Friedrich Schwarting – Biographie

Bernhard Friedrich Schwarting – Rufname Friedrich – wird am 2. Mai 1890 als viertes Kind von Bernhard Schwarting und Anna Schwarting auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Georg Hollmann) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Sophie Grummer, Diedrich Schwarting und Heinrich Schwarting und der ältere Bruder von Johanne Dählmann.

Am Tag vor Friedrichs Geburt wird erstmals zeitgleich in vielen Ländern der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ begangen. Die Initiative dazu geht von der Organisation Zweite Internationale aus, deren Gründer Mitte 1889 im Gedenken an die nach einem Bomben-Attentat unschuldig hingerichteten Initiatoren des am 1. Mai 1886 begonnenen Massenstreiks von Chicago einen entsprechenden Beschluss gefasst haben. Im Zentrum aller für den 1. Mai 1890 geplanten Aktivitäten steht die zentrale Forderung der Arbeiterbewegung jener Zeit: die Einführung des Acht-Stunden-Tags.

Zu größeren Kundgebungen kommt es unter anderem in den USA, in Großbritannien und in Frankreich. Auch im Deutschen Reich beteiligen sich je nach Quelle bis zu 100.000 Personen an Streiks, Demonstrationen und sogenannten „Mai-Spaziergängen“ – obwohl die noch immer durch das Sozialistengesetz eingeschränkte SPD im Vorfeld zur Mäßigung aufruft und zahlreiche Unternehmen im Vorfeld mit Aussperrung und Entlassungen drohen. In Hamburg entwickeln sich daraus mehrwöchige Auseinandersetzungen, die als Hamburger Maikämpfe in die Geschichte eingehen. Letztlich sitzen die Arbeitgeber jedoch am längeren Hebel: Die Unterstützung ihrer ausgesperrten Mitglieder kostet die den Widerstand organisierenden Gewerkschaften viel Geld, sie verlieren dadurch in den folgenden Jahren stark an Einfluss. Gleichwohl zeigen sich im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen auch erste Erfolge: Im Frühjahr 1900 etwa führt als erstes größeres deutsches Unternehmen die Carl Zeiss AG in Jena den Acht-Stunden-Tag ein.

Zu diesem Zeitpunkt lebt Friedrich mit seiner Familie bereits in Hurrel. Dort hat Vater Bernhard 1896 eine Hofstelle (heute: Heiko und Anieka Schwarting) gekauft und damit begonnen, das umliegende, vorwiegend aus Heide bestehende Land zu kultivieren. In Hurrel besucht Friedrich seit 1897 auch die in jenem Jahr neu errichtete Volksschule, wo neben Bruder Heinrich unter anderem Johann Mönnich, Georg Rüdebusch, Gerhard Schwarting und Friedrich Wilkens zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern gehören.

Angesichts des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts geht Friedrich vermutlich bereits lange vor Konfirmation und Schulabschluss davon aus, eines Tages den elterlichen Hof übernehmen zu können. Dabei macht er jedoch die Rechnung ohne Mutter Anna, die sich auf den ältesten Sohn Diedrich als Hoferben festgelegt hat und sich durch nichts und niemanden von ihrer Entscheidung abbringen lässt. Friedrich mag sich dadurch ungerecht behandelt fühlen, hat aber letztlich keine Handhabe und steht mit dieser Zurücksetzung keineswegs allein: Auf dem Hof seines Klassenkameraden Friedrich Wilkens (heute: Udo und Svetlana Wilkens) etwa kommt auch dessen älterer Bruder Bernhard zum Zuge. Gleiches gilt für Gerhard Schwarting, der auf dem elterlichen Hof am Drengort (heute: Gerd und Ute Schwarting) zunächst den Vorzug vor seinem jüngeren Bruder Gustav erhält.

Während Friedrich noch auf sein vermeintliches Recht pocht, strebt der mittlere Bruder Heinrich die Lehrer-Laufbahn an – womit er in gewisser Weise eine Richtung vorgibt. Im Frühjahr 1905 meldet sich auch Friedrich auf dem Lehrerseminar in Oldenburg an, das er im März 1913 mit der Gesamtnote „Befriedigend“ abschließt. Danach weist die Schulbehörde ihn zunächst seiner alten, inzwischen von Heino Schierenbeck geleiteten Volksschule in Hurrel zu. Über die Stationen Südbäke und Norderschwei kommt er im Oktober 1913 nach Hammelwarden, wo er als Aushilfslehrer weitere Praxis-Erfahrung sammelt. Dort lernt Friedrich seine spätere Ehefrau Hertha Bath – Tochter eines Braker Zigarren-Fabrikanten – kennen und erlebt im August 1914 den Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Friedrichs Hoffnung, in der Nähe von Brake zügig eine feste Stelle als Hauptlehrer zu bekommen, erfüllt sich nicht. Stattdessen erhält er im Januar 1915 einen Stellungsbefehl zur Armee. Seine einzelnen Stationen im Weltkrieg liegen heute im Dunkeln, aus den im Internet zugänglichen Verlustlisten geht jedoch hervor, dass er im Frühjahr 1917 als Leutnant der Reserve leicht verletzt wird. Am 7. Juni 1918 heiraten Friedrich und Hertha in Brake.

Der mehr als vier Jahre lang tobende Krieg endet im November 1918 mit einer Niederlage Deutschlands und der Ausrufung der Republik. Friedrich, frisch aus der Armee entlassen, bewirbt sich daraufhin auf die ausgeschriebene Stelle eines Hauptlehrers in Buttel – und erhält im März 1919 gegenüber sechs Mitbewerbern den Zuschlag, „da verheiratet“. Mit Hertha bezieht er die der Schule angeschlossene Lehrerwohnung, zu der auch Stellplätze für zwei Kühe sowie ein Schweinestall gehören.

Angesichts des Lehrermangels im Ersten Weltkrieg und leicht sinkender Schülerzahlen ist eine 1909 eingerichtete zweite Lehrerstelle 1916 nicht wieder besetzt worden, dabei bleibt es auch nach Friedrichs Einstellung. Er unterrichtet also fast 60 Kinder in einem Raum – die jüngeren Jahrgänge in den vorderen Reihen, die älteren in den hinteren. Unter derartigen Umständen stets Ordnung zu halten und Autorität zu bewahren, ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Zumindest in späteren Jahren hat Friedrich damit jedoch keinerlei Probleme, wie sein ehemaliger Schüler Heino Vette (Jahrgang 1923) in der 2002 erschienenen „Neuenhuntorfer Chronik“ berichtet.

Vierzehn Monate vor Heino Vette kommt Friedrichs und Herthas Tochter Gisela zur Welt. Zu dieser Zeit leitet Friedrich bereits zusätzlich zu seiner Lehrer-Tätigkeit den Gemischten Chor im Nachbarort Bäke. Dort beträgt der Mitgliederbeitrag für den Monat September 1923 laut Vettes Chronik 100.000 Mark, Friedrich erhält seine Aufwandsentschädigung in Naturalien („wahlweise ein Pfund Molkereibutter oder 15 Pfund Roggen“). Was einen kleinen Eindruck davon ermöglicht, wie die immer mehr Fahrt aufnehmende Geldentwertung urplötzlich in eine Hyperinflation umschlägt. Eine Tragödie, die Friedrichs Vater Bernhard nicht mehr miterlebt: Er stirbt im April 1922, vier Wochen vor Giselas Geburt.

Zwar fasst die Wirtschaft Anfang 1924 mit der neuen Rentenmark wieder Fuß. Den zumindest teilweise „Goldenen Zwanzigern“ folgt jedoch nur fünf Jahre später die Weltwirtschaftskrise, an deren Ende im Januar 1933 die Machtübernahme der Nationalsozialisten steht. Zu deren ersten Maßnahmen der Gleichschaltung gehört es, an Friedrichs 43. Geburtstag die Gewerkschaften zu zerschlagen, gerade einmal einen Tag nach einer überall im Reich pompös begangenen Maifeier. Das einige Wochen zuvor verfügte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwingt Friedrich dann im August 1933 zu der schriftlichen Versicherung, keiner seiner Eltern- oder Großeltern-Teile habe „zu irgendeiner Zeit der jüdischen Religion angehört“, sowie dem Zusatz: „Ich bin mir bewusst, dass ich mich dienststrafrechtlicher Verfolgung mit dem Ziele auf Dienstentlassung aussetze, wenn diese Erklärung nicht der Wahrheit entspricht.“

Während sich viele Lehrer fortan offensiv zu den Zielen der NSDAP bekennen und ihren Unterricht entsprechend gestalten, bleibt Friedrich auf Abstand bedacht. So beschreibt es zumindest Heino Vette in seiner Chronik: „Als erklärter Gegner der Nazis erteilte uns Herr Schwarting wie gefordert eingehend Geschichtsunterricht, aber ohne jegliche ideologische Bewertung der geschichtlichen Ereignisse.“ Versuche der Schulbehörde, beim Thema Kolonialherrschaft die Engländer und Franzosen als machtversessene Eroberer und Ausbeuter darzustellen, seien in der Landschule Buttel unbeachtet geblieben. Diese Aussage deckt sich mit dem schriftlichen Vermerk eines dem Unterricht beiwohnenden Kreisschulrats vom 19. Juni 1940: „In Geschichte hatte das Wissen der Kinder viele Lücken, der Lehrer muss fester einprägen und mehr wiederholen.“

Wo Friedrich Prioritäten setzt und was ihm wirklich am Herzen liegt, beschreibt einige Jahrzehnte später abermals Heino Vette: „Er war ein Pädagoge, der sich wirklich bemühte, seinen Schülern ein Grundwissen zu vermitteln, das den Anforderungen des beruflichen Lebens, meistens waren es der bäuerliche und der handwerkliche Beruf, nach der Schulzeit gerecht wurde.“ Und weiter: „Bewundernswert waren auch seine umfangreichen Kenntnisse in der heimischen Pflanzen- und Tierwelt, die er uns auf den alljährlichen Wanderungen im Frühjahr und Sommer zur Hunte oder ins Wittemoor sehr anschaulich vermittelte. Jede noch so unscheinbare Feld- und Wiesenpflanze, ob es Nutzpflanzen oder Unkräuter, Wasser- oder typische Moorpflanzen waren, er kannte sie alle beim Namen und wusste um ihre Lebensbedingungen.“

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Friedrich einer der wenigen Schulleiter im Stedinger Land, die als politisch unbelastet gelten und deshalb ihr Amt weiter ausüben dürfen. Auch als neu gewählter Leiter der Stedinger Lehrerkonferenz bleibt er jedoch bodenständig wie eh und je und entwickelt keinerlei Ambitionen, sich innerhalb des Schuldienstes noch einmal zu verändern. Eine wichtige Veränderung gibt es allerdings an der Volksschule Buttel selbst: Angesichts der Flüchtlingsströme aus den ehemaligen Ostgebieten steigen die Schülerzahlen nach 1945 stark an und ermöglichen so erstmals seit 1916 die Ausschreibung einer zweiten Lehrerstelle. Besetzt wird sie schließlich mit Friedrichs Tochter Gisela, die ab 1947 die unteren Klassen unterrichtet.

Bis zum letzten Tag seiner offiziellen Dienstzeit hält Friedrich der Volksschule Buttel die Treue – und sogar über dieses Datum hinaus, denn eigentlich hätte er schon im Frühjahr 1955 mit Erreichen des 65. Lebensjahres in den Ruhestand treten können. Friedrich bleibt jedoch bis September 1957, weil er mit dem Bau eines mit viel Eigenleistung und Akribie errichteten Einfamilienhauses in Wüsting, das er und Ehefrau Hertha anschließend beziehen wollen, nicht so rasch vorankommt wie geplant.

Als der Neubau am Kuckucksweg in Wüsting endlich bezugsfertig ist, kommt Friedrich dennoch nicht zur Ruhe. Was ihm Schwiegersohn Heinrich Dageförde einbrockt, der zum 1. November 1958 seinen Posten als Leiter der Volksschule Wöschenland in Holle niederlegt und an die Bäuerliche Volkshochschule in Rastede wechselt. Die dadurch frei werdende Lehrerstelle lässt sich auf die Schnelle nicht neu besetzen. Da inzwischen auch Tochter Gisela in Holle unterrichtet, erklärt sich Friedrich spontan bereit einzuspringen. Bis zum Frühjahr 1960 fährt er jeden Tag mit dem Fahrrad fünf Kilometer nach Holle und zurück und übernimmt noch einmal eine Unterklasse. Vier Wochen vor seinem 70. Geburtstag scheidet er dann endgültig aus dem Schuldienst aus.

Auch im Ruhestand bleibt Friedrich weiter aktiv, unter anderem als Chorleiter in Wüsting. Das Mehr an Zeit mit Ehefrau Hertha beschränkt sich allerdings auf wenige Jahre, sie stirbt schon Anfang 1965 im Alter von nur 67 Jahren. Ein harter Schlag für Friedrich, der überdies Probleme mit der Hüfte bekommt und sich einer Operation unterziehen muss. Danach verbringt er mehrere Jahre lang im Haushalt von Tochter Gisela und Schwiegersohn Heinrich in Burhave. Nach vollständiger Genesung kehrt Friedrich aber wieder nach Wüsting zurück, wo Gisela und ihre beiden ältesten Kinder Sigrid Brand und Henning Dageförde – häufig die Urenkel Wiebke, Frerk, Nils und Gunnar im Schlepptau – mehrmals in der Woche nach ihm schauen. So bewahrt er bis ins hohe Alter seine Selbstständigkeit und interessiert sich außer für Politik, Biologie und klassische Musik bis zum Schluss unter anderem sehr für die Fußball-Bundesliga, deren Spiele er regelmäßig im Fernsehen verfolgt.

Friedrich stirbt am 1. April 1985, wenige Wochen vor seinem 95. Geburtstag. Beerdigt ist er drei Tage später auf dem Donnerschweer Friedhof in Oldenburg.