Johann Heinrich Geerken wird am 23. Januar 1897 auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Otto Drieling) als zweites Kind von Diedrich Geerken und Anna Rebecca Geerken geboren. Er ist der jüngere Bruder von Bernhard Geerken und der ältere Bruder von Carl Geerken, Ludwig Geerken und August Geerken. Daneben hat er mit Hans Geerken, Gretchen Ahlers und Walter Geerken noch drei jüngere Halbgeschwister aus der zweiten Ehe seines Vaters mit Henriette Becker.
Neun Tage vor Johanns Geburt verteidigt Schach-Weltmeister Emanuel Lasker in Moskau seinen 1894 gewonnenen Titel gegen Vorgänger Wilhelm Steinitz. Es ist ein ungleiches Duell: Von 17 Partien gewinnt der 28-jährige Deutsche zehn, während sein für die USA antretender Kontrahent lediglich zwei Partien für sich verbuchen kann. Steinitz, 1836 in Prag geboren, war bis zum Verlust der Weltmeisterschaft viele Jahre lang der unumstrittene Star der internationalen Schach-Szene, ehe er mehr und mehr den Anschluss verlor. Er muss sich nach der erneuten Niederlage zeitweise in psychiatrische Behandlung begeben und stirbt nur drei Jahre später verarmt und verbittert.
Derweil kehrt Lasker, der seit 1893 ebenfalls überwiegend in den USA gelebt hat, ins Deutsche Reich zurück und nimmt sein Mathematik-Studium wieder auf. Nach der Promotion in Erlangen strebt er eine akademische Laufbahn an, findet jedoch keine ihm zusagende Anstellung. Deshalb macht der bis heute einzige deutsche Weltmeister in dieser Disziplin das Schachspielen zu seinem Beruf und nimmt fortan an zahlreichen Turnieren teil. Seinen Titel muss er erst zehn Jahre später wieder verteidigen: Beim zwischen dem 26. Januar und dem 6. April 1907 in sechs amerikanischen Städten (New York, Philadelphia, Washington, Memphis, Chicago und Baltimore) über die Bühne gehenden Wettkampf besiegt Lasker den Amerikaner Frank Marshall deutlich mit 11,5 zu 3,5 Punkten.
Zu diesem Zeitpunkt besucht Johann in Lintel bereits die örtliche, von Adolf Poppe geleitete Volksschule. Dort gehören neben den 1896 und 1898 geborenen Brüdern Bernhard und Carl unter anderem August Ahlers, Dietrich Haverkamp, Hinrich Rodiek, Heinrich von Runnen, Bernhard Tönjes und Hinrich Wachtendorf zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern. Dass er und seine Geschwister in Lintel aufwachsen, geht auf besondere Umstände zurück. Eigentlich nämlich hätte Johanns Onkel Claus Galdas den 1864 am südwestlichen Rand des Schnitthilgenloh begründeten Hof seiner Großeltern Berend und Beta Galdas weiterführen sollen. Mutter Anna war deshalb 1891 wie zuvor schon mehrere ihrer Schwestern in die USA ausgewandert – mit dem Versprechen ihres späteren Ehemannes Diedrich Geerken im Gepäck, später nachzukommen. Als jedoch Claus Hinrich Galdas 1894 samt Ehefrau und zwei Söhnen an Diphtherie stirbt, kehrt Anna in die Heimat zurück und tritt nach der im Mai 1895 gefeierten Hochzeit mit Diedrich an die Stelle ihres Bruders.
Den 1896 verstorbenen Großvater lernt Johann gar nicht mehr kennen, Großmutter Beta Margarete – sie stirbt 1903 – nur kurz. Und auch von der herzkranken Mutter muss er im Juli 1908 viel zu früh Abschied nehmen. Ihr Tod markiert einen der traurigsten Momente seiner Kindheit, wie Johann später in seinen mehr als 700 Seiten umfassenden Lebenserinnerungen festhalten wird. Es beginnt eine harte und arbeitsreiche Zeit, aus der ihm vor allem eine Weisheit Johann Wolfgang von Goethes im Gedächtnis bleibt: „Wer mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht; wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht.“ Das treibt Johann auch in der Schule an, wo Rechnen zu seinen Lieblingsfächern gehört.
Eine weitere prägende Erinnerung aus Johanns Kindertagen kreist um die Erzählungen von Dorfbewohnern aus dem Deutsch-Französischen Krieg. So berichtet Nachbar Heinrich Abel, im September 1870 Teilnehmer an der siegreichen Schlacht von Sedan, unter anderem davon, dass die französischen Soldaten in der Schlacht rote Hosen getragen hätten. Das weckt in Johann den Wunsch, später selbst Soldat zu werden. Dieser Wunsch verstärkt sich noch, als er einige Jahre später bei seinem ersten Besuch der Landeshauptstadt Oldenburg eine Wachablösung vor dem Schloss beobachtet und überdies auf dem Pferdemarkt Zeuge einer Parade wird.
Im April 1911 – knapp sieben Monate nach Geburt des ersten Halbbruders – beendet Johann die Schule und wird konfirmiert. Danach kommt er auf den Hof von Johann Heinrich Ahlers in Holle, der neben der Landwirtschaft auch eine heute unter Denkmalschutz stehende Kornmühle betreibt. Dort arbeitet Johann mit Ahlers‘ angehendem Schwiegersohn Hermann Wöhlers zusammen. Von ihm lernt er sehr viel und betrachtet ihn als väterlichen Freund. Diese Gemeinschaft endet abrupt, als am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg beginnt: Bereits einen Tag später muss Wöhlers zur Kaiserlichen Armee einrücken, Johann wird ihn nie wiedersehen.
Am 1. Mai 1915 tritt Johann eine neue Arbeitsstelle bei einem Großbauern in Oberhausen an, wo er viel über den Umgang mit Pferden lernt. Der Musterung zum Militärdienst im folgenden Jahr folgt die Einberufung: Am 2. August 1916 muss er sich in Oldenburg beim Infanterie-Regiment Nr. 91 zum Dienstantritt melden. Sein Soldatenleben beginnt.
Nach einer kurzen militärischen Ausbildung marschiert Johann einige Wochen später mit seinen Kameraden unter Musikbegleitung zum Bahnhof. Bringt der Zug sie an die Ost- oder an die Westfront? Die Antwort erhält Johann erst während der Fahrt, die über Warschau nach Kowel in die heutige Ukraine führt. Damals ein wichtiger Eisenbahn-Knotenpunkt, den die russische Armee kurz zuvor im Rahmen der Brussilow-Offensive vergeblich zu erobern versucht hatte. Bis zum November 1916 ist Johann an der Abwehr weiterer Angriffe beteiligt, entlang der Flüsse Styr und Stochid wird er darüber hinaus in diverse Stellungskämpfe verwickelt.
Bald darauf wird Johanns Kompanie an die Westfront versetzt. In Frankreich kommt er unter anderem auch in der Gegend von Sedan zum Einsatz. Jene kindliche Begeisterung, die ihn Jahre zuvor bei den Erzählungen seines Linteler Nachbarn Heinrich Abel ergriffen hatte, ist da angesichts des täglichen Massensterbens an der Front freilich längst verflogen. Am 25. November 1917 dann die Zäsur: Johann wird in der Nähe von Verdun durch Granatsplitter am Arm und einen Steckschuss in den rechten Oberschenkel verwundet, er gerät in französische Gefangenschaft.
Nach der Genesung bleibt Johann in Gefangenschaft, wo er im November 1918 das Ende des Krieges erlebt. Erst Anfang des übernächsten Jahres auf freien Fuß gesetzt, trifft er am 6. Februar 1920 in einem Durchgangslager in Mannheim ein. Nach fünf Tagen Aufenthalt geht es weiter mit dem Zug über Oldenburg nach Hude. Dort trifft er seinen ehemaligen Schulkameraden Wilhelm Borgmann, der ebenfalls aus französischer Gefangenschaft entlassen worden war und im selben Zug gesessen hatte. In seinen Erinnerungen schreibt Johann dazu: „Gemeinsam sind wir durch die verschneite Winternacht gegangen, zunächst entlang der Bahnstrecke durch das Reiherholz. Auf Haverkamps Feld haben wir uns getrennt. Sein Weg führte zu seiner Mutter, einen Vater hatte er nicht mehr. Bei mir waren die Verhältnisse umgekehrt.“
Bei Vater und Stiefmutter in Lintel angekommen, ist Johann unschlüssig, wie es beruflich weitergehen soll. Sein ehemaliger Kompanieführer ermutigt ihn, sich bei der neu aufgestellten Oldenburger Ordnungspolizei zu bewerben. Als Weltkriegs-Teilnehmer wird er bevorzugt eingestellt und arbeitet fortan im Polizeidienst. Zufrieden mit seinen Verhältnissen in der Ende 1918 ausgerufenen Weimarer Republik ist er gleichwohl nicht. Im Angesicht von Ruhrbesetzung und der dramatisch voranschreitenden Geldentwertung beschließt er Anfang 1923, wie eine Generation zuvor seine Mutter und ihre Schwestern nach Amerika auszuwandern. Sein Onkel David Dangel, der in Wilmington im US-Bundesstaat Delaware ein Baugeschäft aufgebaut hat, schickt ihm die Einreisepapiere, inklusive Bürgschaft für die Überfahrt.
Doch gerade als die Würfel gefallen scheinen, kommt es erneut anders. Johanns Polizei-Freund Willy Kuhn hat sich verlobt und bittet ihn, sein Trauzeuge zu sein. Die Hochzeit findet in Neuruppin in der Mark Brandenburg statt. Als Tischdame wird ihm Anna Kegel zugeteilt, eine Freundin der Braut. An jenem Abend entsteht eine Liebe, die bis an beider Lebensende gewahrt bleibt und gelebt wird. Die begehrten Einreisepapiere für die USA tritt Johann daraufhin an seinen jüngeren Bruder August ab.
Johann, der zwischenzeitlich von Oldenburg zur Revier-Hundertschaft der Ordnungspolizei nach Delmenhorst wechselt, heiratet Anna am 6. Juni 1925 in Neuruppin. Beide beziehen eine Wohnung in Delmenhorst, wo im August 1926 der älteste Sohn Wolfgang geboren wird. Später arbeitet Johann wieder in Oldenburg, als Hauptwachtmeister der Gendarmerie-Bereitschaft. Weil der Freistaat Oldenburg aus Kostengründen Beamtenstellen einspart, wird sein Dienstverhältnis 1929 nicht verlängert. Deshalb zieht die junge Familie nach Neuruppin, wo Johann bald darauf im nahegelegenen Rathenow eine Anstellung als Buchhalter bei der Firma Emil Busch Optische Industrie findet.
Einige Zeit nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 kehrt Johann in den mittlerweile gleichgeschalteten Polizeidienst zurück. Er arbeitet zunächst in Neuruppin und dann bei der Kriminalpolizei in Berlin, bevor er im Frühjahr 1939 auf eigenen Wunsch nach Bremen versetzt wird und mit Anna und Wolfgang im Stadtteil Oberneuland wohnt. Sein Dienstbereich beschränkt sich in dieser Zeit nicht nur auf Bremen, sondern auf den gesamten Gau Weser-Ems.
Knapp anderthalb Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs steht die nächste Versetzung an, dieses Mal nach Plön in Schleswig-Holstein. Weil für die Familie am neuen Dienstort nicht sofort eine Wohnung verfügbar ist, zieht Anna – hochschwanger und kurz vor der Entbindung stehend – mit Wolfgang zu ihren Eltern nach Neuruppin. Dort kommt im Februar 1941 der zweite Sohn Peter zur Welt. Kurz darauf zieht Anna mit beiden Kindern ebenfalls nach Plön.
Im November 1942 – Anna ist mittlerweile ein drittes Mal schwanger – erhält Johann seine Einberufung zur Wehrmacht. Weil sich die alliierten Bombenangriffe auf den Reichskriegshafen in Kiel mittlerweile bis auf den Kreis Plön ausweiten, schickt er Anna mit den beiden Kindern erneut zu seinen Schwiegereltern nach Neuruppin. Die damals rund 25.000 Einwohner zählende Kreisstadt wird somit im Dezember 1942 auch für den dritten Sohn Klaus zum Geburtsort. Johann kämpft derweil an der Ostfront gegen die nach der Schlacht von Stalingrad stetig nach Westen vorrückende Rote Armee.
Am 20. März 1944 wird Johann in der Nähe der ukrainischen Stadt Radywyliw durch einen Becken-Steckschuss schwer verwundet. Von der Front wird er mit einem Verwundeten-Transport nach Hof verlegt. Nach der Genesung kehrt er auf seinen früheren Dienstposten nach Plön zurück, wohin ihm Anna mit den beiden jüngeren Kindern alsbald folgt. Der älteste Sohn Wolfgang wurde in der Zwischenzeit zum Hilfsdienst bei der Kriegsmarine verpflichtet, übersteht die letzten Monate bis zur bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 aber wie der Rest der Familie unversehrt.
Nach Kriegsende verlässt Johann den Polizeidienst und arbeitet wieder als Buchhalter. Im Aufschwung der Wirtschaftswunder-Jahre genießt er es, seiner Familie endlich die Aufmerksamkeit widmen zu können, an der es zuvor dienst- und kriegsbedingt so häufig gefehlt hatte. Im Januar 1963 wechselt er dann in den Ruhestand. Im selben Jahr wird Enkeltochter Susanne geboren, vier Jahre später kommt Enkelsohn Mark Andreas hinzu. Mit den beiden Kindern seines Sohnes Peter verbringen Johann und Anna fortan viel Zeit.
Kurz vor dem 70. Geburtstag erleidet Johann zwei Herzinfarkte, von denen er sich zunächst nur langsam erholt. Um die danach in der Bewegung beeinträchtigte rechte Hand zu trainieren, rät ein Arzt ihm zu Zeichenübungen. Das bringt nicht nur die Genesung voran, sondern offenbart auch ein bis dahin nicht erkanntes Talent. Fortan zeichnet und malt Johann voller Leidenschaft in allen möglichen Techniken – ein Hobby, das ihn bis fast an sein Lebensende begleitet und ihn sich auch noch einmal mit der alten Heimat beschäftigen lässt: So fertigt er unter anderem großformatige Gemälde seines 1932 an Georg Wenke verkauften Geburtshauses in Lintel und der Huder Klostermühle.
Im Alter von 77 Jahren beginnt Johann damit, seine Lebenserinnerungen zu Papier zu bringen. Daraus entsteht ein Buch mit 720 Seiten, von dem jeder der drei Söhne sein eigenes handgeschriebenes Exemplar erhält. Als im August 1979 Ehefrau Anna stirbt, gibt er seine Wohnung in Plön auf und zieht nach Wahlstedt im Kreis Segeberg in die direkte Nähe seines Sohnes Peter. Dort stirbt Johann am 24. April 1981 und wird einige Tage später auf dem Osterfriedhof in Plön neben seiner geliebten Anna beigesetzt.