Heino Haverkamp – Biographie

Heinrich Adolf Haverkamp – Rufname Heino – wird am 2. Dezember 1928 als zweites Kind von Adolf Haverkamp und Mathilde Haverkamp in Oldenburg geboren. Er ist der jüngere Bruder von Gerd Haverkamp.

Zwei Tage nach Heinos Geburt beginnt vor einem Hamburger Gericht die erste mündliche Verhandlung zum Stoltzenberg-Skandal. Dabei geht es um Entschädigungsansprüche von Opfern eines Giftgas-Unfalls, der am 20. Mai 1928 im Stadtteil Wilhelmsburg mindestens neun Tote und mehr als 100 Verletzte gefordert hat. Auf einem von der Chemischen Fabrik Dr. Hugo Stoltzenberg (CFS) gepachteten Gelände am Müggenburger Kanal waren damals in mehreren Kesselwagen Restbestände des im Ersten Weltkrieg produzierten Kampfstoffs Phosgen gelagert, wovon an jenem warmen Frühlingstag aufgrund eines abgesprungenen Ventils rund 10.000 Liter entweichen und sich über mehrere Wohngebiete verteilen.

Während der Anwalt der Opfergemeinschaft die Stadt beschuldigt, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben, argumentiert deren Vertreter, es handele sich um einen verhängnisvollen Zufall, an dem niemand eine Schuld treffe. In der Folge werden diverse Gutachten erstellt, die alle ein unterschiedliches Ergebnis bezüglich der Unglücksursache präsentieren: Mal soll eine mangelhafte Schweißnaht der Auslöser gewesen sein, ein anderes Mal Korrosion und laut einer dritten Stellungnahme eine Überfüllung des Kessels mit Phosgen.

Letztlich kommt es den Behörden aber gar nicht so sehr darauf an, wie die Giftwolke austreten konnte – sie sind vor allem daran interessiert, den eigentlichen Skandal an der Sache möglichst tief zu hängen. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages darf Deutschland nämlich längst keine chemischen Kampfstoffe mehr besitzen. So hatte CFS-Gründer Hugo Stoltzenberg nach Kriegsende den persönlichen Auftrag, sämtliche Bestände zu vernichten. Stattdessen kooperierte er mit der neu formierten Reichswehr und beteiligte sich an illegalen Rüstungsprojekten in Spanien und der Sowjetunion, die durch den Prozess ans Licht zu gelangen drohen.

Angesichts dieser Brisanz und der engen gegenseitigen Verflechtungen bis in höchste Militär- und Staatskreise hinein verwundert es kaum, dass die Kläger mit ihren Forderungen auf Granit stoßen. Insgesamt ziehen sich die Ermittlungen über sechs quälend lange Jahre hin. Sechs Jahre, in denen das politische Umfeld im Land fundamental dreht: Statt einer Großen Koalition aus SPD, DDP, Zentrum, BVP und DVP unter Reichskanzler Hermann Müller regieren 1934 die Nationalsozialisten von Adolf Hitler, ausgestattet mit allen diktatorischen Vollmachten. Ähnlich wie ihre demokratisch gewählten Vorgänger haben sie aber an einem Urteil im Stoltzenberg-Prozess kein Interesse und schlagen ihn schließlich ohne großes Aufsehen nieder.

Auch in Lintel ist das Umfeld 1934 ein anderes als noch sechs Jahre zuvor. Das zeigt sich nicht zuletzt im Unterricht der von Friedrich Wilhelm Rose geleiteten Volksschule, die Heino von 1935 an besucht. Dort sind die Inhalte fortan stark ideologisch geprägt. In „gesinnungsbildenden“ Fächern wie Deutsch und Geschichte geht es in erster Linie um die Vermittlung „vaterländischer“ Tugenden, neue Themenfelder wie Rassenkunde und Vererbungslehre kommen hinzu und an „körperlicher Ertüchtigung“ fehlt es ebenfalls nicht. „Die Volksschule hat mit den anderen Schularten und neben den Gliederungen der Partei, dem Arbeitsdienst und dem Heer die hohe Aufgabe, die deutsche Jugend zur Volksgemeinschaft und zum vollen Einsatz für Führer und Nation zu erziehen“, heißt es dazu in einem Erlass vom April 1937. Davon völlig unbeeinflusst zu bleiben, dürfte Heino und gleichaltrigen Mitschülern wie Heinz Abel, Bernd Logemann oder seinem astrologischen Zwilling Martin Tönjes schwerfallen.

Losgelöst von aller Ideologie erweist sich Heino als guter Schüler – was ihm Anfang der 1940er Jahre die Chance eröffnet, das Graf-Anton-Günther-Gymnasium (GAG) in Oldenburg zu besuchen. Wann genau er dort seinen ersten Schultag absolviert, liegt heute im Dunkeln. Überliefert durch seine eigenen Erzählungen ist lediglich, dass er sich auf dem allmorgendlichen Weg dorthin mit zwei Mitschülern ein Fahrrad teilt. Und dass er diesen Weg schon bald eher widerwillig antritt. Vor allem aus einem Grund: Seit September 1939 tobt der vom deutschen Überfall auf Polen ausgelöste Zweite Weltkrieg, und die Region wird immer häufiger zum Ziel feindlicher Fliegerangriffe.

Bei diesen Attacken steht Oldenburg zwar nicht im Zentrum, doch werden GAG-Schüler für das Stadtgebiet regelmäßig als Flak-Helfer herangezogen. Das behagt Heino allem zeitgenössischen Sieg-Heil-Geschrei zum Trotz nicht, und er bittet seine Eltern, ihn vom Gymnasium abzumelden – wiederum eigenen Erzählungen zufolge lediglich eine Woche, bevor eine entsprechend besetzte Flak-Stellung einen Volltreffer erhält. Tatsächlich berichtet eine 1997 erschienene Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Schule von fünf im Jahre 1943 bei einem Luftangriff getöteten GAG-Schülern, wenn auch ohne Nennung eines Datums. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei um jenen in der Nacht vom 22. auf den 23. September 1943 geflogenen Angriff, der unter anderem der damals am Damm untergebrachten Landesbibliothek schweren Schaden zufügt.

Trifft diese Schlussfolgerung zu, besucht Heino von Mitte September 1943 an wieder die Linteler Volkschule. Seine Hoffnung, danach durch die Mitarbeit auf dem elterlichen Hof (heute: Ralf und Jannik Haverkamp) seiner Einberufung zum Volkssturm zu entgehen, erfüllt sich nicht: Noch in den letzten Kriegsmonaten erhält er einen Stellungsbefehl und wird zum Dienst an der Waffe ausgebildet. Bevor es in Schleswig-Holstein zu einer Feindberührung kommt, ist jedoch der Krieg zu Ende. In Begleitung von Heinz Gräfje aus Reiherholz schlägt sich Heino daraufhin zu Fuß nach Hause durch. Nur einen Tag nach Heino erreicht auch sein zwei Jahre älterer Bruder Gerd die Heimat. Die Erleichterung, die danach auf dem Haverkamp-Hof herrscht, dürfte förmlich mit Händen zu greifen sein.

Die Zeitenwende, der sich Heino im Sommer 1945 schon zum zweiten Mal in seinem Leben gegenübersieht, fordert ihm recht bald eine grundsätzliche Entscheidung ab. Soll er den elterlichen Betrieb übernehmen, der zu den ältesten und mit einer Nutzfläche von mehr als 80 Hektar auch zu den größten des Dorfes gehört? Gemäß des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts steht ihm dies zu, obwohl Bruder Gerd ebenfalls Interesse bekundet und Heino selbst zwischenzeitlich mit möglichen Alternativen wie einer Banklehre liebäugelt. Letztlich zieht es ihn aber doch zur Landwirtschaft, und er beginnt eine Ausbildung auf dem Hof von Friedrich Ahlers in Düngstrup. Dort trifft er auf Otto Helmers aus Heidkamperfeld, den es bald darauf durch eine glückliche Fügung in Lintels Nachbardorf Hurrel verschlagen wird.

Einfach nur den Beruf des Landwirts zu erlernen, ist Heino aber für seine Ansprüche zu wenig – die höhere Landbauschule soll es mindestens sein. Um dort aufgenommen zu werden, muss er als Nicht-Abiturient eine Eingangsprüfung ablegen, was ihm jedoch keine Schwierigkeiten bereitet. Dem ersten Schuljahr in Celle folgt ein zweites in Osnabrück, wo Heino 1950 und 1951 für die Dauer seines Aufenthalts jeweils ein kleines Zimmer anmietet.

Im März 1952 steht Heino dann zum ersten Mal seiner künftigen Ehefrau gegenüber. Linda Schwarting aus Hurrel hat einen Berufswettkampf gewonnen, bei der anschließenden Siegerehrung im Gasthof von Mathilde Knutzen soll er ihr die dazugehörige Urkunde überreichen. Wer dabei stärker vom anderen angetan ist, lässt sich nur vermuten, doch nach dem Wiedersehen auf einem Ball für Landwirtschaftsschüler in Delmenhorst kurze Zeit später sind beide ein Paar.

Dann kommt der Nachtmittag des 21. August 1952, den Heino zeitlebens nicht vergessen wird. Als er gegen 14.00 Uhr zusammen mit Vater Adolf auf der Diele ein Pferd einspannen will, sieht er im Gebälk plötzlich Flammen auflodern. Nur wenige Minuten später brennt es im mit Reet gedeckten und Strohvorräten gefüllten Dachgeschoss des Haupthauses lichterloh. Fünf Löschzüge der umliegenden Feuerwehren sind rasch vor Ort, können aber aufgrund Wassermangels ein Übergreifen des Brandes auf den Stall und die angrenzende Scheune nicht verhindern. Am Ende geht es nur noch darum, das Vieh aus den Flammen zu retten und ein zweites, etwas abseits stehendes Wohnhaus so gut es geht vor Funkenflug zu bewahren. Beides gelingt, auch durch die Mithilfe zahlreicher Nachbarn.

Der mutmaßlich durch einen Kurzschluss verursachte, auf 220.000 Mark geschätzte Schaden ist gleichwohl immens und umfasst unter anderem auch Heinos unbrauchbar gewordenes Motorrad. Besonders schmerzt ihn zudem der Verlust seines Hundes, der mehrfach ins brennende Haus zurückgelaufen war und sich dort hinter einem Heizkessel verkrochen hatte. Die folgenden Monate stehen im Zeichen des Wiederaufbaus. Wesentlich beteiligt daran ist auch Heinos Bruder Gerd, der dafür seinen Lehraufenthalt in der Schweiz vorzeitig abbricht. Er heiratet im September 1953 Traute Francksen aus Klein Tossens in der Gemeinde Butjadingen und übernimmt mit ihr zunächst den Hof seiner Großeltern Hinrich und Gesine Plate in Süderbrook im Landkreis Wesermarsch.

Mag der Wiederaufbau auch ein finanzieller Kraftakt sein – er macht den 1489 erstmals urkundlich erwähnten Haverkamp-Hof ein ganzes Stück weit moderner und ebnet so den Weg für weiteres Wachstum. Noch hat jedoch für Heino neben der alltäglichen Arbeit eine andere Sache Priorität: Am 14. November 1957 geben er und Linda Schwarting sich in Hude das Ja-Wort. Ein nach der Verlobung im April 1956 lange im Voraus geplanter Termin, der nicht zufällig auf einen Donnerstag fällt: Weil in der für derartige Feiern vorgesehenen Gaststätte von Mathilde Knutzen freitags von den umliegenden Landwirten den ganzen Tag über Eier angeliefert werden, ist dieser andernorts gern genommene Wochentag in Lintel für Hochzeiten grundsätzlich tabu.

Im Mai 1958 kommt Tochter Meike zur Welt, im Dezember 1959 die zweite Tochter Elke. Fünf Jahre später, im März 1965, machen die Zwillinge Michael und Ralf das Familienglück komplett. Zu diesem Zeitpunkt gehört der Hof offiziell zwar nach wie vor Vater Adolf. Regie führen jedoch längst Heino und Linda und stellen die Weichen auf das bereits angesprochene Wachstum: So vergrößert sich die bewirtschaftete Ackerfläche in den folgenden Jahren beständig weiter, unter anderem durch Zukäufe von den direkten Nachbarn Benno Wilkens und Helmut Rodiek.

Nach dem Tod von Adolf Haverkamp im April 1972 schaffen Heino und Linda die noch rund 30 im Stall stehenden Kühe ab und konzentrieren sich ganz auf Schweinezucht, Bullenmast und Ackerbau. Das reduziert – zusammen mit der zunehmenden Mechanisierung – die Zahl der erforderlichen Arbeitskräfte auf dem Hof. Waren es in den 50er Jahren zeitweise drei oder vier Angestellte gleichzeitig, hilft fortan meist nur noch Nachbar Heinrich Schulte. Abgesehen natürlich von den landwirtschaftlichen Lehrlingen, die Heino nach wie vor regelmäßig ausbildet.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre wird der Haverkamp-Hof zum Schauplatz archäologischer Grabungen, durchgeführt von Walter Janßen-Holldiek. Anhand zahlreicher Funde belegt der ehemalige Rektor der Volksschule Lintel, dass das Umfeld der Hofstelle seit der Römischen Kaiserzeit durchgehend bewohnt ist. Ohne die freundliche Einwilligung Heinos und seines Nachbarn Karl Ahlers wäre dieser Nachweis nicht möglich gewesen, wie Janßen-Holldiek im Vorwort seiner 1983 veröffentlichten Lintel-Chronik schreibt: Beide hätten dafür „manche Behinderung ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit auf dem Grabungsfeld“ in Kauf nehmen müssen.

Das Heranwachsen der Kinder erlaubt es Heino und Linda inzwischen, die eine oder andere Auszeit vom Arbeitsalltag zu nehmen. Dabei bleibt es jedoch bei Kurzurlauben, die sie meist relativ heimatnah in Kurorten wie Bad Bevensen oder Bad Lauterberg verbringen. Die Entscheidung, wer später einmal den Hof weiterführen soll, fällt Anfang der 80er Jahre. Dass dabei der fünf Minuten jüngere Zwilling Ralf den Vorzug bekommt, geht zwar konform mit dem in Lintel seit Jahrhunderten angewandten Jüngstenrecht, doch ähnlich wie eine Generation zuvor ist diese Rangfolge im Vorfeld nie in Stein gemeißelt. Während Ralf danach die Landwirtschaftsschule besucht, beginnt Michael eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellter.

Mit der Geburt von Meikes Sohn Stefan im April 1985 wird Heino zum ersten Mal Großvater. Mit Linda Louisa (November 1989), Saskia (Juni 1990), Frerk (Februar 1992), Sarah (März 1992) Jannik (März 1994), Tjark (Oktober 1995), Greta Marie (April 1997) und Rieka kommen bis September 1997 acht weitere Enkelkinder hinzu. Zu diesem Zeitpunkt hat Heino den Hof bereits an Ralf und Ehefrau Karin verpachtet, die offizielle Übergabe erfolgt 1999. Ein Jahr später ziehen Heino und Linda in ein kurz zuvor erbautes Altenteiler-Haus.

Auch als Ruheständler geht Heino weiter seinem neben der Landwirtschaft größtem Hobby nach: dem Chorgesang. Zusammen mit seinen Schulkameraden und lebenslangen Freunden Heinz Abel und Martin Tönjes ist er schon Ende der 40er Jahre dem Linteler Männergesangverein Harmonie beigetreten, dessen Vorsitz Sohn Michael 1998 übernommen hat. Noch bis 2011 erscheint Heino regelmäßig zu den Singabenden. Seine langjährigen Ehrenämter im Landvolk Lintel und in anderen berufsnahen Organisationen wie dem Entwässerungsverband Wüsting oder der Raiffeisen-Warengenossenschaft Hude gibt er hingegen beizeiten ab.

Obwohl gesundheitlich bereits angeschlagen, feiert Heino mit Linda 2017 nach dem 25. und dem 50. auch den 60. Hochzeitstag an vertrauter Stätte, im Gasthof Buchholz in Grummersort. Mit den Hochzeiten der Enkelkinder Sarah und Jannik sowie den Geburten der Urenkeltöchter Mia und Lea kommen bis September 2020 weitere freudige Ereignisse im Familienkreis hinzu. Danach wird jedoch mehr und mehr offensichtlich, dass Heino stärkere Betreuung benötigt als vor Ort auf Dauer leistbar ist. Anfang Juli 2021 zieht er deshalb mit Linda in ein ganz in der Nähe von Tochter Elke gelegenes Pflegeheim nach Edewecht. Dort stirbt Heino am 25. Juli 2021 an Altersschwäche. Beerdigt ist er neun Tage später in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche. Aufgrund der damals nach wie vor geltenden Corona-Maßnahmen muss die Trauerfeier zwar in kleinstem Rahmen stattfinden. Das Entgegenkommen von Pastor Ingmar Hammann aus Warfleth ermöglicht es den Sängern des MGV Harmonie Lintel jedoch, sich in einem würdigen Rahmen von ihrem Ehrenmitglied zu verabschieden.