Lina Lampe – Biographie

Lina Annchen Lampe wird am 16. Januar 1916 als zehntes Kind von Hinrich Lampe und Mathilde Lampe auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Hans-Hermann und Wilma Vink) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Heinrich Lampe, Hermann Lampe, Sophie Plomp, Martha Vink, Georg Hinrich Lampe, Klara Schiller, Hermanda Blank, Alma Lampe und Hinrich Johann Lampe.

Im Januar 1916 geht der Erste Weltkrieg ins dritte Kalenderjahr. An der durch Flandern und die Champagne verlaufenden Westfront herrscht nach wie vor wenig Bewegung, der seit Herbst 1914 erstarrte Grabenkampf erlaubt keinerlei nennenswerte Geländegewinne. Im Osten hingegen rücken die seit Herbst 1915 durch bulgarische Einheiten verstärkten Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn nach ihrem Erfolg im Serbien-Feldzug weiter vor und nehmen auch Montenegro ein. Am 17. Januar 1916 legt die montenegrinische Armee die Waffen nieder, König Nikola I. flieht ins italienische Exil.

Bereits zwei Tage vor der Kapitulation Montenegros hat der Balkan-Zug seinen Betrieb aufgenommen. Er fährt zweimal in der Woche von Berlin nach Istanbul und zurück und ersetzt den seit Kriegsbeginn eingestellten Orient-Express. Dafür war sowohl der Kriegseintritt Bulgariens als auch der Sieg über Serbien zwingend notwendig – ansonsten hätte niemand für eine sichere Schienen-Verbindung zwischen der Hauptstadt des Osmanischen Reiches und seinen Verbündeten in Mitteleuropa garantieren können. Die erste Fahrt wird von entsprechend hohem propagandistischem Aufwand begleitet: Sachsens König Friedrich August III. steigt während der Fahrt durch sein Hoheitsgebiet zu, in der Presse erscheinen Jubel-Berichte und vielerorts säumen begeisterte Menschenmassen inklusive von ihren Lehrern dorthin abgeordneter Schulklassen die Halte-Bahnhöfe.

Propaganda spielt in allen am Krieg beteiligten Ländern ohnehin eine wichtige Rolle. Dazu gehört es auf deutscher Seite auch, die Erfolge des Ende Dezember 1915 von Wilhelmshaven aus im Atlantik auf Kaper-Tour gegangenen HilfskreuzersSMS Möve“ gebührend herauszustellen. Unter dem Kommando von Nikolaus Graf zu Dohna-Schlodien gelingt es der Mannschaft, zwischen Mitte Januar und Anfang März 1916 insgesamt 15 feindliche Schiffe aufzubringen. Mit 21 Dampfern und drei Segelschiffen noch erfolgreicher verläuft neun Monate später die zweite Atlantik-Fahrt, die die „SMS Möve“ bis vor die brasilianische und die südafrikanische Küste führt. Mit an Bord: ein Team des Bild- und Filmamtes, das die Ereignisse im Dokumentarstreifen „Graf Dohna und seine Möwe“ festhält. Er feiert am 2. Mai 1917 in Berlin Premiere und läuft danach auch in anderen Städten. In Oldenburg etwa gibt es vom 11. bis zum 21. Juni 1917 dreimal täglich eine von den örtlichen „Nachrichten für Stadt und Land“ massiv beworbene Vorstellung im Apollo-Kino.

Ob Linas Familie im 15 Kilometer entfernten Lintel davon etwas mitbekommt, lässt sich nur vermuten. Ihr Alltag ist jedoch angesichts von Mangelwirtschaft und gerade überstandenem Steckrübenwinter mit Sicherheit um einiges trister, als es Propaganda-Filme in all ihrer Verlogenheit zeigen würden. Immerhin: Dank der eigenen, rund vier Hektar großen Landwirtschaft muss auf dem Lampe-Hof niemand hungern. Vater Hinrich, 1870 geboren und nebenbei als Hausschlachter und Schuster tätig, bleibt zudem allem Anschein nach von einer Einberufung zum Kriegsdienst verschont. Ob dies auch für die beiden ältesten, 1898 und 1900 geborenen Söhne gilt, ist in der Familie nicht mehr bekannt.

An das Kriegsende im November 1918 dürfte Lina – wenn überhaupt – als knapp Dreijährige nur vage Erinnerungen haben. Umso mehr bleibt ihr vermutlich ein Unglücksfall im Gedächtnis, der sich nur wenige Monate nach ihrer Einschulung in die Volksschule Lintel ereignet: Im Juli 1922 stirbt der zweitälteste, als Maurer arbeitende Bruder Hermann auf einer Baustelle an einem Stromschlag. Ihren drittältesten Bruder Georg Hinrich wiederum hat Lina nie kennengelernt – er ist bereits sieben Monate nach seiner Geburt im März 1906 an Brechdurchfall gestorben.

Wie überall in der neugegründeten Weimarer Republik sind die frühen 1920er Jahre auf dem Lampe-Hof von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Hyperinflation geprägt. Ein Umfeld, dem mit Sophie, Martha und Klara gleich drei von Linas Schwestern durch die unter jungen Frauen damals stark verbreitete Hollandgängerei zu entfliehen versuchen. Ein Gesprächsthema, das zwischen Lina und ihren gleichaltrigen Mitschülerinnen Erna Knutzen, Else Nutzhorn und Emma Runge auf dem Pausenhof oder bei Verabredungen zum Spielen in der knapp bemessenen Freizeit vermutlich immer mal wieder aufkommt.

Über besondere Ereignisse in Linas Leben nach Schulentlassung und Konfirmation ist in der Familie nur noch wenig bekannt. Sie wohnt und arbeitet weiter auf dem elterlichen Hof, den später einmal der zwei Jahre ältere Bruder Hinrich Johann übernehmen soll. Überliefert ist, dass sie sehr früh ernstlich erkrankt, möglicherweise an Leukämie. Lina stirbt am 8. Februar 1941 – anderthalb Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und nur drei Tage nach ihrer Mutter Mathilde – und wird zwei Tage später mit dieser zusammen auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.