Hans Geerken – Biographie

Hans Magnus Geerken wird am 21. September 1910 als erstes Kind von Diedrich Geerken und Henriette Geerken auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Otto Drieling) geboren. Er ist der ältere Bruder von Gretchen Ahlers und Walter Geerken. Daneben hat er mit Bernhard Geerken, Johann Geerken, Carl Geerken, Ludwig Geerken und August Geerken noch fünf Halbbrüder aus der ersten Ehe seines Vaters mit Anna Geerken.

Zwei Tage vor Hans‘ Geburt scheitern die Luftfahrt-Pioniere Jorge Chávez und Charles Weymann unabhängig voneinander mit dem Versuch, als erster Mensch der Welt die Alpen zu überfliegen. Dem Sieger des noch wenige Jahre zuvor undenkbaren Duells winkt eine Geldprämie in Höhe von 70.000 Lire, ausgeschrieben von den Veranstaltern einer in Mailand stattfindenden Flugmesse. Sie wird an denjenigen gezahlt, der es als Erster schafft, vom Schweizer Grenzort Brig aus innerhalb von 24 Stunden – Zwischenlandungen sind erlaubt – die knapp 135 Kilometer in die norditalienische Metropole zurückzulegen. Angemeldet zu diesem von der sensationslüsternen Öffentlichkeit begeistert aufgenommenen Wettbewerb haben sich ursprünglich neun Piloten, von denen das Mailänder Start-Komitee allerdings aus Sicherheitsgründen lediglich fünf zulässt.

Letztlich bringen an jenem 19. September 1910 nur Chávez und Weymann – ersterer Peruaner, letzterer Amerikaner, aber beide in Frankreich lebend – ihre Maschinen überhaupt in die Luft. Weymann muss bereits kurz nach dem Start wieder landen, während Chávez zunächst die geplante Flughöhe von 2.200 Metern erreicht und sich prompt anschickt, den Simplon-Pass zu überqueren. Starke Winde und aufkommender Nebel zwingen jedoch auch ihn zur Umkehr. In den folgenden Tagen verhindert eine Schlechtwetter-Front weitere ernsthafte Versuche, es finden nur einige Schauflüge statt.

Am 23. September klart das Wetter wieder etwas auf, und Chávez setzt alles auf eine Karte. Um 13.29 Uhr Ortszeit hebt er in seiner Blériot XI – das gleiche Modell, in dem der Konstrukteur Louis Blériot am 25. Juli 1909 als erster Mensch in einem Flugzeug den Ärmelkanal überquerte – planmäßig ab und überwindet tatsächlich das angesteuerte Hindernis. Zwar muss er im Anflug auf das jenseits der schweizerisch-italienischen Grenze liegende Städtchen Domodossola kurzfristig die Route ändern, doch knapp 40 Minuten später setzt Chávez unter dem Jubel der Schaulustigen zur Landung an. Den triumphalen Empfang förmlich vor Augen, stürzt er jedoch nach einem Flügelbruch mit seiner Maschine aus einer Höhe von circa 15 Metern wie ein Stein zu Boden. Schwer verletzt, aber noch ansprechbar befreien ihn Helfer aus den Trümmern und bringen ihn ins Krankenhaus. Dort stirbt Chávez am Nachmittag des 27. September 1910 an einem durch Nervenschocks hervorgerufenen Herz-Stillstand. Sein Leichnam wird unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nach Paris überführt und auf dem Friedhof Père Lachaise beerdigt.

Mag die allgemeine Begeisterung für die in einem späteren Film-Klassiker als „tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten“ glorifizierten Luft-Akrobaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch groß sein – in Lintel und den anderen stark bäuerlich geprägten Dörfern des Großherzogtums Oldenburg sind ihre riskanten Rekordversuche mit ziemlicher Sicherheit kein Thema. Schon gar nicht in Hans‘ Familie, in die erst kurz vor seiner Geburt wieder etwas Ruhe eingekehrt ist. Vater Diedrich hatte im Sommer 1908 seine erste Ehefrau Anna verloren, die fünf gemeinsamen Söhne sind zu diesem Zeitpunkt zwischen fünf und zwölf Jahre alt. Für einen in der Landwirtschaft tätigen Witwer allein eine fast unlösbare Aufgabe, so dass Diedrich zunächst Aushilfen einstellt und später mit Henriette Becker eine feste Haushälterin. Sie wird im Jahr darauf seine zweite Ehefrau. Im Frühjahr 1910 verlässt dann Hans‘ ältester Halbbruder Bernhard den von Diedrichs Schwiegereltern Berend und Beta Galdas begründeten Geerken-Hof und geht bei einem Bauern in Oberhausen in Stellung.

Noch bevor im März 1912 Hans‘ Schwester Gretchen die Familie weiter vergrößert, zieht auch der zweitälteste Halbbruder Johann aus. Er wohnt und arbeitet fortan auf dem Hof von Johann Heinrich Ahlers in Holle. Mit den übrigen Halbbrüdern und Gretchen wächst Hans in den folgenden Jahren heran und erlebt kurz vor seinem vierten Geburtstag den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, freilich ohne sich der Tragweite dieses Ereignisses bewusst zu sein. Gleichwohl: Die Aufregung der Erwachsenen und älteren Kinder um ihn herum kann ihm in jenen schicksalhaften Augusttagen 1914, in denen die meisten Deutschen noch von einem kurzen und siegreichen Feldzug ausgehen, kaum verborgen bleiben.

Von Sommer 1916 an – die anfängliche Kriegseuphorie ist längst abgeebbt und vielerorts einer Mischung aus Fatalismus und Durchhaltewillen gewichen – besucht Hans die von seinem Elternhaus nur rund 700 Meter entfernte Volksschule Lintel. Dort gehören unter anderem Hans Hoffrogge, Georg Neuhaus, Adolf Nutzhorn und August Scholz zu den in etwa gleichaltrigen Mitschülern. Zeugnisse gibt es zur damaligen Zeit nicht, schreibt Hans in seinen später zu Papier gebrachten Lebenserinnerungen, aber er habe die Schule 1924 mit „vollem Erfolg“ verlassen. Da ist die als Folge des verlorenen Weltkriegs das Land lähmende Hyperinflation gerade eingedämmt, so dass auch in Lintel die Menschen wieder etwas hoffnungsfroher in die Zukunft blicken können.

Obwohl die Lage in der Landwirtschaft Mitte der 1920er Jahre angespannt bleibt, sieht Hans dort nach Schulabschluss und Konfirmation seine Zukunft und arbeitet zunächst auf dem elterlichen Hof mit. Macht er sich Hoffnungen, den Betrieb eines Tages zu übernehmen? Unrealistisch erscheint dies nicht, da von den erbberechtigten Halbbrüdern aus der ersten Ehe des Vaters niemand ernsthaft Interesse zeigt. Der jüngste von ihnen, August, wandert Anfang 1925 in die USA aus, wo gleich mehrere Schwestern seiner verstorbenen Mutter mit ihren Familien leben. Ein erstes Fragezeichen hinter Hans‘ Pläne setzt die erneute Schwangerschaft von Henriette Geerken: Sie bringt im April 1925 Sohn Walter zur Welt, der gemäß des in Lintel geltenden Jüngstenrechts den Vorzug bekommen würde.

Welche Überlegungen dazu in den Jahren nach Walters Geburt innerhalb der Familie zirkulieren, lässt sich nur vermuten. Eine Frau, die ihn bei einer eventuellen Hofnachfolge unterstützen würde, findet Hans jedenfalls relativ rasch: Alma Küpker aus Wüsting, die seinen Lebenserinnerungen zufolge Mitte der 1920er Jahre in Lintel auf einem Hof in der Nachbarschaft arbeitet. Auf einem 1928 in Hude gefeierten Reiterball werden beide ein Paar. Fünf Jahre später, am 24. März 1933, schließen sie den Bund fürs Leben. Ein geschichtsträchtiges Datum: Am selben Tag entmachtet sich in Berlin mit dem von Reichskanzler Adolf Hitler zur Abstimmung gebrachten Ermächtigungsgesetz der Reichstag quasi selbst und ebnet Hitlers Nationalsozialisten den Weg zur Alleinherrschaft. Eine Entscheidung von enormer Tragweite, deren Folgen Hans aber in jenem für ihn so besonderen Moment wie knapp 20 Jahre zuvor bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs kaum abschätzen kann.

Ein Ereignis im Vorfeld seiner Hochzeit dürfte Hans Anfang 1933 deutlich mehr beschäftigen als der Machtwechsel in der fernen Reichshauptstadt: Halbbruder August ist aus den USA zurückgekehrt und drängt auf den Verkauf des Geerken-Hofes, um sich mit dem Erlös selbstständig zu machen. Neuer Eigentümer wird Georg Wenke aus Ochholt, woraufhin Diedrich und Henriette Geerken einen anderen, heute nicht mehr bestehenden Hof in Moordorf pachten. Hans begleitet seine Eltern zunächst, kehrt aber mit Alma schon 1934 in die Gemeinde Hude zurück und lässt sich mit ihr in Almas Heimatort Wüsting nieder. Kaum dort angekommen, erkranken beide schwer: Alma an einer Blinddarm- und danach an einer Brustfellentzündung, Hans an einer durch das Ausbringen von Kalkstickstoff-Dünger ausgelösten Hyperämie in beiden Händen. Eine schwierige Phase, da beide in dieser Zeit weder arbeiten können noch krankenversichert sind. Sie endet, als Hans eine Halbtags-Anstellung in der Molkerei Wüsting bekommt und sich zusammen mit Alma nachmittags bei einem Bauern noch etwas hinzuverdienen kann.

Als im Mai 1936 Tochter Marianne geboren wird, gibt Hans seine Stelle in der Molkerei auf und arbeitet fortan als Gespann-Führer in Osternburg. Allerdings nur für kurze Zeit, denn die Anfahrt mit dem Rad ist Hans auf die Dauer zu aufwändig und die Arbeitszeit zu unregelmäßig. Über eine Baufirma in Hude findet er schließlich eine feste Anstellung als Bahnarbeiter, was ihm eigenen Angaben zufolge gut gefällt und auch ordentlich bezahlt wird. Die Lebensqualität steigt weiter, als die junge Familie in Hude ganz in der Nähe des Bahnhofs in der Schützenstraße eine Wohnung findet und die lästige Pendelei nach Wüsting für Hans ein Ende nimmt.

Im Herbst 1938 wird Hans für ein halbes Jahr zum Arbeitsdienst einberufen, den er unter anderem im Holzhafen in Bremen ableistet. Schon einige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs erhält er einen Stellungsbefehl zur Wehrmacht und absolviert seine Grundausbildung in Harburg. Danach wechseln die Stationen des Öfteren, ehe er von Frühjahr 1940 an – nun wieder als Mitglied des Reichsarbeitsdienstes – auf dem Fliegerhorst von Bad Zwischenahn einen festen Einsatzort zugewiesen bekommt. Dort erreicht Hans aus Oberströmische Seite bei Großenmeer, wo seine Eltern 1937 nach der Aufgabe ihres Pachthofes einen eigenen kleinen Betrieb gekauft haben, die Nachricht vom Tode des Vaters. Daraufhin zieht er mit Alma und Marianne zu Mutter Henriette. Abermals zur Wehrmacht abkommandiert, wird er bald darauf nach Oberösterreich versetzt und im Dezember 1942 als Mitglied einer Flakartillerie-Einheit nach Sizilien. Nach der Alliierten Invasion Italiens gerät er in amerikanische Gefangenschaft, aus der er erst im Frühjahr 1946 freikommt.

In Großenmeer haben derweil Ehefrau Alma und Tochter Marianne den Krieg in einem von der Gemeindeverwaltung gemieteten Haus unbeschadet überstanden. Nach seiner Rückkehr in die Heimat arbeitet Hans bei einem örtlichen Bauern und nebenbei als Milchleistungsprüfer. Von seinem Ersparten kauft er sich 1947 eine eigene Kuh, was diverse Genehmigungen erfordert. Trotz allem eine weise Entscheidung – verliert doch die weiter als offizielles Zahlungsmittel geltende Reichsmark bei der im Jahr darauf durchgeführten Währungsreform massiv an Wert.

Im März 1948 kommt Hans‘ und Almas zweite Tochter Ursel zur Welt. Zwei Jahre später zieht die nun vierköpfige Familie auf den Hof von Mutter Henriette, dem Hans danach mit viel Fleiß neues Leben einhaucht. Das in den 50er Jahren recht günstige Umfeld für die Landwirtschaft ermöglicht es ihm, den beiden Geschwistern nach Henriettes Tod im April 1964 ihr Erbteil auszuzahlen und trotzdem in den folgenden Jahren diverse Umbauten und Modernisierungen vorzunehmen. Schon im Herbst 1962 hat Hans überdies – zur damaligen Zeit durchaus nicht selbstverständlich – sein erstes Auto gekauft, ein Goggomobil.

Im Herbst 1964 muss Hans aus gesundheitlichen Gründen die Landwirtschaft aufgeben und lässt das Inventar des Hofes meistbietend versteigern. Als Leistungsprüfer arbeitet er jedoch bis zum Erreichen des Rentenalters im September 1975 weiter. Noch über dieses Datum hinaus bleibt er zudem Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, der er schon im Jahre 1937 beigetreten ist. Ein weiteres Ehrenamt, das er 1974 übernimmt und bis 1982 innehat, ist das des Bezirksvorstehers seiner Bauerschaft.

Im März 1983 feiern Hans und Alma in Scheeljes Gasthof in Großenmeer Goldene Hochzeit. Zu den rund 80 geladenen Gästen gehören neben anderen Verwandten, Nachbarn und Freunden auch die sechs Enkelkinder Hans-Peter, Beate, Petra, Torsten, Alexander und Corinna. Diesem Hans‘ Erinnerungen zufolge „schönen Tag in unserem Leben“ folgen noch einige schwierige Jahre: Alma verliert bis 1986 nach und nach ihr Augenlicht, während Hans selbst unter Herzproblemen leidet und dadurch stark an Bewegungsfreiheit einbüßt. Er stirbt am 26. August 1988 und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Anna-Kirche in Großenmeer beerdigt.