Friedrich Knutzen – Biographie

Johann Friedrich Gerhard Knutzen – Rufname Friedrich oder kurz Fritz – wird am 30. April 1874 als drittes Kind von Johann Friedrich Gerhard Knutzen Senior und Helene Catharine Knutzen in Nethen bei Rastede geboren. Er ist der jüngere Bruder von Hinrich Knutzen und Anna Ammermann und der ältere Bruder von Helene Mangels.

Drei Tage vor Fritz‘ Geburt begibt sich der deutsche Historiker Johann Nepomuk Sepp von Brindisi aus auf Orient-Expedition. Ziel ist die im heutigen Libanon liegende Stadt Tyros. Sepp hofft dort die Gebeine des im Jahre 1190 während eines Kreuzzugs ertrunkenen Staufer-Kaisers Friedrich Barbarossa zu finden. Dessen Leiche wurde nach damaliger Sitte abgekocht, um das Fleisch von den Knochen zu trennen und letztere später in einem Ehrengrab beizusetzen. Dazu kommt es nie: Während Herz und Eingeweide des Kaisers der Überlieferung zufolge in Tarsus beerdigt werden und sein Fleisch in Antiochia, gehen die Gebeine auf dem Weg Richtung Jerusalem verloren. Barbarossas Sohn Friedrich VI. soll sie jedoch mindestens bis Tyros mitgeführt haben.

Während manche Historiker-Kollegen für Sepps Bemühungen nur Spott übrig haben, ist es ihm im Vorfeld gelungen, mit Reichskanzler Otto von Bismarck eine der wichtigsten Persönlichkeiten des 1871 gegründeten Deutschen Reiches auf seine Seite zu ziehen. Bismarck unterstützt die Expedition sowohl politisch als auch finanziell, weil er sich davon im Erfolgsfall eine identitätsstiftende Wirkung verspricht: Einer schon bald nach Barbarossas Tod entstandenen Sage zufolge nämlich ist der Kaiser nicht tot, sondern schläft lediglich in einer Höhle des Kyffhäuser-Gebirges. Eines Tages wird er aus seinem Schlaf erwachen und sein Volk zu neuer Herrlichkeit führen. Diesen in der Bevölkerung weit verbreiteten Glauben möchte Bismarck aufgreifen und auf den aktuellen Herrscher Wilhelm I. übertragen – der „Barbablanca“ der Hohenzollern als Erlöser.

Sepp, für einen im tiefsten Oberbayern geborenen Untertanen seiner Majestät ungewöhnlich Preußen-freundlich, würde Bismarck und Wilhelm den Gefallen nur zu gerne tun. Die Heimführung der Gebeine Barbarossas werde die deutsche Nation „in heilige Begeisterung“ versetzen, schwärmt er im Vorfeld der Reise, und weiter: „Welch ein Triumphzug, unseren größten Kaiser in den Kölner Dom zu übertragen, der als Sinnbild des längst ins Stocken geratenen alten Reiches beim Aufbaue des neuen sich vollendet!“ Am Ende aber behalten die Skeptiker recht: Zwar gelingt es Sepp, Reste der 1291 zerstörten Kathedrale von Tyros aufzuspüren. Indes, von des Kaisers Knochen keine Spur. Schon im Sommer 1876 hakt Bismarck das Kapitel deshalb offiziell ab. Was Wilhelm nicht daran hindert, in seiner am 15. Oktober 1880 gehaltenen Festrede zur Dom-Fertigstellung in der Rhein-Metropole demonstrativ die Einigkeit und Größe des von ihm geführten Landes hervorzuheben.

Nationalismus und Chauvinismus werden hochgehalten in jenen Jahren, das dürfte im Großherzogtum Oldenburg mit Fritz‘ Heimatort Nethen nicht anders sein als im Rest des Reiches. Auch die Jüngsten können sich dem kaum entziehen. So gehört zum Beispiel die Feier des Sedantages, der seit 1872 jeweils am 2. September an den Sieg im Deutsch-Französischen Krieg erinnert, zu den Höhepunkten eines jeden Schuljahres. Wo und wann Fritz dieses Spektakel zum ersten Mal erlebt, ist nicht überliefert. Auch sonst liegt seine Kinder- und Jugendzeit heute weitgehend im Dunkeln, abgesehen von einigen familiären Details: So bleibt Fritz zwar – in seiner Generation alles andere als selbstverständlich – der frühe Tod eines Elternteils oder Geschwisterkindes erspart. Dafür lernt er weder einen Großvater noch eine Großmutter kennen. Als letztes aus diesem Vierer-Kreis stirbt im Januar 1873 Gerd Rowoldt, der Vater von Helene Catharine Knutzen.

Nach Schulabschluss und Konfirmation ergreift Fritz den Bäcker-Beruf. Wo er dieses Handwerk erlernt, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren – ebenso wenig wie weitere Stationen als Geselle, bevor er um das Jahr 1900 herum nach Hurrel kommt und in die Dienste des örtlichen Bäckers und Gastwirts Carl Busch tritt. Wie zu jener Zeit üblich, wohnt Fritz im Haus seines Arbeitgebers (heute: Hajo und Dagmar Mehrings), so dass er pünktlich zwischen 2 und 3 Uhr morgens seinen Dienst in der Backstube beginnen kann.

Die Jahre um die Jahrhundertwende herum sind in den Dörfern der Gemeinde Hude die hohe Zeit der Vereinsgründungen: In Hurrel entsteht so am 23. April 1899 in den Räumen der von Carl Busch geführten Gastwirtschaft „Zur fröhlichen Einkehr“ der Schützenverein Hurrel. Fritz gehört zwar nicht zu den Gründungsmitgliedern, beteiligt sich aber gerne und rege an den einzelnen Aktivitäten. Und nicht nur das: Im Mai 1902 initiiert er die Gründung eines zweiten Hurreler Zusammenschlusses Gleichgesinnter, dem Radfahrerverein „Wanderlust“. Unter seiner Regie finden in den folgenden Jahren diverse Veranstaltungen wie Wettfahrten oder ein regelmäßiges Sommerfest statt.

Spielt Fritz mit dem Gedanken, in Hurrel sesshaft zu werden? Völlig ausschließen lässt sich das nicht. Letztlich fehlt ihm dazu aber wohl die berufliche Perspektive. Denn die Aussicht, sein weiteres Leben als Geselle zu bestreiten, dürfte Fritz von seinem Naturell her kaum behagen. Also hält er die Augen offen für Alternativen, und als sich im Nachbardorf Lintel eine Chance bietet, ergreift er sie: Dort steht 1908 ein von Johann Christian Witte begründeter Heuerhof zum Verkauf, der auch eine Gaststätten-Konzession besitzt. Genau das Richtige also für Fritz, der auch in der „Fröhlichen Einkehr“ so manches Mal hinter dem Tresen gestanden haben dürfte. Und so geht er mit dem Kauf des heute als Party- und Übungsraum („Rockparadise“) genutzten Hofes den umgekehrten Weg wie sein einstiger Dienstherr Carl Busch, der mit seiner Familie 1890 von Lintel nach Hurrel übergesiedelt war.

Was diese Entscheidung erleichtert haben dürfte: In Lintel hat Fritz inzwischen auch sein privates Glück gefunden. Am 30. April 1908 heiratet er Mathilde Schwarting, deren Vater Eberhard Heinrich Schwarting unweit des neuen Besitzes einen Hof an der Linteler Straße bewirtschaftet (heute: Andrea und Stephan Geue). Und noch etwas anderes begünstigt Fritz‘ weiteres berufliches Fortkommen als Gastwirt. Ebenfalls im Jahr 1908 geht der bis dato als Dorfmittelpunkt dienende Gasthof „Zur Eiche“ von Adolf Osterloh (heute: Klaus Rodiek) in Flammen auf. Dadurch verlieren sowohl der 1892 gegründete Schützenverein Lintel als auch der zehn Jahre zuvor gestartete Männergesangverein Harmonie ihr angestammtes Domizil. Ironie der Geschichte: Mitbegründer der „Eiche“ war niemand anderes als Carl Busch, dessen jüngerer Bruder Heinrich sie 1896 an Hinrich Ludwig Rodiek verkauft hat. Bis zum Brand gab es dann noch diverse Besitzerwechsel.

Mitten in die Erweiterungsarbeiten für seinen Gasthof, der danach auch eine Bäckerei und einen Lebensmittelladen beherbergt, platzt für Fritz im Juni 1909 die Nachricht vom Tod des Vaters in Nethen. Mutter Helene Catharine, erst eine Woche zuvor 70 Jahre alt geworden, bleibt danach bis kurz vor ihrem Tod im April 1914 dort wohnen, zusammen mit dem ältesten Sohn Hinrich. Fritz‘ jüngere Schwester Helene wiederum ist 1907 mit Ehemann Friedrich Mangels in die USA ausgewandert und hat sich in South Dakota niedergelassen.

Endgültig auf seine Seite zieht Fritz den Schützenverein Lintel 1913 durch den Anbau eines Tanzsaales – nach dem Verlust seines Stammlokals hatte der Verein seine jährlichen Schützenfeste zunächst in einem für teures Geld angemieteten Zelt feiern müssen. Nach dem ersten Fest im neuen Saal kehrt gleichwohl schnell Ernüchterung ein: Am 1. August 1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Der für jenen Sommer geplante Bau eines neuen Schießstandes hinter Fritz‘ Gaststätte, für den die Steine bereits gekauft sind, muss verschoben werden. Im darauffolgenden Jahr wird Fritz zum ersten und einzigen Mal Vater: Ehefrau Mathilde bringt am 9. Juli 1915 Tochter Erna zur Welt.

Auch nach dem im November 1918 mit dem Waffenstillstand von Compiègne verlorengegangenen Krieg bleibt Fritz‘ Gaststätte mit dem angeschlossenen Laden der Mittelpunkt des Dorfes. Zu einem engen Freund wird in dieser von politischen Unruhen und Hyperinflation geprägten Phase deutscher Geschichte der junge Linteler Johann Geerken: Er ist erst 1920 aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt und lebt danach vorübergehend mit Fritz und seiner Familie unter einem Dach – eine Zeit, der Geerken in seinen später veröffentlichten Lebenserinnerungen breiten Raum widmet.

Nach Einführung der Rentenmark im November 1923 geht es wirtschaftlich allmählich wieder aufwärts. Im Jahr darauf kann der Schützenverein endlich den hinter Fritz’ Gaststätte geplanten Schießstand in die Tat umsetzen. Auch Fritz investiert mehrfach, um sowohl für seinen Laden als auch für die Schützen neuen Platz zu schaffen. Kaum stehen allerdings 1929 zwei zusätzliche Schießstände bereit, da beendet die in den USA ausbrechende Weltwirtschaftskrise den Aufschwung auch schon wieder. Angesichts von sechs Millionen Arbeitslosen ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg im Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler, der Marsch in den NS-Staat beginnt.

Die anfänglichen wirtschaftlichen Erfolge der Nationalsozialisten beruhen in erster Linie auf ihrer massiv betriebenen Aufrüstung – eine Politik, die im September 1939 direkt in den Zweiten Weltkrieg mündet. Wieder müssen Dutzende Linteler an die Front. Die Schießhalle hinter Fritz‘ Gasthof dient derweil als Lager für auf den umliegenden Höfen arbeitende Kriegsgefangene. Nach ihrer Befreiung im Frühjahr 1945 und der Kapitulation der Wehrmacht finden dort dann vorübergehend Flüchtlinge aus den verlorenen deutschen Ostgebieten Platz.

Fritz‘ letzte Lebensjahre in Lintel sind gekennzeichnet von der allgemeinen Not der Nachkriegszeit. Zwar erlebt er nach Währungsreform und Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1950 noch die Vorbereitungen für die Wiederauferstehung des von ihm stets geförderten Schützenvereins mit, nicht jedoch zwei Jahre später dessen groß gefeiertes Fest zum 60-jährigen Bestehen und den Besuch seines Neffen Georg Mangels aus den USA. Fritz stirbt am 9. Mai 1950 – vier Wochen nach seiner Schwester Helene Mangels – und wird drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.