Anna Hoffrogge – Biographie

Anna Catharine Hoffrogge wird am 14. Dezember 1883 als drittes Kind von Johann Georg Gode und Anna Gesine Catharine Gode auf dem elterlichen Hof in Altmoorhausen (heute: Hanna Gode) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Johann Hinrich Gode und Anna Mathilde Hermine Beneke und die ältere Schwester von Adele Gesine Gode.

Drei Tage vor Annas Geburt erreicht der deutsche Bakteriologe Robert Koch mit einem Expeditions-Team von Alexandria aus kommend die indische Hafenstadt Kalkutta. In der ägyptischen Metropole hatte sich der durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Tuberkulose weltweit bekannt gewordene Mediziner auf die Spur des Cholera-Erregers machen wollen – war aber zu spät gekommen: Die im Laufe des Sommers in der Nähe von Alexandria ausgebrochene Epidemie hatte ihren Höhepunkt bereits überschritten, zudem versagten aufgrund der Hitze die von Koch angewandten Analysemethoden. In Indien hingegen, wo ebenfalls gerade eine neue Welle der dort seit Jahrhunderten heimischen Cholera durchs Land rollt, sind die Temperaturen in den Wintermonaten niedrig genug für weitergehende Untersuchungen, wenn auch maximal bis Ende Februar.

Koch verliert deshalb keine Zeit. Direkt nach der Ankunft richtet er im Medical College Hospital von Kalkutta ein Labor ein und beginnt am 14. Dezember 1883 mit der Obduktion der ersten Cholera-Leichen. Dabei stößt er in der Darmschleimhaut der Toten auf dieselben kommaförmigen Bakterien, die er vereinzelt auch schon in Ägypten gesehen hat. Diesmal gelingt es ihm, sie zu isolieren und separat zu züchten. Ferner weist Koch nach, dass die im Darm der Leichen gefundenen Bakterien ausschließlich der Cholera zuzuordnen sind – ein Meilenstein in der medizinischen Forschung.

Im nächsten Schritt widmet sich Koch der Frage, warum es immer wieder zu epidemischen Ausbrüchen der Krankheit kommt. Dabei hilft ihm das statistische Material, das Ärzte der britischen Kolonialverwaltung zur Verfügung stellen. Demzufolge ist die Cholera-Sterblichkeit in Kalkutta seit der 1869 erfolgten Installation einer zentralen, mit Filter versehenen Trinkwasseranlage um zwei Drittel gesunken. Koch folgert daraus, dass der Cholera-Erreger mit dem Wasser übertragen wird und findet auch eine Erklärung dafür, warum die Sterblichkeit seit einigen Jahren erneut steigt. Die Kapazität der Trinkwasseranlage reicht nämlich inzwischen nicht mehr aus, um den wachsenden Bedarf zu decken. Wieder mehr Menschen sind deshalb auf Wasserstellen angewiesen, in denen zeitgleich gebadet und Wäsche gewaschen wird und die überdies ungefiltert Fäkalien aufnehmen. Im Falle eines der von ihm obduzierten Cholera-Toten kann Koch sogar den direkten Zusammenhang nachweisen.

Als die Expedition im Mai 1884 nach Berlin zurückkehrt, wird Koch von der Fachwelt gefeiert. Dennoch dauert es noch einige Jahre, bis seine Erkenntnisse in der Praxis Veränderungen bewirken. In Hamburg etwa schaffen es Senat und Bürgerschaft bis Anfang der 1890er Jahre nicht, sich auf den Bau einer Filteranlage für das der Elbe entnommene Trinkwasser zu einigen. Folge ist die verheerende Cholera-Epidemie von 1892, die mehr als 8.000 Todesopfer fordert. „Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde“, lautet prompt Robert Kochs entsetzter Kommentar nach einem Besuch der für ihre unhygienischen Lebensverhältnisse berüchtigten Gängeviertel der Stadt.

Bei Ausbruch der Hamburger Cholera-Epidemie im August 1892 ist Anna in Lintel bereits seit mehr als fünf Jahren Halbwaise. Vater Johann Georg stirbt im Februar 1887 an der allem medizinischen Fortschritt zum Trotz nach wie vor häufig tödlich endenden Volksseuche Tuberkulose. Dasselbe gilt für Annas jüngste, im Januar 1886 geborene Schwester Adele Gesine, ihr Lebensweg ist im Mai 1888 zu Ende. Obwohl Mutter Anna Gesine Catharine beim Tod des Ehemannes erst 28 Jahre alt ist, heiratet sie nicht wieder und führt den seit 1875 im Besitz der Familie befindlichen Hof mit Hilfe ihres inzwischen selbst schon zweimal verwitweten Vater Heinrich Rodiek fort. Dass Anna und ihre beiden überlebenden Geschwister von Kindesbeinen an in die Bewirtschaftung einbezogen werden, versteht sich dabei von selbst.

Mit Bruder Johann Hinrich und Schwester Anna Mathilde Hermine besucht Anna seit 1890 die von ihrem Elternhaus weniger als einen Kilometer entfernt liegende Volksschule Altmoorhausen. Alle drei arbeiten vermutlich nach Schulentlassung und Konfirmation zunächst weiter auf dem mütterlichen Hof mit, da Großvater Heinrich zunehmend altersschwach wird und 1899 ebenfalls stirbt. Danach führt Johann Hinrich Gode den Hof weiter, von 1903 an mit Ehefrau Annchen Hoffrogge aus Lintel. Anna Mathilde Hermine Gode, seit 1902 mit Fritz Beneke aus Zwischenahn verheiratet, kauft mit ihrem Ehemann 1904 eine ehemalige, an der Linteler Straße in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Heuerstelle (heute: Hartmut und Susanne Beneke).

Anna wiederum heiratet im April 1904 Diedrich Hoffrogge, den älteren Bruder ihrer Schwägerin Annchen. Diedrich ist erst im Jahr zuvor aus Lothringen zurückgekehrt, wo er auf der Zitadelle von Bitsch seinen Militärdienst abgeleistet hat. Ob er danach noch kurz auf den elterlichen Hof (heute: Hella und Kurt Bisanz) zurückgekehrt ist oder sich gleich auf dem ebenfalls an der Linteler Straße gelegenen Hof seiner unverheirateten Großtante Ahlke Margarete Barkemeyer (heute: Gerrit und Linda Schlötelburg) niedergelassen hat, vermag heute niemand mehr mit Gewissheit zu sagen. Dasselbe gilt für den genauen Geburtsort von Annas und Diedrichs Sohn Heinrich Georg, der im März 1905 zur Welt kommt. Die folgenden drei Kinder Alma (Juni 1906), Mathilde (Januar 1908) und Hans (März 1909) sind jedoch mündlicher Überlieferung zufolge alle auf dem Barkemeyer-Hof geboren, den Anna und Diedrich nach dem Schlaganfall-bedingten Tod von Ahlke Margarete Barkemeyer im Juli 1908 weiterführen.

Anfang Juni 1913 stirbt in Altmoorhausen Annas Mutter. Knapp 13 Monate später fällt in Sarajevo der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand einem Attentat zum Opfer. Ein Ereignis mit weitreichenden Folgen: Am sich daraus entzündenden Ersten Weltkrieg nehmen sowohl Annas Bruder Johann Hinrich als auch Ehemann Diedrich und dessen jüngerer Bruder Georg teil. Am Ende kehrt nur Diedrich lebend nach Hause zurück.

In den chaotischen Monaten nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne mit Kaiser-Sturz, Ausrufung der Republik und politischen Richtungskämpfen müssen Anna und Diedrich Anfang 1919 eine grundlegende Frage klären: Bleiben sie auf ihrem Hof oder siedeln sie auf den Hof von Diedrichs Eltern über, dem es nach dem Tod von Georg Hoffrogge an einem männlichen Grunderben fehlt? Die Entscheidung fällt beiden vermutlich nicht allzu schwer, denn der letztgenannte Hof verfügt allein schon von seiner Größe her über die deutlich besseren Möglichkeiten. Gleichwohl bleibt auch der zweite Hof in Familienbesitz – schon um dem älteren und damit in der Erbfolge nur auf Rang 2 stehenden älteren Sohn Heinrich Georg ebenfalls die Möglichkeit zu eröffnen, später eigenverantwortlich als Landwirt zu arbeiten. Gedankenspiele, die nach dem plötzlichen Tod von Heinrich Georg im Juni 1921 freilich hinfällig werden.

Der Schmerz über den Verlust dürfte Anna lange zu schaffen machen. Restlos abschütteln kann sie ihn wahrscheinlich nie, mögen bald auch andere Probleme den Alltag bestimmen. Davon gibt es wie für alle Angehörigen ihrer Generation reichlich – angefangen von der erst Ende 1923 gestoppten Hyperinflation über deren ruinöse Folgen für die Landwirtschaft bis hin zur aus den USA herüberschwappenden Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre. Die radikalen Lösungen, die die seit Anfang 1933 regierenden Nationalsozialisten anbieten, mögen auf den ersten Blick Wirkung entfalten. Moralisch sind sie jedoch schon allein aufgrund ihrer völkischen und sozialdarwinistischen Grundlagen zutiefst verwerflich und zudem außenpolitisch brandgefährlich, mag Letzteres in den ersten Jahren der NS-Herrschaft auch nicht jedem Betrachter sofort ins Auge fallen.

Für Anna sind die 1930er Jahre davon losgelöst vor allem durch permanenten Familienzuwachs gekennzeichnet. Alle drei ihr verbliebenen Kinder heiraten, mit Almas Tochter Hanna wird schon im August 1931 das erste Enkelkind geboren. Mit Gernot, Christa, Gunda, Edith, Hilmar und Erika kommen bis zum Ende des Jahrzehnts sechs weitere hinzu. Dann bricht mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg los, der in Annas direktem Umfeld eine neue Lücke reißt: Schwiegersohn Johann Schlötelburg, Ehemann von Mathilde sowie Vater von Gernot und Erika, verliert während des Russland-Feldzugs unter nie geklärten Umständen sein Leben.

Im September 1946 wird Anna zum letzten Mal Großmutter: Hans‘ Ehefrau Käte bringt Tochter Traute zur Welt. Sie sieht Anna in den folgenden Jahren zusammen mit den Schwestern Christa und Edith auf dem Hoffrogge-Hof aufwachsen, ehe eine möglicherweise schon länger zurückliegende Infektion mit Tuberkulose ihr mehr und mehr die Kraft raubt. Anna stirbt am 1. März 1953 und wird vier Tage später in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche beerdigt.