Helga Gesine Dählmann wird am 18. Dezember 1948 als erstes Kind von Heinrich Egbers und Hilde Egbers im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg geboren. Sie ist die um zehn Minuten ältere Zwillingsschwester von Herbert Egbers.
Im Laufe des Dezember 1948 kehren die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Frankreich zurück. Dort sind nach Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu einer Million ehemalige Wehrmachts-Soldaten in rund 120 Lagern interniert. Von der einheimischen Bevölkerung anfangs denkbar feindselig empfangen, kommen sie unter anderem in der Landwirtschaft und im Bergbau zum Einsatz. Entgegen den Bestimmungen der Genfer Konvention müssen mehr als 40.000 gefangene Deutsche jedoch auch zumindest zeitweilig bei der Minenräumung helfen, was Schätzungen zufolge jeder zehnte von ihnen nicht überlebt. Weitere Tote fordert die vor allem in den ersten beiden Nachkriegsjahren nur mangelhafte Versorgung, so dass sich die Zahl der zwischen 1945 und 1948 in französischer Gefangenschaft umgekommenen Deutschen auf ebenfalls rund 40.000 summiert.
Die wenigsten Opfer gibt es naturgemäß in der Landwirtschaft: In den Dörfern der Provinz bestehen kaum Lebensmittel-Engpässe. Ähnlich wie während des Krieges, als hunderttausende gefangene Franzosen auf deutschen Bauernhöfen Dienst taten, hilft die gemeinsame Arbeit auf den Feldern zudem, auf beiden Seiten Hass und Vorbehalte abzubauen. Manche der von Anfang 1947 an auf amerikanischen Druck hin freigelassenen Deutschen – vornehmlich Heimatlose aus den verlorenen Ostgebieten – nehmen deshalb das Angebot der französischen Regierung an, noch für einige Jahre als Lohnarbeiter im Land zu bleiben.
Eine Wahl, von der manch andere der anfangs rund 11 Millionen deutschen Kriegsgefangenen nach der bedingungslosen Kapitulation nur träumen können. In der Sowjetunion etwa warten Ende 1948 noch zwischen 200.000 und 500.000 ehemalige Soldaten auf ihre Freilassung. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl an deportierten Zivilisten, darunter viele Frauen. Da das kommunistisch regierte Land der Genfer Konvention nicht beigetreten ist, fühlt es sich generell nicht an deren Vorgaben zum Umgang mit Kriegsgefangenen gebunden und gibt nur sporadisch Zahlen zu diesem Thema bekannt. Auch in der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Polen harren Schätzungen zufolge noch 65.000 bis 70.000 ehemalige Wehrmachts-Angehörige in speziell für sie eingerichteten Lagern aus.
Verglichen damit hat Helgas Vater Heinrich Egbers den 1939 mit dem deutschen Angriff auf Polen begonnenen Krieg relativ glimpflich überstanden. Wenn auch nicht ohne gesundheitliche Folgen: Nach Einsätzen in Frankreich und Nordrussland wird er im August 1944 verwundet und kehrt so bereits Ende 1944 auf den elterlichen Hof nach Dingstede zurück. Seit September 1948 mit der sechs Jahre jüngeren Nachbarstochter Hilde Borchers verheiratet, erhält Heinrich die Nachricht von der Geburt der gemeinsamen Zwillinge auf einer Weihnachtsfeier im Gasthof von Bernhard und Mathilde Strackerjan. Wie ein Lauffeuer macht der Überlieferung zufolge an jenem Abend die telefonisch aus Oldenburg übermittelte Neuigkeit im vollbesetzten Lokal die Runde.
Helgas Onkel Johann, der erstgeborene Sohn und designierte Erbe des Egbers-Hofes, ist im Dezember 1947 aus sowjetischer Gefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt. Ihr andernfalls zum Nachfolger aufgerückter Vater hat daraufhin Anfang 1948 einen gebrauchten Lastwagen gekauft und sich mit einem vom elterlichen Hof betriebenen Fuhrgeschäft selbstständig gemacht. Wohnsitz der jungen Familie ist allerdings der lediglich knapp 400 Meter entfernt liegende Hof von Hermann und Sophie Borchers, Helgas Großeltern mütterlicherseits. Dort verbringt Helga mit Bruder Herbert, den Eltern, Großeltern und dem zum Zeitpunkt ihrer Geburt 15 Jahre alten Onkel Hermann Junior die ersten Lebensjahre, lernt Sprechen und Laufen.
Im Frühjahr 1956 werden Helga und Herbert in die Volksschule Dingstede eingeschult. Zu Helgas in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen, zu denen sie auch nach der Schulzeit in Kontakt bleibt, gehören unter anderem Inge Cordes, Helga Nowak, Anita Schnier und ihre Kusine Gerda Egbers. Noch im Jahr der Einschulung vergrößert Vater Heinrich sein Fuhrgeschäft und errichtet auf einem von den Eltern geerbten, dem Borchers-Hof direkt gegenüberliegenden Grundstück eine LKW-Garage. Im Laufe des Jahres 1957 kommt ein Einfamilienhaus hinzu, das die vierköpfige Familie im April 1958 bezieht. Trotzdem verbringt Helga weiter viel Zeit auf dem Borchers-Hof, wo sie Melken und Treckerfahren lernt und auch sonst in alle landwirtschaftlichen Arbeiten einbezogen ist. In den Schulferien fährt sie zudem häufig bei ihrem Vater auf dem LKW mit.
Im April 1964 wird Helga in Kirchhatten konfirmiert. Dort absolviert sie anschließend auch das neunte und letzte Schuljahr, bevor sie am 1. April 1965 eine Ausbildung bei der Raiffeisenbank Kirchhatten beginnt. Dafür legt sie jeden Tag bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad die sechs Kilometer lange Strecke zwischen Elternhaus und Lehrbetrieb zurück und fährt meistens auch in der Mittagspause nach Hause. Nebenbei hilft sie bei der Pflege ihrer Großmutter Sophie, die 1967 im Alter von 71 Jahren stirbt.
Um auch andernorts Erfahrungen zu sammeln, bewirbt Helga sich knapp ein Jahr nach Bestehen ihrer Abschlussprüfung bei der Spar- und Darlehnskasse in Hude. Wichtiger als alle Zeugnisse und sonstigen Referenzen sind dem damaligen Vorstand Heino Frers ihre Plattdeutsch-Kenntnisse. Da es daran nicht hapert, ist Helgas Einstellung zum 1. April 1969 mehr oder weniger Formsache. Im Kreis der neuen Kollegen fühlt sie sich schnell wohl, und auch dass der Weg zur Arbeit nun doppelt so lang ist wie vorher, stellt kein Problem dar – hat sie doch inzwischen ihren Führerschein in der Tasche und ist stolze Besitzerin eines eigenen kleinen Automobils.
Schon vor ihrem Wechsel nach Hude ist Helga in der Landjugend Sandersfeld aktiv. Zunächst Kassenwartin, übernimmt sie dort im September 1969 zusammen mit Günter Heinemann aus Hurrel den Vorsitz und bekleidet bald darauf auch das Amt der Kreisvorsitzenden. In dieser Zeit findet Helga Gefallen an einem früheren Landjugend-Vorstand, Heiko Dählmann aus Lintel – auch wenn dieser im April 1971 eine getroffene Verabredung zum Disco-Abend im Vereinslokal von Heinrich Imholze zunächst unentschuldigt verstreichen lässt. Dass es dafür einen sehr ernsten Grund gibt, nämlich einen tödlichen Verkehrsunfall im engeren Familienkreis, kann sie natürlich nicht wissen. Dafür funkt es dann beim nächsten Disco-Abend richtig, und seither sind Helga und Heiko ein Paar. Ihre Verlobung feiern sie im Februar 1972 bei Strackerjan in Dingstede, die Hochzeit dann am 29. September 1972 in der Gastwirtschaft von Heikos Nachbarin Mathilde Knutzen in Lintel.
Heiko führt mit seinen Eltern einen inklusive Zupachtung knapp 40 Hektar großen Hof, seine Mutter Anny ist zum Zeitpunkt der Hochzeit allerdings bereits an Lungenkrebs erkrankt. Helga geht ihrer Schwiegermutter bis zu deren Tod im Januar 1973 zur Hand und ist danach allein für den Haushalt verantwortlich. Die Freude über den im Mai 1974 geborenen Sohn Hauke wird ein halbes Jahr später getrübt vom Tod ihrer Mutter Hilde, die im November 1974 im Alter von nur 47 Jahren einer Leberzirrhose erliegt.
Im September 1977 vergrößert Tochter Insa die Familie, im Februar 1979 kommt der zweite Sohn Renke hinzu. Die folgenden Jahre sind geprägt von der Doppelrolle als Mutter und Ehefrau eines Landwirts, die den familieneigenen Betrieb im wahrsten Sinne des Wortes am Laufen halten muss. Trotzdem bleibt Zeit für diverse Freizeitaktivitäten: Zwar ist Helga nicht dabei, als der Schützenverein Lintel Anfang 1978 eine Damen-Abteilung aus der Taufe hebt. Dafür geht sie regelmäßig mit Nachbarinnen wie Gunda Einemann, Christa Pape und Inge Witte bei Brüers in Munderloh kegeln. Als sehr gesellige Menschen stehen sie und Heiko auch nicht abseits, als Helmut Stalling, einer ihrer Vorgänger an der Spitze der Landjugend Sandersfeld, 1987 die vereinseigene Volkstanzgruppe zu neuem Leben erweckt. Spontan übernimmt Helga auch hier eines der beiden Vorstandsämter.
Weil der Versuch misslingt, den Männergesangverein Lintel in einen gemischten Chor umzuwandeln, ruft Helga zusammen mit Thea Claußen und Inge Dählmann ebenfalls noch 1987 den Frauenchor Lintel ins Leben und führt ihn mehr als zehn Jahre lang. Ihre Liebe zur Musik versucht Helga darüber hinaus an die Kinder weiterzureichen, indem sie alle drei ein Instrument erlernen lässt. Kreativ zu sein ist ihr ungemein wichtig – das zeigt Helga nicht nur im Alltag, sondern auch immer wieder zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten, runden Geburtstagen oder Familientreffen, wo sie gern selbst verfasste Gedichte vorträgt oder allseits bekannte Lieder neu interpretiert. Als Mitglied im Beirat des Huder Kulturvereins „Impuls“ organisiert sie zudem „Plattdeutsche Abende“ und andere stets gut besuchte Veranstaltungen. Nebenbei findet sie auch noch die Zeit, eine Ausbildung zur ländlichen Hauswirtschafterin abzuschließen.
Ein besonderes Ereignis – nämlich der bevorstehende 90. Geburtstag ihres Schwiegervaters Heinrich Dählmann – lässt Helga Anfang der 1990er Jahre noch einmal ein ganz neues und faszinierendes Hobby entdecken: die Ahnenforschung. Deshalb ist sie sofort Feuer und Flamme, als der Heimatverein Dingstede sie bittet, an der Erstellung einer Dorf-Chronik mitzuwirken. In mühevoller Kleinarbeit trägt sie umfangreiche Informationen zu den einzelnen Höfen ihres Heimatortes zusammen, das Ergebnis liegt Ende 2003 in Buchform vor. Einige Jahre später wirkt Helga auch an einer Festschrift zum 750-jährigen Bestehen des Nachbardorfes Steinkimmen mit.
Vorübergehend aus der Bahn geworfen wird Helga in dieser so mannigfach ausgefüllten Zeit durch eine Krebs-Diagnose, die sie zwei Jahre vor ihrer im September 1997 mit 235 Gästen gefeierten Silberhochzeit erhält. Von einem Reha-Aufenthalt im Teutoburger Wald kehrt sie 1998 stark deprimiert zurück und ist eine Weile lang fest davon überzeugt, die Krankheit nur ganz für sich alleine besiegen zu können. Das stellt den Familien-Zusammenhalt auf eine harte Probe, doch nach einem zwischenzeitlichen Auszug wendet sich am Ende alles zum Guten.
Die Kinder sind inzwischen erwachsen, die Erbfolge ist geregelt: Der jüngste Sohn Renke wird den Hof nach seinem Studium weiterführen. Auch die beiden anderen sind beruflich und privat auf einem guten Weg, Hauke und seine Lebensgefährtin Sonja Heise wohnen zudem direkt gegenüber des Dählmann-Hofes in einem 1994 erbauten Altenteiler-Haus. Sie heiraten im Juni 2005 und machen Helga durch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Helge im November 2006 erstmals zur Großmutter.
Alles in bester Ordnung also – wäre da nicht jene heimtückische Krankheit, deren erste Anzeichen Helga im Herbst 2006 kurz nach der Rückkehr aus einem Südtirol-Urlaub bemerkt. Trotz tatkräftiger Unterstützung von Tochter Insa, die vor ihrem Betriebswirtschaftsstudium Arzthelferin gelernt hat, dauert es fast zwölf Monate, bis die exakte Diagnose feststeht. Sie gleicht einem Todesurteil: ALS befällt Muskeln und Nerven, ist unheilbar und lässt den Betroffenen nur selten eine Lebenserwartung von mehr als drei Jahren. Die Frist, die Helga bleibt, ist noch etwas kürzer: Sie stirbt am 2. Mai 2008 und wird fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.