mit dem Produkt einen Reingewinn von mehr als 700.000 Mark. Behring wiederum wird im April 1895 zum Direktor des Hygiene-Instituts der Universität Marburg berufen. Im Dezember 1901 erhält er den ersten Nobelpreis für Medizin und wagt drei Jahre später mit der Gründung der Behring-Werke doch noch den Sprung in die Selbstständigkeit.

Wie schnell sich die Kunde vom „Behring’schen Gold“ in Lintel herumspricht und wann es dort zum ersten Mal zum Einsatz kommt, lässt sich nur vermuten. Bei rechtzeitiger Verfügbarkeit hätte es allerdings schon 1894 mindestens drei Leben retten können – nämlich das von Adolfs Nachbarin Meta Galdas und ihrer Kinder Bernhard und Heinrich. Alle drei sind Anfang Januar 1894 an Diphtherie erkrankt und innerhalb von zehn Tagen gestorben. Von den Opfern früherer Jahre und Jahrzehnte im Dorf ganz zu schweigen. Dazu gehört 1882 mit Gustav Heinrich Tönjes, einem 1878 geborenen Halbbruder von Adolfs Vater Georg Haverkamp, auch ein Mitglied aus der eigenen Familie.

Als Emil Behring am 10. Dezember 1901 in Stockholm den Medizin-Nobelpreis entgegennimmt, besucht Adolf in Lintel bereits die dorfeigene Volksschule oder steht unmittelbar davor. Dort gehören unter anderem Karl Bischoff, Heinrich Brand, Bernhard Geerken, Georg Johann Rodiek, Heinrich von Runnen und Hinrich Wachtendorf zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern. Wie er selbst stammen sie von einem der umliegenden Bauernhöfe – wobei die wenigsten davon auf eine ähnliche Größe und eine ähnlich lange Historie zurückblicken können wie der 1489 erstmals erwähnte „Große Haverkamp“ von Adolfs Eltern. Dass die Siedlungsgeschichte ihres Besitzes bis in die Römische Kaiserzeit zurückreicht, dürfte den Bewohnern aber ebenso wenig bewusst sein wie die Tatsache, dass alle in der näheren Umgebung bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe gleichen Namens – etwa der ebenfalls zwischen 90 und 100 Hektar umfassende Hof von Bernhard Haverkamp im Nachbardorf Hurrel – von abgehenden Söhnen ihres Hofes gegründet oder übernommen wurden.

Macht Adolf selbst sich während der Schulzeit jemals Gedanken darüber, ob auch er später einmal zu dieser Gruppe gehören könnte? Ausgeschlossen ist ein solches Szenario nicht, denn angesichts des in Lintel geltenden Jüngstenrechts kann sein scheinbar vorgezeichneter Lebensweg als Hoferbe jederzeit durch die Geburt eines jüngeren Bruders in Frage gestellt werden. Doch nichts dergleichen geschieht. Als Adolf die Schule verlässt, ist seine jüngste Schwester Klara bereits zehn oder elf Jahre alt und bleibt auch in den folgenden Jahren das Nesthäkchen der Familie. Somit dürfte sich Adolf spätestens von diesem Zeitpunkt an darauf vorbereiten, eines Tages die Nachfolge des Vaters anzutreten. Einzelne Stationen dieser Vorbereitung liegen heute allerdings im Dunkeln.

Wie schnell übergeordnete Ereignisse persönliche Pläne zur Makulatur werden lassen können, zeigt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914. An der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ nimmt Adolf, der vermutlich erst kurz zuvor seinen Wehrdienst abgeschlossen hat, von Beginn an teil. Womöglich ist er sogar dabei, als am 12. August 1914 zahlreiche Oldenburger Rekruten von den Kasernen am Pferdemarkt zum noch im Bau befindlichen Hauptbahnhof ziehen und die Züge Richtung Westfront besteigen. Außer dem Einsatzort Frankreich und der mündlichen Überlieferung, dass Adolf dort unter anderem für die Verpflegung der in großer Zahl eingesetzten Pferde zuständig ist, sind aus dieser Zeit allerdings heute keine weiteren Details mehr bekannt. Immerhin: Anders als seine 1916 gefallenen Schulkameraden Karl Bischoff und Heinrich Brand kehrt Adolf nach dem 1918 geschlossenen Waffenstillstand heil in die Heimat zurück.

Wieder in Lintel, erlebt Adolf den politisch und wirtschaftlich äußerst holprigen Start der Weimarer Republik, die angesichts Ruhrbesetzung, Hitlerputsch und der rasant fortschreitenden Hyperinflation schon nach wenigen Jahren wieder am Ende zu sein scheint. Auch in dieser schwierigen Zeit suchen die Menschen jedoch nach Ablenkung und Unterhaltung – und finden sie unter anderem auf Tanzabenden, wie sie von Albert und Martha Brüns im „Waldgasthof Hasbruch“ veranstaltet werden. Dort lernt Adolf seine künftige Ehefrau Mathilde Plate aus Süderbrook kennen.

Adolf und Mathilde heiraten im Januar 1925. Im Oktober 1926 kommt Sohn Gerd zur Welt, im Dezember 1928 folgt der zweite Sohn Heino. Zu dessen Geburt existiert innerhalb der Familie eine gern erzählte Anekdote: Als Adolf Mathilde nach der Niederkunft in der Frauenklinik besuchen will, fährt er mit seinem Gespann Richtung Oldenburg und überholt eine ältere Fußgängerin. Er hält kurz an und fragt die Frau, ob sie mitfahren möchte, was sie freudig bejaht. Während der Fahrt kommen beide ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass es sich um die Schwiegermutter seines Linteler Nachbarn und Schulkameraden Bernhard Tönjes handelt. Sie ist ebenfalls auf dem Weg in die Frauenklinik, wo am selben Tag wie Heino Bernhards Sohn Martin geboren ist. Dass beide Kinder fortan eine lebenslange Freundschaft verbindet, versteht sich anhand dieser Umstände fast schon von selbst.

Das Jahr 1928 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Weimarer Republik. Aus der am 20. Mai abgehaltenen Reichstagswahl ist die SPD als Siegerin hervorgegangen, in einer von Reichskanzler Hermann Müller geführten Koalition regieren insgesamt fünf Parteien. Die NSDAP von Adolf Hitler, der nach seinem 1923 gescheiterten Putschversuch knapp acht Monate in Festungshaft verbracht hat, rangiert mit einem Stimmenanteil von 2,6 Prozent unter ferner liefen. Im folgenden Jahr dagegen kann die NSDAP bei fast allen Urnengängen zulegen, bei den Landtagswahlen von Thüringen im Dezember 1929 erreicht sie bereits 11,3 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt sind die Folgen der zwei Monate zuvor in den USA ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise in Deutschland noch gar nicht zu spüren. Als sie es schließlich sind, gibt es kein Halten mehr: 18,3 Prozent bei der Reichstagswahl im September 1930, 37,1 Prozent bei der Landtagswahl in Hessen im November 1931 und 48,4 Prozent bei der Landtagswahl im Freistaat Oldenburg im Mai 1932. In Oldenburg können die Nationalsozialisten nach der Wahl erstmals die Regierung stellen. Acht Monate später beruft Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und läutet damit den Beginn der NS-Zeit ein.

Eine Zeit, die auch in Lintel massive Veränderungen mit sich bringt – was Adolf aber vermutlich bereits nicht mehr mit allen Sinnen registriert. Denn spätestens von Mitte der 1930er Jahre an verschlechtert sich sein Gehör kontinuierlich. Der Verlust ist genetisch bedingt und reicht bis nah an die Taubheit heran, woraufhin Adolf sich aus dem öffentlichen Leben mehr und mehr zurückzieht. Was ihn freilich nicht vor den Konsequenzen der von den neuen Machthabern verfolgten Politik bewahrt. Als der im September 1939 mit dem Überfall auf Polen begonnene Zweite Weltkrieg fünfeinhalb Jahre später mit der Besetzung ganz Deutschlands endet, kann er noch von Glück sagen, dass seine zu Wehrmacht und Volkssturm eingezogenen Söhne das Inferno ähnlich wie er selbst 27 Jahre zuvor unversehrt überstanden haben. Und natürlich, dass sein Hof im Oldenburger Land steht und nicht in Ostpreußen, Pommern, Schlesien oder im östlichen Brandenburg, wo als direkte Folge des Krieges Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

So groß das Chaos der ersten Nachkriegsjahre auch ist – spätestens mit der im Juni 1948 vollzogenen Währungsreform geht auch auf dem Haverkamp-Hof alles wieder seinen halbwegs gewohnten Gang. Noch im selben Jahr errichtet Adolf auf dem Betriebsgelände eine neue Scheune, im Januar 1950 feiert er mit Ehefrau Mathilde im Gasthof von Friedrich Knutzen Silberhochzeit. Außer für den alteingesessenen Dorfwirt ist es auch für einen zum engsten Familienkreis gehörenden Gast eine Art Abschiedsfeier: Adolfs Vater Georg Haverkamp stirbt am 14. April 1950, knapp vier Wochen vor Friedrich Knutzen.

Aufgrund seiner Schwerhörigkeit lebt Adolf danach weiter relativ zurückgezogen. Trotzdem steht er 1952 unvermittelt im Blickpunkt der Öffentlichkeit und schafft es am 22. August jenes Jahres sogar auf die Titelseite der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“ – noch über einem Nachruf für den zwei Tage zuvor verstorbenen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher. Selbstverständlich völlig unfreiwillig, denn der Anlass ist alles andere als erfreulich: Am Nachmittag des 21. August 1952 bricht im 1794 errichteten Haupthaus des Haverkamp-Hofes ein wahrscheinlich durch Kurzschluss verursachtes Feuer aus und springt kurz darauf auch auf den Viehstall und die ältere der beiden Scheunen über. Trotz des schnellen Eintreffens von insgesamt fünf Löschzügen der umliegenden Feuerwehren gelingt es nicht, die Flammen einzudämmen. „Drei Stunden nach Ausbruch des Brandes war das stattliche Anwesen in eine rauchende Trümmerstätte verwandelt“, schreibt dazu die „Nordwest-Zeitung“ in ihrem Bericht.

Lediglich die neue Scheune, ein Speicher von 1844 sowie ein 1924 errichtetes und bis zum Brandtag von zwei Flüchtlings-Familien belegtes Wohnhaus bleiben von dem Unglück verschont. Dort richtet sich Adolf mit Mathilde, Heino und dem vorzeitig von einem Schweiz-Aufenthalt zurückkehrenden zweiten Sohn Gerd notdürftig ein. Trotz des beträchtlichen und nicht vollständig durch Versicherungen abgedeckten Schadens beginnt er unverzüglich mit dem Wiederaufbau. Schon im Oktober 1952 steht die Dachkonstruktion des neuen Schweinestalls, vier Wochen später hängt die Richtkrone über dem neuen Haupt-Wirtschaftsgebäude, und am 17. April 1953 meldet die „Nordwest-Zeitung“ (dieses Mal allerdings nur auf Seite 11) mit der Überschrift „Schöner als zuvor wieder errichtet“ Vollzug.

In der Frage, wer nach ihm den Nutzen von der Runderneuerung des Hofes haben soll, sieht Adolf keinen Grund, vom seit Jahrhunderten angewandten Jüngstenrecht abzuweichen. Gerd, der im September 1953 Traute Francksen aus Klein Tossens heiratet, übernimmt daraufhin zunächst den Hof seiner Großeltern Hinrich und Gesine Plate in Süderbrook und später dann den Betrieb seiner Schwiegereltern in der Gemeinde Butjadingen. Heino wiederum heiratet im November 1957 Linda Schwarting aus Hurrel. Aus dieser Ehe gehen mit Meike (Mai 1958) und Elke (Dezember 1959) zwei Töchter hervor, was Adolf zweifellos freut. Als traditionsbewusster Großbauer – da kann er nur schwer aus seiner Haut – hofft er jedoch zusätzlich auf männliche Nachkommen. Eine Hoffnung, die im März 1965 mit der Geburt der Zwillinge Michael und Ralf gleich doppelt erfüllt wird. Vier weitere Enkelsöhne (Jörg, Hendrik, Thomas, André) und eine Enkeltochter (Hilke) steuern Gerd und Traute in Süderbrook bei.

Von den 1970er Jahren, die in puncto Emanzipation und Frauenrechte diverse Verbesserungen bringen, erlebt Adolf nur die Anfänge mit. Er erkrankt an Leberkrebs, der ihn am 24. April 1972 das Leben kostet. Beerdigt ist Adolf am 28. April 1972 – einen Tag nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt – auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.