Annchen Sparke – Biographie

Annchen Gesine Sparke wird am 27. Oktober 1878 als drittes Kind von Hinrich von Seggern und Anna von Seggern auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Christa und Erwin Haverkamp) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Meta Ertel und Johann Hinrich von Seggern und die ältere Schwester von Georg von Seggern.

Die letzte Oktoberwoche des Jahres 1878 steht in Verbindung mit zwei äußerst schillernden Gangster-Persönlichkeiten. Der eine von ihnen ist Ned Kelly – ein australischer Bushranger, den viele Landsleute bis heute als eine Art Robin Hood verehren. Für ihn gibt es seit dem 26. Oktober definitiv kein Zurück mehr in sein früheres Leben: An diesem Tag spüren vier Polizisten Kelly, seinen jüngeren Bruder Dan und die Kumpane Joe Byrne und Steve Hart in ihrem rund 250 Kilometer nördlich von Melbourne gelegenen Versteck auf. Es kommt zu mehreren Feuergefechten, die drei der Polizisten das Leben kosten. Daraufhin setzt die britische Kolonialverwaltung von Victoria auf Ned Kelly ein Kopfgeld von 500 Pfund aus und sichert Straffreiheit für jeden zu, der ein Mitglied seiner Gang erschießt.

Trotz des für damalige Verhältnisse absurd hohen Kopfgeldes, das später sogar auf 2.000 Pfund erhöht wird, gelingt es der Kelly Gang fast zwei Jahre lang immer wieder, dem Zugriff der Polizei zu entgehen. Rückhalt genießt Kelly vor allem unter irischstämmigen Australiern, deren Unterdrückung durch die britischen Behörden er in einem nach einem Banküberfall zurückgelassenen Brief wortreich beklagt. Unter anderem fordert Kelly darin die Gründung eines Hilfsfonds für die Armen, der sich aus dem Landverkauf von Großgrundbesitzern speisen soll. Nach mehreren weiteren Überfällen und Geiselnahmen geht Kelly der Polizei am 27. Juni 1880 dann doch ins Netz. Er wird vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und am 11. November 1880 in Melbourne gehängt. Sein bewegtes Leben ist seither in zahlreichen Liedern besungen und mehrfach verfilmt worden – unter anderem 1970 mit Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger in der Titelrolle.

Die zweite Gangster-Persönlichkeit ist der Amerikaner George Leslie. Hinter der Fassade eines zur High Society von New York gehörenden Ehrenmannes raubt er in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts mit seiner Bande zahlreiche Banken aus – nicht mit vorgehaltenem Revolver, sondern anhand akribisch geplanter Einbrüche, bei denen diverse technische Hilfsmittel den Weg ebnen. Als Leslies größter Coup gilt heute ein von ihm drei Jahre lang vorbereiteter Überfall auf die Manhattan Savings Institution, bei dem die Täter am 27. Oktober 1878 mehr als 2,7 Millionen US-Dollar erbeuten. Leslie selbst ist zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits seit fast fünf Monaten tot – ermordet mutmaßlich von einem Mitglied seiner eigenen Bande. Die Hintergründe dieses Jahrhundert-Bankraubs hat der US-Autor J. North Conway 2009 in der Dokumentation „King of Heists“ aufgearbeitet.

Jahrhundert-Verbrechen im Deutschen Reich, anno 1878? Da kommen einem allenfalls die Kaiser-Attentäter Max Hödel und Karl Eduard Nobiling in den Sinn, die heute aber längst vergessen sind. Immerhin liefern sie Reichskanzler Otto von Bismarck den Vorwand für das von ihm initiierte Sozialistengesetz, das am 22. Oktober 1878 in Kraft tritt.

Als das gegen die aufstrebende Sozialdemokratie gerichtete Gesetz im September 1890 nach mehreren Verlängerungen ausläuft, besucht Annchen bereits seit fünf Jahren die Volksschule im Nachbardorf Lintel. Aus Hurrel gehören dort unter anderem Annchen Barkemeyer, Meta Barkemeyer, Johanne Heinemann, Mathilde Lüning, Bernhard Wilkens und Hinrich Wilkens zu ihren in etwa gleichalten Mitschülern.

Ob Annchen nach Schulabschluss und Konfirmation noch wie damals üblich auf einem anderen Hof in Stellung geht, liegt heute im Dunkeln. Allzu lange oder allzu weit entfernt kann es jedoch nicht gewesen sein, denn ihr künftiger Ehemann Johann Diedrich Haverkamp aus Lintel, den sie schon seit der gemeinsamen Schulzeit kennt, arbeitet kurz nach der Jahrhundertwende als Landwirtsgehilfe in Hurrel. Vielleicht sogar auf dem von-Seggern-Hof, denn Annchens Vater Hinrich stirbt bereits Anfang 1899. Zu diesem Zeitpunkt lebt auch der ältere Bruder Johann Hinrich nicht mehr –  er ist im Dezember 1895 wenige Wochen vor seinem 18. Geburtstag gestorben.

Ob das junge Paar nach der Hochzeit im April 1906 auf dem Von-Seggern-Hof wohnt und ob dort auch die beiden Kinder Emil (geboren im August 1906) und Alwine (Januar 1908) zur Welt kommen, lässt sich ebenfalls nur vermuten. Dass es irgendwo in Hurrel sein muss, ergibt sich allerdings zweifelsfrei aus den Eintragungen des Huder Kirchenbuchs.

Eine gleich zweifache Wende nimmt Annchens Leben in den Jahren 1909 und 1910. Nach dem Tod von Schwiegervater Hinrich August Haverkamp zieht sie zunächst mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern auf den von Hinrich August geerbten, in Lintel am Schottweg gelegenen Hof (heute: Frederik Holst). Dort ist sie aber schon bald auf sich allein gestellt, denn Johann Haverkamp erkrankt an der Lunge und stirbt am 6. Juni 1910.

Wie lange Annchen nach Johanns Tod noch am Schottweg wohnt, ist nicht exakt überliefert. Es steht jedoch zu vermuten, dass sie bei der Bewirtschaftung des nun ihr gehörenden Hofes Hilfe aus Hurrel erhält, in erster Linie von Bruder Georg. Spätestens als dieser im Juli 1915 im nordfranzösischen Salomé als einer der ersten Hurreler Frontsoldaten dem Ersten Weltkrieg zum Opfer fällt, zieht Annchen jedoch mit den Kindern an den Ort ihrer Geburt zurück und bewirtschaftet fortan mit ihrer beim Tod des Bruders bereits 72 Jahre alten Mutter unter größten Anstrengungen beide Höfe. Letztlich umsonst, denn 1920 muss sie Erzählungen aus der Familie zufolge den Linteler Hof verkaufen, um mit dem Erlös ein für die Fortführung des Stamm-Hofes dringend benötigtes Ackerpferd zu bezahlen.

In den folgenden Jahren wird es etwas leichter für Annchen – Sohn Emil hat die Schule abgeschlossen und arbeitet voll in der Landwirtschaft mit. Weitere Hilfe kommt in Gestalt von Georg Sparke aus Maibusch, den Annchen im Mai 1920 in zweiter Ehe heiratet. Danach besteht der Familienhaushalt bis zum Auszug von Tochter Alwine aus fünf Personen, denn Annchens 1842 geborene Mutter Anna gehört zur damals wie heute eher seltenen Spezies von Hurrelern, die ein Alter von mehr als 90 Jahren erreichen. Annchen selbst ist es dagegen nicht einmal vergönnt, den 60. Geburtstag zu erleben: Sie stirbt am 22. November 1936, zwei Jahre nach Emils Hochzeit mit Marta Nehls. Beerdigt wird sie wenige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.