Erwin Einemann – Biographie

Erwin Johann Einemann wird am 30. Januar 1938 als zweites Kind von Georg Einemann und Hermanda Einemann auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Guido und Susanne Einemann) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Günter Einemann.

Am Tag von Erwins Geburt finden überall im Deutschen Reich Feiern statt, die an den „Tag der nationalen Erhebung“ fünf Jahre zuvor erinnern sollen. Am 30. Januar 1933 hatte der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg NSDAP-Führer Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und damit das Ende der Weimarer Republik eingeleitet. In Berlin nimmt Hitler aus diesem Anlass auf der Wilhelmstraße eine Parade der nach ihm benannten SS-Leibstandarte ab. Zudem stiftet er per Verordnung zahlreiche neue Orden – unter anderem das Treudienst-Ehrenzeichen für langjährige Beamte, Angestellte und Arbeiter des Öffentlichen Dienstes beziehungsweise der freien Wirtschaft. Ausgezeichnet werden können künftig auch Personen, die sich um das Feuerlöschwesen, den Luftschutz oder als Mitglied einer Grubenwehr um das Volkswohl verdient gemacht haben.

Wie es mit Deutschland im sechsten Jahr der NS-Herrschaft weitergehen soll, hat Hitler bereits in seiner Neujahrsansprache vom 1. Januar 1938 deutlich gemacht: „Stärkung der Nation auf allen Gebieten sei die Parole. Innenpolitisch heißt dies: Stärkung der nationalsozialistischen Erziehung, Erhärtung der nationalsozialistischen Organisation! Wirtschaftspolitisch: Erhöhte Durchführung des Vierjahresplans. Außenpolitisch erfordert dies den Ausbau der deutschen Wehrmacht. Denn nur als starker Staat glauben wir, in einer so unruhevollen Zeit unserem Volk jenes Gut auch in Zukunft erhalten zu können, das uns das köstlichste erscheint: den Frieden. Denn die Wiederaufrichtung der deutschen Nation erfolgt ohne jeden Angriff nach außen, nur durch die Leistung unseres Volkes im Innern.“

Die letzten beiden Sätze sind natürlich blanker Hohn – in Wirklichkeit laufen die Vorbereitungen für einen neuen Krieg bereits auf Hochtouren. Dazu passt, dass eine auf den 29. Januar 1938 datierte Erfindung des Chemikers Paul Schlack zunächst geheim gehalten wird: Der Mitarbeiter der I.G. Farben hat mit Perlon eine als „militärisch wichtiges Material“ eingestufte Kunstfaser entwickelt, aus der in den folgenden Jahren vor allem Fallschirmbezüge und Zeltschnüre hergestellt werden.

Mit dem Anschluss Österreichs und dem Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei zur Abtretung des Sudetenlandes zwingt, gelingen Hitler im weiteren Verlauf des Jahres zwei spektakuläre außenpolitische Erfolge. Aber auch die gegen Juden gerichteten und mutmaßlich mehr als 1.300 Menschenleben fordernden Novemberpogrome fallen in Erwins Geburtsjahr. Im März 1939 lässt Hitler mit dem Einmarsch in Tschechien endgültig die Maske des friedliebenden Landesvaters sinken. Sechs Monate später löst der Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus.

Anders als viele Linteler Nachbarn erhält Erwins Vater Georg – wahrscheinlich damals schon schwer magenkrank – bei Kriegsausbruch keinen Stellungsbefehl zur Wehrmacht. Er stirbt 1943. Als Erwin im Herbst des folgenden Jahres in die dorfeigene Volksschule eingeschult wird, hat Mutter Hermanda den von ihren Eltern Johann Hermann und Mathilde Wesemann übernommenen Hof an der Linteler Straße bereits an Heinrich und Martha Wiechmann verpachtet, wohnt aber mit ihren beiden Söhnen weiter auf einem Teil des Anwesens. Das erste Schuljahr geht dann für Erwin und seine gleichaltrigen Mitschüler Heinz Grashorn, Bernhard Krey, Bernhard Neuhaus und Manfred Pöpken (bei den Mädchen sind unter anderem Gunda Schlötelburg, Irmgard Wilkens und Hanna Wenke im gleichen Jahrgang) im Chaos der letzten Kriegsmonate und der Einnahme Lintels durch kanadische Truppen im Frühjahr 1945 unter.

Danach beginnt eine neue Zeit – frei von der von Adolf Hitler Anfang 1938 angesprochenen nationalsozialistischen Erziehung, wie sie noch Erwins sieben Jahre älterer Bruder Günter und dessen Mitschüler über sich ergehen lassen mussten. Trotzdem ist es eine alles andere als einfache Zeit, allein schon aufgrund der überall in den ersten Nachkriegsjahren vorherrschenden materiellen Not. Die seit 1945 kommissarisch von Hilda Tohorst geleitete und noch immer einzügige Dorfschule platzt durch den Zuzug zahlreicher Vertriebenen-Familien aus allen Nähten, erst 1949 wird eine von Heinz Metasch unterrichtete Unterklasse eingerichtet. Die Oberklasse, zu der Erwin mittlerweile gehört, hat ein Jahr zuvor der neue Rektor Walter Janßen-Holldiek übernommen.

Angesichts des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts ist für Erwin früh klar, dass er eines Tages den elterlichen, mit einer Größe von 18 Hektar für die damalige Zeit durchaus respektablen Hof weiterführen wird. Nach Schulabschluss und Konfirmation beginnt er deshalb eine landwirtschaftliche Lehre, die ihn nach Schlutter in der Gemeinde Ganderkesee führt. Nach seiner Rückkehr lässt Mutter Hermanda den Pachtvertrag mit Heinrich und Martha Wiechmann auslaufen und übernimmt mit Erwin wieder selbst alle anfallenden Arbeiten. Bruder Günter hat derweil eine Ausbildung zum Schmied absolviert und arbeitet als Landmaschinenmechaniker bei Wilhelm Gebken in Tweelbäke (heute: Hagestedt & Menkens). Beide Brüder sind in dieser Zeit sehr aktiv im 1950 wieder zu neuem Leben erweckten Schützenverein Lintel. Wie Günter nimmt auch Erwin regelmäßig an Wettkämpfen teil und verpasst 1954 nur knapp den Titel des Jungschützenkönigs.

Die 1950er Jahre sind in Deutschland nicht nur die vielfach gefeierte Dekade des Wirtschaftswunders. Sondern auch jener Zeitabschnitt, in dem fast alle von Erwins ehemaligen Schulkameraden und -kameradinnen den Partner fürs Leben finden. Gunda Schlötelburg etwa wird im Dezember 1959 durch die Heirat mit Günter Einemann zu seiner Schwägerin. Erwin selbst hingegen zeigt nur wenig Ambitionen, sein Junggesellen-Dasein zu beenden – ob aus Überzeugung oder weil es an der einen oder anderen Stelle einfach nicht gepasst hat, lässt sich rückblickend nur schwer beurteilen. Geht es um die Frage, ob er den Hof mit Blick auf die Zukunft gerichtet noch einmal deutlich vergrößern soll, ist es in jedem Fall ein Handicap. Allein schon deshalb, weil Mutter Hermanda gegen Ende des Jahrzehnts schwer erkrankt und kurz darauf zum Pflegefall wird. Unterstützung bekommt Erwin in dieser schwierigen Zeit von Wilhelm Janßen aus Höven, der als feste Aushilfe bis in die 80er Jahre hinein bei ihm wohnt.

Nach Hermandas Tod im März 1963 nimmt Erwin zwar nach wie vor an nachbarschaftlichen Aktivitäten teil, zieht sich ansonsten aber aus dem Dorf- und Vereinsleben weitgehend zurück. Da er sehr sparsam lebt und niemanden versorgen muss, kommt er trotz des für die Branche typischen Trends zu immer mehr Wachstum mit den Erträgen des von ihm unverändert mit viel Freude betriebenen Hofes problemlos zurecht. Aus gesundheitlichen Gründen muss er gleichwohl 1984 schweren Herzens die noch gehaltenen knapp 20 Kühe abschaffen und die Landwirtschaft aufgeben.

Der Kontakt zu Bruder Günter und dessen Familie, die inzwischen in direkter Nachbarschaft ein florierendes Erdbau-Unternehmen betreibt, ist über all die Jahre gut. Deshalb verschließt Erwin sich 1986 auch nicht dem Wunsch seines Neffen Guido, nach erfolgreich bestandener Tischler-Ausbildung in einer der Stallungen eine kleine Werkstatt einzurichten. Zudem freut er sich über dessen Entscheidung, einige Galloway-Rinder anzuschaffen, und hilft fortan bereitwillig bei deren Versorgung. Anfang der 90er Jahre beginnt Guido dann mit einer umfangreichen Sanierung des alten Bauernhauses. In deren Zuge bekommt zunächst Erwin auf der ehemaligen Diele eine abgeschlossene Wohnung eingerichtet, später entsteht weiterer Wohnraum für Guido und dessen künftige Ehefrau Susanne. Die Arbeiten dazu ziehen sich bis 1994 hin, woran Erwin aber keinen Anstoß nimmt. Ganz im Gegenteil: Er ist froh, dass auf dem mittlerweile seinem Neffen gegen eine Abfindung überschriebenen Hof wieder ein frischer Wind weht.

Indes, allzu lange kann Erwin die neue Situation nicht genießen. Schon 1995 verschärfen sich die gesundheitlichen Probleme und machen einen Umzug in die Seniorenresidenz Waldschlösschen in Stenum und danach ins Wichernstift in Ganderkesee erforderlich. Dort stirbt Erwin am 7. Oktober 1997. Beerdigt ist er einige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.