Johann Dählmann – Biographie

Johann Dählmann wird am 29. Dezember 1856 als erstes Kind von Johann Dählmann und Almut Helene Dählmann auf dem elterlichen Hof in Loy bei Rastede geboren. Er ist der ältere Bruder von Margarethe Leck, Rudolph Gerhard Dählmann, Anna Gebken und Gerhard Dählmann. Ein Zwillingsbruder von Rudolph Gerhard stirbt am 7. Oktober 1860 unmittelbar nach der Geburt und bleibt namenlos. Auch der zunächst überlebende Zwilling Rudolf Gerhard übersteht das Säuglingsalter nicht: Er stirbt am 24. Dezember 1860.

Drei Tage vor Johanns Geburt fasst der spätere Philologe und Philosoph Friedrich Nietzsche den Beschluss, ein Tagebuch zu führen. Fortan will der damals 12-Jährige alles, was „freudig oder auch traurig das Herz bewegt“, dem eigenen Gedächtnis überliefern, um sich noch Jahre später „an Leben und Treiben dieser Zeit“ zu erinnern.

Zu den ersten Einträgen gehört ein Rückblick auf die weihnachtliche Vorfreude, die den jungen Nietzsche an Heiligabend 1856 erfasst: „Der Tag verfloss mit Schneckenlangsamkeit; Pakete mussten von der Post geholt werden, geheimnisvoll wurden wir aus der Stube in den Garten vertrieben. Was mag während dieser Zeit dort vorgegangen sein? Dann ging ich in die Klavierstunden, in welche ich wöchentlich am Mittwoch einmal gehe. Ich hatte erst eine Sonata facile von Beethoven gespielt, und musste jetzt Variationen spielen. Nun fing es schon an zu dämmern. Die Mama sagte zu mir und meiner Schwester Elisabeth: Die Vorbereitungen sind fast zu Ende. Wie freuten wir uns da. Nun kam die Tante; wir begrüßten sie mit einem Gejauchze oder vielmehr Gebrüll, dass das Haus davon bebte.“

Die Bescherung in der zuvor unter Verschluss gehaltenen Wohnstube beschreibt Nietzsche dann wie folgt: „Hell strahlt uns der Christbaum entgegen und unter ihm die Fülle der Gaben! Ich sprang nicht, nein ich stürzte hinein und gelangte merkwürdigerweise grade an meinen Platz. Da erblickte ich ein sehr schönes Buch (obgleich zwei dalagen, denn ich sollte mir auswählen), nämlich die Sagenwelt der Alten mit vielen prächtigen Bildern ausgestattet. Auch einen Schlittschuh fand ich, aber nur einen? Wie würde ich ausgelacht werden, wenn ich versuchen wollte, einen Schlittschuh an zwei Beine zu schnallen. Das wäre doch merkwürdig. Doch sieh einmal, was liegt denn da noch daneben so ganz ungesehen? Bin ich denn so klein, so gering, dass du mich kaum ansiehst? sprach da plötzlich ein dicker Folioband, welcher zwölf vierhändige Sinfonien von Haydn enthielt. Ein freudiger Schrecken durchzuckte mich wie der Blitz die Wolken; also wirklich der ungeheure Wunsch war erfüllt; der größte! Nebenan erblickte ich auch den zweiten Schlittschuh, und wie ich mir diesen näher besehe, da sah ich plötzlich noch ein paar Hosen.“

So idyllisch und unbeschwert diese Schilderungen auch klingen mögen – leicht hat es der heute weltweit bekannte Philosoph in seinen Jugendjahren trotz materieller Sicherheit nicht unbedingt. Durch den Tod des als Pfarrer arbeitenden Vaters früh zur Halbwaise geworden, wächst Nietzsche bis 1856 in einem aus Mutter, Schwester, Großmutter, zwei unverheirateten Tanten und einem Dienstmädchen bestehenden Frauen-Haushalt im zur Provinz Sachsen gehörenden Städtchen Naumburg auf. In der Schule tut er sich zunächst eher schwer – bis nach dem Wechsel auf das örtliche Domgymnasium seine besondere musische und sprachliche Begabung auffällt. Diesem Umstand hat Nietzsche auch das heißbegehrte Haydn-Notenwerk unter dem Weihnachtsbaum zu verdanken: Es stammt seinem Tagebuch-Eintrag zufolge von einem unbekannten Förderer, dessen Namen er trotz mehrfacher Nachfragen nicht erfährt.

Hat Johann in Loy, verglichen mit Nietzsche, den besseren Start ins Leben? Zumindest ist es ihm vergönnt, mit beiden Elternteilen aufzuwachsen – und er wächst angesichts des in der Gemeinde Rastede geltenden Ältestenrechts in der Gewissheit heran, eines Tages den zwar mit einer Fläche von nur vier Hektar relativ kleinen, aber seit fast 200 Jahren im Besitz der Familie befindlichen Dählmann-Hof in neunter Generation weiterführen zu können. In den politisch wie wirtschaftlich wenig komfortablen Zeiten der Reaktions-Ära durchaus ein Privileg, was ihm sein 1870 verstorbener Großvater Johann (aus der siebten Generation) vermutlich mehr als einmal vor Augen führt. Er macht Johann mit der Familiengeschichte vertraut und erzählt zudem so manches Detail aus der eigenen, von napoleonischer Besatzung geprägten Kindheit. „Er konnte auch bis 20 auf Französisch zählen, was er von den französischen Soldaten gelernt hatte“, schreibt Johann dazu in seinen 1934 zu Papier gebrachten Erinnerungen.

Aus Johanns vom Deutsch-Dänischen Krieg und vom Preußisch-Österreichischen Krieg überschatteten Schulzeit ist heute in der Familie nichts mehr bekannt. Konfirmiert ist er unmittelbar nach der Gründung des Deutschen Reichs, die 1871 auf den Deutsch-Französischen Krieg folgt. Sechs Jahre später leistet Johann seinen Militärdienst als Kanonier bei der Artillerie ab und arbeitet anschließend wieder auf dem elterlichen Hof.

Im April 1884 stirbt Johanns Vater im Alter von nur 50 Jahren. Zusammen mit Mutter Almut Helene führt Johann daraufhin den Hof weiter. Am 1. September 1885 heiratet er Anna Gebken aus dem Nachbarort Leuchtenburg, die gleichzeitig auch seine Schwägerin ist: Ihr Bruder Johann Gebken nämlich ist seit April 1883 mit Johanns Schwester Anna verheiratet – was einmal mehr das äußerst begrenzte Reservoir jener Epoche an gebräuchlichen Vornamen unter Beweis stellt. Dass Johann und Anna Dählmann ihren zweieinhalb Monate später geborenen Sohn ebenfalls Johann nennen, dürfte zwar eher der Tradition geschuldet sein als dem Mangel an Alternativen. Die zielgenaue Ansprache der einzelnen Familienmitglieder macht diese Entscheidung in der Folge gleichwohl kaum einfacher.

Mit Gerhard (Februar 1888), Helene (August 1890) und Heinrich folgen bis Februar 1893 drei weitere Kinder. Das Jahr nach Heinrichs Geburt markiert dann allerdings in der Familiengeschichte einen tiefen Einschnitt. Zum einen kommt es zu einer persönlichen Tragödie, in deren Mittelpunkt Johann steht: Indem er zu Beginn einer Scharlach-Epidemie an der Beerdigung eines der Opfer teilnimmt und dort den Angehörigen die Hand reicht, schleppt er die Krankheit auf dem eigenen Hof ein. Das kostet im März 1894 seine beiden Söhne Gerhard und Heinrich innerhalb von nur vier Tagen das Leben.

Zum anderen zerschlägt sich in jenem Schicksalsjahr die Hoffnung, dass der Dählmann-Hof auch der zehnten Generation eine sichere Lebensgrundlage bieten kann. Das liegt daran, dass die Großherzoglich Oldenburgische Staatseisenbahn (GOE) beschließt, ihre neu errichtete Trasse von Oldenburg nach Brake durch Loy führen zu lassen. Und nicht nur das: Die Planungen sehen vor, die Schienen direkt auf dem Dählmannschen Land zu verlegen und damit die Wirtschaftsflächen auseinanderzureißen. Ein Vorhaben, gegen das Johann, Anna und Mutter Almut Helene sich zunächst wehren wollen. Angesichts einer dann möglicherweise drohenden Enteignung erkennen sie jedoch schnell die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens und versuchen stattdessen, eine möglichst großzügige Entschädigung auszuhandeln.

Wie Johann 1934 in seinen Erinnerungen festhält, zahlt die GOE am Ende für anderthalb Hektar inklusive Hofgebäude 10.000 Reichsmark. Für die restlichen zweieinhalb Hektar bekommt Johann von zwei anderen Bauern aus der Region noch einmal 4.000 Reichsmark. Auf der Suche nach Ersatz wird er in Neuenkoop fündig: Zum Preis von 17.050 Reichsmark geht eine insgesamt 15 Hektar große Hofstelle (heute: Günter Schwarting) aus dem Eigentum des Huder Gutsbesitzers Friedrich Ernst von Witzleben auf ihn über. Den Umzug für die nach der Geburt des nächsten Sohnes Georg im April 1895 sechsköpfige Familie organisiert und finanziert 1896 ebenfalls die GOE. In Neuenkoop wächst die Familie dann um drei weitere Söhne: Adolf (Oktober 1897), Gerhard (Juni 1901) und Heinrich (Mai 1904). Dass gleich zwei von ihnen die Vornamen der in Loy verstorbenen Brüder erhalten, mag aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen, ist zur damaligen Zeit aber nichts Ungewöhnliches.

Insgesamt sieht Johann den Start in der neuen Heimat rückblickend als durchaus gelungen an. Er bemängelt aber, dass es dort oft sehr nass wird und die Entwässerungsverhältnisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts alles andere als gut sind. Am meisten setzt das allgemein feuchte Klima der Wesermarsch Ehefrau Anna zu: Sie erkrankt an Gelenkrheumatismus, der sich im Laufe der Jahre immer mehr verschlimmert. Ein Umzug auf die Geest würde helfen, rät ein Arzt und lenkt die Zukunftspläne der Familie damit abermals in eine andere Richtung. Den Hof in Neuenkoop zu verkaufen, erscheint dabei als das geringste Problem – die Preise für Weide- und Ackerland sind seit der Jahrhundertwende kräftig gestiegen. Dasselbe gilt aber natürlich auch für potenzielle Ersatzflächen.

Verkleinern will Johann sich nicht, und so fällt seine Wahl schließlich auf einen ebenfalls rund 15 Hektar umfassenden Hof in Lintel (heute: Heiko und Renke Dählmann). Obwohl das umliegende Land noch nicht vollständig kultiviert ist, verlangt Vorbesitzer Johann Christian Witte dafür 32.000 Reichsmark, wovon 20.000 Reichsmark sofort fällig wären. Was aber kein Problem darstellt, denn in Neuenkoop erzielt Johann einen Verkaufserlös von 30.000 Reichsmark. Der Handel kommt also zustande, und im Frühjahr 1910 geht der neuerliche Wohnortwechsel über die Bühne.

Nicht mehr dabei ist der älteste Sohn Johann, der zum Zeitpunkt des Umzugs seinen Militärdienst absolviert und anschließend als Verwalter auf dem durch seine Kornbrennerei bekanntgewordenen Hof Hilbers in Etzhorn arbeitet. Wäre die Familie in Loy geblieben, hätte sehr wahrscheinlich er den elterlichen Hof weitergeführt. In Lintel hingegen gilt Jüngstenrecht, so dass diese Aufgabe früher oder später dem gerade erst eingeschulten jüngsten Sohn Heinrich zufällt. Zumindest anfangs sind aber natürlich noch die anderen Geschwisterkinder ungleich stärker in die tägliche Bewirtschaftung des Hofes eingebunden. Dies gilt auch oder sogar in besonderem Maße für Johanns einzige Tochter Helene, denn anders als erhofft bessern sich die rheumatischen Beschwerden von Ehefrau Anna durch das nun etwas trockenere Klima nur unwesentlich.

In den 1914 ausbrechenden Ersten Weltkrieg werden zunächst die beiden älteren Söhne Johann und Georg hineingezogen, später dann auch noch Adolf. Alle drei kehren jedoch Ende 1918 heil nach Hause zurück. Während Johann seine Arbeit auf dem Hof Hilbers in Etzhorn wieder aufnimmt, findet Adolf Anstellung als Milchkontrolleur in Jever. Georg lebt zunächst wieder auf dem Dählmann-Hof und heiratet im August 1921 Johanne Schwarting aus Hurrel. Im Oktober 1921 folgen dann gleich zwei Vermählungen: Sohn Johann heiratet Hermine Knutzen aus Bekhausen, Tochter Helene gibt Georg Osterloh aus Munderloh das Ja-Wort. Neun Tage nach Helenes Hochzeit kommt mit Georgs und Johannes Tochter Almut Johanns erstes Enkelkind zur Welt – am 94. Geburtstag von Mutter Almut Helene, die sich nach wie vor guter Gesundheit erfreut.

Die folgenden Jahre sind geprägt von den wirtschaftlichen Problemen der jungen Weimarer Republik und der sich rasch zur Hyperinflation aufschaukelnden Geldentwertung. Georg und Johanne pachten derweil nur wenige Kilometer vom Dählmann-Hof entfernt an der Hurreler Straße einen zum Gut Witzleben gehörenden Hof (heute: Henning und Jürgen Dählmann). Auch dort ist bislang lediglich ein Teil des dazugehörigen Landes kultiviert. Bei der Urbarmachung helfen Johann und die Brüder Gerhard und Heinrich dem jungen Paar nach Kräften. Johann selbst pachtet 1925 in unmittelbarer Nähe eine weitere, mit Heide und Birken bestandene Fläche und wandelt sie nach und nach in Weideland um.

Das Jahr 1927 bricht an und damit jenes Jahr, in dem Johanns Mutter Almut Helene im November ihren 100. Geburtstag hätte feiern können. Hätte, denn sie schafft es nicht ganz und stirbt schon am 29. März an Altersschwäche. Nur zehn Monate später muss Johann auch von Ehefrau Anna Abschied nehmen, sie wird nur 64 Jahre alt.

Im März 1931 heiratet Hoferbe Heinrich Anny Schröder aus Neuenkoop. Deren im März 1932 geborene Tochter Hanna ist bereits Johanns siebtes Enkelkind. Am Ende seines Lebens werden es 14 sein, wobei Heinrichs und Annys zweites, im April 1935 mit einem irreparablen Herzfehler geborenes Kind Werner kurz nach dem ersten Geburtstag stirbt.

Als Johann im Februar 1934 seine Lebenserinnerungen niederschreibt, regieren in Berlin bereits seit mehr als einem Jahr die Nationalsozialisten unter ihrem Führer Adolf Hitler. Deren unheilvolle, fünfeinhalb Jahre später in den Zweiten Weltkrieg mündende Politik wird Johann kurz vor seinem Tod ein weiteres Enkelkind kosten: Gerhard Dählmann, der zweitgeborene Sohn von Johann Junior und Hermine Dählmann in Bekhausen, fällt im März 1943 als Grenadier der Wehrmacht in der Nähe der ukrainischen Stadt Charkiw.

Johann stirbt am 28. November 1943 in Lintel, vier Wochen vor seinem 88. Geburtstag. Beerdigt ist er wenige Tage später in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche.