Anny Dählmann – Biographie

Anny Gesine Dählmann wird am 13. August 1909 als erstes Kind von Hinrich Schröder und Gesine Schröder auf dem elterlichen Hof in Neuenkoop geboren. Sie ist die ältere Schwester von Hanna Rodiek, Gertrud Essmann und Dietrich Schröder.

Vier Tage nach Annys Geburt endet der dreiwöchige Belagerungszustand, den Spaniens Zentralregierung in Madrid Ende Juli 1909 über Barcelona und andere katalanische Städte verhängt hat. Vorangegangen sind massive Arbeiter-Proteste, die sich an der Einberufungspraxis zum Militärdienst entzünden: Weil die Kolonialtruppen in Marokko im Krieg gegen die dort beheimateten Rif-Kabylen Verstärkung benötigen, lässt Ministerpräsident Antonio Maura Montaner 40.000 Reservisten mobilisieren – darunter viele Familienväter aus Katalonien. Wer über ausreichend Vermögen verfügt, kann sich allerdings davon freikaufen. Eine klare Benachteiligung der unteren Schichten, deren Angehörige diese Möglichkeit nicht haben. Die Folge ist ein Generalstreik, den Anarchisten und sonstige Gegner der Monarchie für ihre Zwecke zu nutzen versuchen und der rasch außer Kontrolle gerät.

Außer gegen die Regierung und König Alfonso XIII. richtet sich der Zorn auch gegen die katholische Kirche, deren Vertreter als Erfüllungsgehilfen der herrschenden Klassen gelten. Allein in Barcelona gehen mehr als 20 Kirchen, Klöster und katholische Schulen in Flammen auf. Die Obrigkeit schlägt daraufhin mit aller Härte zurück: Unter den Kugeln von Polizei und Armee sterben bis zu 150 Demonstranten und unbeteiligte Zivilisten. Die der Niederschlagung der Revolte nachgelagerte Strafverfolgung trägt darüber hinaus höchst willkürliche Züge. Insgesamt nimmt das Militär mehr als 2.500 Personen fest, von denen rund 1.700 der bewaffneten Rebellion für schuldig gesprochen werden. Fünf der 17 zum Tode verurteilten Angeklagten werden hingerichtet, darunter als angeblicher Haupträdelsführer der international bekannte Reformpädagoge Francisco Ferrer. Seine Erschießung am 13. Oktober 1909 löst weltweit Empörung aus.

Auch im Deutschen Reich kommt es nach der Vollstreckung des Urteils zu Protesten und Solidaritätsbekundungen, artikuliert vorwiegend von der größten Oppositionspartei SPD und liberalen Medien wie dem Berliner Tageblatt oder der Frankfurter Zeitung. Dort heißt es unter anderem, Ferrer sei allein wegen seiner freien Meinungsäußerung vor dem Exekutionskommando gelandet: „Eine Schmach, die dem 20. Jahrhundert leider nicht erspart worden ist.“ Für einen Staat wie Spanien sei deshalb „kein Platz mehr in der Reihe menschlich-gesitteter Gemeinschaften“.

Eine Wahrnehmung, die sich schon bald in ihr komplettes Gegenteil verkehrt. Während nämlich der im August 1914 ausbrechende Erste Weltkrieg Begriffe wie Sitte und Menschlichkeit in fast allen anderen europäischen Staaten von einem Tag auf den anderen zu hohlen Phrasen verkommen lässt, erklärt Spanien sich in dem Konflikt für strikt neutral, seine Soldaten nehmen an keinerlei Kampfhandlungen teil. In Neuenkoop hingegen wird Annys Vater wie viele seiner Nachbarn zur Kaiserlichen Armee einberufen und verliert dabei 1917 unter heute in der Familie nicht mehr bekannten Umständen sein Leben.

Als Anny zur Halbwaise wird, besucht sie bereits seit gut einem Jahr die Volksschule im Nachbarort Ochholt. Der bei Wind und Wetter zurückgelegte Fußweg dorthin führt sie eigenen Erzählungen zufolge quer über die zwischen den beiden Dörfern liegenden Moorweiden. Zu Hause ist Anny als älteste Tochter früh in die Bewirtschaftung des kleinen, aber dennoch arbeitsintensiven Hofes eingebunden, den ihre Großeltern Diedrich und Anna Katharine Schröder 1887 gekauft haben. In diesem Umfeld sind die folgenden Jahre geprägt vom Zusammenbruch des Kaiserreichs, der Ausrufung der Weimarer Republik und der sich Anfang der 1920er Jahre zur Hyperinflation aufschaukelnden Geldentwertung.

Wie ihre 1891 in Louisiana verstorbene Großtante Anna Gesine Ramke in die USA auswandern oder ihr Heil in der damals weit verbreiteten Hollandgängerei suchen zu müssen, bleibt Anny angesichts der mit Einführung der Rentenmark wieder etwas stabileren Lage der deutschen Wirtschaft erspart. Sie arbeitet nach ihrer Schulentlassung und der 1924 in Berne gefeierten Konfirmation in mehreren Haushalten und landwirtschaftlichen Betrieben der näheren Umgebung, unter anderem in Huntebrück und Großenmeer. Daneben besucht sie wie viele andere junge Frauen ihres Alters die Hauswirtschaftsschule.

Gern und relativ häufig ist Anny bei Gerhard und Johanne Schütte zu Besuch. Ihre Großeltern mütterlicherseits bewirtschaften an der Linteler Straße in Reiherholz einen Hof (heute: Gerd Moorbeck). Gut möglich, dass dadurch der Kontakt zur Linteler Dorfjugend zustande kommt und Anny so ihren früheren Nachbarn Heinrich Dählmann wiedertrifft. An den sie aber verständlicherweise keinerlei Erinnerung hat: Beim Wegzug seiner Familie aus Neuenkoop war Anny gerade einmal ein Jahr alt. Dass Heinrich sie als damals Sechsjähriger in ihrem Kinderwagen hin- und hergeschoben hat, wird bei einem dieser Treffen ganz sicher zum Thema, und rasch kommen beide sich näher. Von diesem Moment bis zum Tag ihrer Hochzeit – der 26. März 1931 – ist es nicht mehr allzu fern, woraufhin Anny zu Heinrich und seinem verwitweten Vater Johann auf den Dählmann-Hof nach Lintel (heute: Heiko und Renke Dählmann) zieht. Am 14. März 1932 bringt sie dort Tochter Hanna zur Welt.

Fünf Monate später, an Annys 23. Geburtstag, kommt es in Berlin zu einem Treffen ganz anderer Art: Reichspräsident Paul von Hindenburg empfängt Reichskanzler Franz von Papen und NSDAP-Führer Adolf Hitler und bietet Letzterem angesichts der kräftigen Zugewinne seiner Partei bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 den Posten eines Vizekanzlers im Kabinett Papen an. Hitler lehnt brüsk ab und fordert die ganze Macht für sich, worauf wiederum Hindenburg sich nicht einlässt. Fürs Erste scheint damit der Höhenflug der von der Weltwirtschaftskrise profitierenden Nationalsozialisten gestoppt: Bei der Reichstagswahl vom 6. November 1932 verliert die NSDAP mehr als zwei Millionen Stimmen. Weil aber die wirtschaftliche Lage auch danach eher schlechter als besser wird, ernennt Hindenburg Hitler am 30. Januar 1933 doch noch zum Kanzler – der verhängnisvolle Marsch in den NS-Staat beginnt.

Für Anny und Heinrich wiederum dürfte Politik spätestens mit der Geburt des nächsten Kindes Werner im April 1935 zur Nebensache werden: Ihr Sohn leidet unter einem irreparablen Herzfehler und stirbt bereits 15 Monate später. In den folgenden Jahren ist Anny noch drei weitere Male schwanger, wobei die ausgetragenen Kinder jeweils im Dezember zur Welt kommen: Ursel 1937, Heiko 1941 und Almut 1942.

Obwohl bei Almuts Geburt bereits seit drei Jahren der von Hitler angezettelte Zweite Weltkrieg tobt, hat Ehemann Heinrich bis dahin keinen Stellungsbefehl zur Wehrmacht erhalten. Das ändert sich jedoch nur wenige Monate später, so dass Anny nach dem Tod von Schwiegervater Johann im November 1943 allein für Haus, Hof und Kinder verantwortlich ist. Unterstützung erhält sie in dieser schwierigen Zeit von der aus Ostfriesland stammenden Dienstmagd Wübbine Niemann – die in der Endphase des Krieges mutmaßlich mehreren Schulkindern des Dorfes das Leben rettet, indem sie sie während eines Fliegeralarms rechtzeitig vor einem möglichen Beschuss in den hofeigenen Bunker holt. Wie gefährlich das Leben für die Zivilbevölkerung zwischenzeitlich ist, davon zeugen nach Kriegsende nicht weniger als neun Bombentrichter in unmittelbarer Nähe des Dählmann-Hofes.

Abgesehen von Ehemann Heinrich, der in den letzten Kriegswochen noch durch einen Granatsplitter verletzt wird, kommt allerdings bis zur Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 niemand aus der Familie ernstlich zu Schaden. Glücklicherweise befindet sich Heinrich bereits auf deutschem Boden, so dass er Mitte Juli ohne größere Schwierigkeiten aus dem Lazarett entlassen werden kann und rechtzeitig zu Annys 36. Geburtstag wieder in Lintel eintrifft. Im Jahr 1945 ein Montag, der abermals eng mit einem historischen Ereignis verknüpft ist: Nur einen Tag später erklärt sich Japans Regierung unter dem Eindruck der Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zur bedingungslosen Kapitulation bereit. Damit geht auch an der Pazifik-Front der Zweite Weltkrieg seinem Ende entgegen.

Mögen die nun folgenden Jahre des Wiederaufbaus auch entbehrungsreich sein, ihre Tatkraft und ihren herzerfrischenden Humor verliert Anny darüber nie. Als Heinrich nach der Währungsreform darangeht, den Hof gezielt zu vergrößern, übernimmt sie wie selbstverständlich alle damit verbundenen Aufgaben und versorgt neben Kühen und Schweinen zeitweise bis zu 500 Legehennen. Als die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind, kümmert sie sich zudem um ihre Tante Anna Schütte und ihren Onkel Hinrich Schütte, die beide unverheiratet geblieben sind – sowie um Mutter Gesine, die 1954 auf dem mittlerweile von Annys Bruder Dietrich geführten Schröder-Hof in Neuenkoop stirbt. Im Jahr darauf verlässt nach ihrer Heirat mit Hans Bölts aus Halfstede die älteste Tochter Hanna das Elternhaus.

Das nächste Jahrzehnt beginnt wieder mit einem historischen Ereignis, das auf Annys Geburtstag fällt: dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961. Drei Jahre später bekommt Anny dann mit Bodo Mehrings aus Hurrel und Herbert Meyerholz aus Havekost zwei weitere Schwiegersöhne – was ihr das beruhigende Gefühl vermittelt, alle drei Töchter gut versorgt zu wissen. Sohn Heiko lernt derweil selbst Landwirt und bereitet sich auf die Hof-Nachfolge vor. Fortan können Anny und Heinrich etwas kürzertreten und auch einmal freinehmen, beispielsweise für kurze Busreisen ins Rheinland oder in den Harz. Auch mit Nachbarn wie Hans und Käte Hoffrogge, Jonny und Mimi Büscher oder Adolf und Erna Nutzhorn verstehen beide sich gut, es gibt viele gemeinsame Unternehmungen. Aktiv wie eh und je ist Anny darüber hinaus bei den Landfrauen in Hude, wo sie wie schon zuvor in der Landfrauengruppe Delmenhorst die Position einer Vertrauensfrau bekleidet.

Dem ersten, 1957 geborenen Enkelkind Meike folgen bis 1971 mit Gerd, Anke, Brun, Hille, Anne, Hajo, Hergen und Renke acht weitere. Durch die Verlobung von Sohn Heiko mit Helga Egbers aus Dingstede im Februar 1972 ist absehbar, dass wohl noch mehr hinzukommen werden. Indes, sie lernt Anny nicht mehr kennen: Bald nach der Verlobung erhält sie die Diagnose Lungenkrebs, die sie immer häufiger ans Bett fesselt und schon vor der im September 1972 gefeierten Hochzeit diverse Krankenhaus-Aufenthalte nötig macht.

Annys letzte Tage schildert Schwiegertochter Helga in ihren Erinnerungen wie folgt: „Anfang Januar sagte sie zu Heiko, er solle sich noch eine ordentliche schwarze Jacke für ihre Beerdigung kaufen. Ja, da sind Heiko und ich am 15. Januar 1973 nach Oldenburg gefahren zum Einkaufen. Damit Opa nicht allein blieb bei Oma, war Almut den Tag bei ihr. Oma schlief ständig und war nicht mehr ansprechbar. Abends, als wir wieder zu Hause waren und die Arbeit fertig hatten, stellten wir fest, dass es mit Oma wohl zu Ende ging. Almut blieb die Nacht hier, wir haben abwechselnd bei Oma gesessen. Nach Mitternacht, am 16. Januar 1973, schlief Oma ruhig ein im Alter von 63 Jahren. Wir waren alle sehr traurig!“

Beerdigt ist Anny drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.