Anna Osterloh – Biographie

Anna Bernhardine Henriette Osterloh wird am 5. November 1872 als drittes Kind von Carsten Hinrich Rulfs und Gesine Marie Rulfs in Neuenkoop geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Caroline Mathilde Johanne Albers und Mathilde Friederike Rulfs und die ältere Schwester von Sophie Johanne Christine Rulfs und Johann Heinrich Christian Rulfs.

In den Tagen um Annas Geburt zieht über der Ostsee eine Sturmflut auf, die in ihrem Ausmaß bis heute unübertroffen ist und amtlichen Statistiken zufolge mindestens 271 Menschen das Leben kostet. Rund ein Drittel von ihnen ereilt dieses Schicksal an Bord eines Schiffes oder Bootes, das es nicht mehr in einen sicheren Hafen schafft. Hinzu kommen mehr als 10.000 tote Haus- und Nutztiere. Das Drama beginnt am 1. November 1872 mit einem langanhaltenden Tiefdruckgebiet, begleitet von zeitweise stürmischen Winden aus westlicher und südwestlicher Richtung. Sie peitschen die Ostsee Richtung Finnland und Baltikum, so dass durch das Skagerrak reichlich Wasser aus der Nordsee nachfließt. Am 10. November dreht dann der Wind unvermittelt von Südwest auf Nordost. Dadurch entsteht der gefürchtete Badewannen-Effekt: Das Meer schwappt mit Macht zurück Richtung Westen und überschwemmt weite Küstenregionen in Dänemark, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Pommern.

Ihren Höhepunkt erreicht die Flut in den Morgenstunden des 13. November. Am schlimmsten trifft es die dänischen Inseln Lolland und Falster, wo die Deiche brechen und insgesamt 80 Menschen ertrinken oder unter den Trümmern ihrer durch die Wassermassen einstürzenden Häuser begraben werden. Dasselbe Schicksal erleiden zehn Einwohner von Dahme bei Oldenburg/Holstein, dem Ort mit den meisten Opfern auf deutscher Seite. Gewaltige Schäden meldet auch Eckernförde: Das gesamte Stadtgebiet wird überflutet und von der Außenwelt abgeschnitten. Am Ende sind 87 Häuser zerstört und 137 weitere beschädigt, 112 Familien obdachlos. Da das Wasser in Eckernförde vergleichsweise langsam steigt, bleibt den Menschen dort an jenem verhängnisvollen Morgen allerdings länger Zeit als andernorts, sich in Sicherheit zu bringen – Tote sind nicht zu beklagen.

Nach den ersten Aufräumarbeiten, die das ganze Ausmaß der Katastrophe offenbaren, rollt im Anfang 1871 neu gegründeten Deutschen Reich eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft durchs Land. Überall bilden sich lokale Komitees und sammeln Spenden, deren zentrale Koordination der am 30. November 1872 in Berlin gegründete „Deutsche Hilfsverein für die Notleidenden an der Ostseeküste“ übernimmt. Da gleichzeitig das Land Preußen mit großzügigen Hilfen einspringt, haben die überlebenden Geschädigten Glück im Unglück: Sie bekommen ihre Verluste am Ende nahezu vollständig erstattet.

Elementare Naturereignisse wie eine Sturmflut stellen im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts beileibe nicht nur an den Küsten eine stete Gefahr dar. Überschwemmungen drohen Bewohnern der Wesermarsch seit jeher von gleich drei Seiten: im Süden durch die Ochtum, im Norden durch die Weser und im Westen durch die Hunte. Zum Schutz errichtete Dämme und Deiche existieren seit dem 11. Jahrhundert, und mag Neuenkoop auch nicht im Zentrum dieser Bedrohungen stehen, so beträgt die Entfernung zum direkt an der Hunte liegenden Nachbardorf Neuenhuntorf doch gerade einmal fünf Kilometer.

Größere Hunte- und Weser-Hochwasser wie jenes aus dem Januar 1841 sind aus Annas Kinder- und Jugendzeit allerdings nicht überliefert – so wie heute auch vieles andere aus dieser Lebensphase im Dunkeln liegt. Gesichert ist unter anderem, dass sie kaum Erinnerungen an ihre zweitälteste Schwester haben kann: Mathilde Friederike Rulfs stirbt am 21. Dezember 1874 im Alter von nur vier Jahren und ist an Heiligabend jenes der Familie sicher als wenig glücklich in Erinnerung bleibenden Jahres in Berne beerdigt.

Sehr wahrscheinlich ab 1879 besucht Anna die dorfeigene Volksschule, wo unter anderem Heinrich Bruns zu ihren in etwa gleichaltrigen Mitschülern gehört. Ihn trifft sie möglicherweise Mitte der 1890er Jahre in Lintel wieder, wo Heinrich nach seiner Heirat mit Meta Catharine Siemering im September 1896 eine Zeitlang lebt. Sicher ist dies allerdings nicht: Als nämlich Anna im Mai 1899 den gebürtigen Linteler Hermann Heinrich Osterloh heiratet, wohnt ihr ehemaliger Schulkamerad bereits seit ungefähr einem Jahr in Hude.

In Lintel bewirtschaften Annas Schwiegereltern Diedrich und Ahlke Margarete Osterloh einen 1821 begründeten Hof (heute: Helga Stolle), den Anna und Ehemann Hermann Heinrich bald nach der Heirat übernehmen. Mit dem nach seinem Großvater benannten Erstgeborenen Diedrich (März 1900) und dem zweiten Sohn Heinrich (Mai 1905) bringt Anna kurz nach der Jahrhundertwende zwei Kinder zur Welt.

Über die folgenden Jahre in Annas Leben sind abermals nur wenige Details überliefert, etwa der durch Altersschwäche bedingte Tod von Schwiegermutter Ahlke Margarete im Januar 1912. Zweieinhalb Jahre später beginnt der Erste Weltkrieg, an dem Ehemann Hermann Heinrich allem Anschein nach zunächst teilnimmt. Nach einer im Herbst 1914 erlittenen Verwundung kehrt er wahrscheinlich vorzeitig nach Hause zurück. Dem älteren Sohn Diedrich wiederum, bei Kriegsbeginn 14 Jahre alt, bleibt zu Annas großer Erleichterung ein Fronteinsatz erspart. Eines lässt sich aber wohl trotzdem mit Sicherheit sagen: Die „gute alte Zeit“, von der Anna einem 1959 erschienenen Artikel der Nordwest-Zeitung zufolge so gern erzählt, fällt gewiss nicht in diese millionenfach Leid produzierende und mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs endende Phase der deutschen Geschichte.

Im April 1918 stirbt Annas Schwiegervater, ebenfalls an Altersschwäche. Die folgenden Jahre, eingebettet in die politischen und wirtschaftlichen Wirren der jungen Weimarer Republik, sind für sie geprägt von harter Arbeit – gilt es doch, auf dem Osterloh-Hof die letzten Reste des von der Familie beackerten und zum Teil noch aus Heidefläche bestehenden Besitzes urbar zu machen. Dabei helfen beide Söhne tatkräftig mit, auch wenn der jüngste Sohn Heinrich gemäß Jüngstenrecht frühzeitig als Hoferbe feststeht.

Mit Diedrichs Ehefrau Marie Bitter aus Hude bekommt Anna im August 1925 eine Schwiegertochter ins Haus, der drei Monate später mit deren Sohn Heinz das erste Enkelkind folgt und 1927 mit Enkeltochter Grete  ein zweites. Im April 1931 stirbt dann Ehemann Hermann Heinrich im Alter von 63 Jahren an Tuberkulose. Kurz darauf zieht Diedrich mit seiner Familie nach Holle. Lange dauert es indes nicht, bis sich das Haus wieder füllt: Im September 1932 heiratet Hoferbe Heinrich Magda Janzen aus Hudermoor, die als Dienstmagd des benachbarten Bauern Johann Dählmann schon eine Weile in Lintel lebt. Die auf ihren Höhepunkt zusteuernde Weltwirtschaftskrise sorgt derweil für einen verhängnisvollen Machtwechsel: Als Anna im Juni 1933 mit der Geburt von Heinrichs und Magdas Sohn Hermann zum dritten Mal Großmutter wird, regieren in Berlin bereits die Nationalsozialisten.

Mag bei der Geburt der nächsten Enkelkinder Günter (Juni 1936) und Irma (März 1939) auch noch Frieden herrschen – der nächste Krieg wirft allen gegenteiligen Beteuerungen der NS-Führung um Adolf Hitler zum Trotz bereits seine Schatten voraus. Er beginnt nur ein halbes Jahr nach Irmas Geburt mit dem deutschen Überfall auf Polen. Im vierten Kriegsjahr erhält auch Sohn Heinrich noch einen Stellungsbefehl zur Wehrmacht, so dass Anna mit Schwiegertochter Magda und den mittlerweile fünf auf dem Hof lebenden Enkelkindern (die beiden jüngsten, Helga und Karl-Heinz, sind im Juni 1940 beziehungsweise im Mai 1943 geboren) zwei bange Jahre lang auf seine Rückkehr warten muss. Immerhin, er kehrt zurück. Das macht die auf die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht folgende alliierte Besatzung und den Hungerwinter 1946/47 bei allen damit verbundenen Entbehrungen ein Stück weit erträglicher.

Auch in ihrer letzten Lebensphase, die mit den Wirtschaftswunder-Jahren die ersehnten besseren Zeiten bringt, ist Anna Heinrich und Magda auf dem Hof „stets mit Rat und Tat zur Stelle“, wie die NWZ 1959 anlässlich ihres 87. Geburtstages schreibt, und unterstützt die beiden bei der täglichen Haus- und Küchenarbeit. Weniger als ein halbes Jahr später erlahmen jedoch ihre Kräfte: Anna stirbt am 9. Mai 1960 an Altersschwäche und wird drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.