Lina Schütte – Biographie

Anna Caroline Schütte – Rufname Lina – wird am 22. November 1890 als zweites Kind von Hinrich Friedrich Wenke und Johanne Margarete Wenke in Neuenkoop geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Hinrich Diedrich Wenke und die ältere Schwester von Heinrich Diedrich Wenke, Anna Harms, Frieda Louise Wenke und Heinrich Hermann Wenke.

Einen Tag nach Linas Geburt stirbt auf Schloss Het Loo mit Wilhelm III. der seit 41 Jahren regierende König der Niederlande. Ein Tod, der nicht sonderlich viel Betroffenheit auslöst: Wilhelm – von seinen Landsleuten wegen unkontrollierter Wutausbrüche und zahlreicher Affären als „König Gorilla“ geschmäht – gilt im Volk als ausgesprochen unbeliebt. Neben drei bereits verstorbenen Söhnen aus der ersten Ehe mit seiner Kusine Sophie von Württemberg und Tochter Wilhelmina aus der zweiten Ehe mit der 42 Jahre jüngeren Prinzessin Emma zu Waldeck und Pyrmont hat er mindestens elf weitere unehelich gezeugte Kinder, die aus diesem Grund in der Erbfolge keine Rolle spielen. Zur rechtmäßigen Nachfolgerin wird die erst zehnjährige Wilhelmina ausgerufen, bis zur Volljährigkeit vertreten durch ihre 32-jährige Mutter.

Für Politik hat sich Wilhelm nur in den Anfängen seiner Regentschaft interessiert. Im ursprünglichen Glauben, wie Großvater Wilhelm I. weitgehend absolutistisch regieren zu können, steht er der 1848 unter dem Eindruck der europäischen Revolutionsbewegung liberalisierten Verfassung des Landes zeitlebens ablehnend gegenüber und versucht deren demokratische Errungenschaften nach seiner Inthronisierung rigoros zurückzudrängen. Als dies misslingt, wendet er sich zunehmend den aus seiner Sicht angenehmeren Dingen des Lebens zu – bis er ab 1887 mehr und mehr in Demenz verfällt.

Wilhelms Witwe Emma ist das desolate Ansehen des Königshauses durchaus bewusst. Auf zahlreichen mit Wilhelmina unternommenen Reisen sucht sie deshalb in den folgenden Jahren immer wieder den Kontakt zum einfachen Volk. Tatsächlich gelingt es ihr so, zumindest ein Stück weit Vertrauen in die Monarchie zurückzugewinnen. Als Wilhelmina schließlich am 6. September 1898 ihr Amt antritt, wird sie – obwohl als erste Frau auf dem Oranier-Thron nicht unumstritten – weitgehend akzeptiert.

Gänzlich anders stellt sich die Situation im Großherzogtum Luxemburg dar, das Wilhelm III. bis zu seinem Tod in Personalunion mitverwaltet hat. Dort gilt das salische Erbfolgerecht, welches Frauen grundsätzlich von einer Regentschaft ausschließt. Folglich kommt es zu einem Wechsel der Herrscherfamilie: Statt der Oranier regiert dort künftig das Haus Nassau-Weilburg – in Gestalt von Adolph, dem 1866 nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg abgesetzten Herzog von Nassau. Er wird am 23. November 1890 zum neuen Großherzog von Luxemburg erklärt.

Im Großherzogtum Oldenburg, dessen Herrscher trotz der zahlreichen Verflechtungen im europäischen Hochadel weder mit den Oraniern noch mit den Nassauern verwandt sind, dürfte keines der genannten Ereignisse auf sonderlich großes Interesse stoßen. Ganz sicher auch nicht in Linas Familie, über deren Lebensumstände heute nur noch wenig bekannt ist. Überliefert durch entsprechende Kirchenbuch-Einträge ist lediglich, dass ihr Vater als „Köther“ einen eigenen kleinen Hof bewirtschaftet und dass der nächstgeborene Bruder Heinrich Diedrich im April 1892 nur sieben Wochen nach der Geburt stirbt. Als Todesursache nennt das Kirchenbuch „Krämpfe“. Mit den übrigen vier Geschwisterkindern wächst Lina in den folgenden Jahren auf dem elterlichen Hof auf. Einer der beiden überlebenden Brüder wandert später in die USA aus, mit ihm wird Lina bis weit in die 1950er Jahre hinein in Briefkontakt stehen.

Nach dem Besuch der Volksschule in Neuenkoop geht Lina sehr wahrscheinlich irgendwo auf einem Bauernhof in der näheren Umgebung in Stellung. Vielleicht sogar in Lintel, denn von dort stammt ihr künftiger Ehemann Georg Hoffrogge. Er lebt mit seinen Eltern Heinrich und Meta Catharine Hoffrogge auf einem erst wenige Jahre zuvor gekauften Hof, den er als jüngster Sohn später einmal fortführen soll (heute: Herwig und Jens Pape).

Lina und Georg heiraten am 11. Juni 1914 in Hude – nicht ahnend, dass ein zur selben Zeit mit einigen Mitverschwörern von Belgrad nach Sarajevo reisender serbischer Nationalist namens Gavrilo Princip ihr Leben und das von Millionen anderen Menschen schon bald völlig auf den Kopf stellen wird: Sein Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand löst Anfang August 1914 den Ersten Weltkrieg aus. Ob Georg Hoffrogge gleich zu Beginn der allgemeinen Mobilmachung zur kaiserlichen Armee eingezogen wird, liegt heute im Dunkeln. Angesichts seines Geburtsjahrganges 1888 ist dies jedoch naheliegend, so dass Lina ihn fortan wohl nur noch selten zu Gesicht bekommt. Sie selbst bleibt in Lintel zurück und geht ihren Schwiegereltern bei der Bewirtschaftung des rund 12 Hektar großen Hofes zur Hand.

Irgendwann um den Jahreswechsel 1914/15 herum wird Lina schwanger. Am 11.September 1915 bringt sie Tochter Amanda zur Welt. Die Hoffnung, dass der Krieg endlich zu Ende gehen und ihren Ehemann nach Hause entlassen möge, erfüllt sich nicht. Im Oktober 1916 erreicht Lina stattdessen die traurige Nachricht, dass Georg den heftigen Kämpfen an der Ostfront zum Opfer gefallen ist. Ein ihr im Frühjahr 1917 mit einem von Kriegsminister Hermann von Stein unterzeichneten Begleitbrief zugestelltes Gedenkblatt, welches das Andenken an den „auf dem Felde der Ehre Gefallenen“ wachhalten soll, dürfte sie dabei kaum über den Verlust hinwegtrösten. Das Gedenkblatt selbst ist nicht erhalten, dürfe aber ähnlich aussehen wie jenes für Linas Linteler Nachbarn Hermann Quitsch, der nur anderthalb Wochen nach Georgs Tod im Kriegslazarett von Skopje an Malaria gestorben ist.

Mögen Lina und ihre Schwiegereltern zunächst auch vereint um Georg Hoffrogge trauern – was die Zukunft des ursprünglich ihm zugedachten Hofes betrifft, so stehen sie schon bald auf verschiedenen Seiten. Zwar ist das in der Gemeinde Hude geltende Erbfolgerecht längst nicht so streng und archaisch wie in der Frage, wer auf dem Thron des Großherzogtums Luxemburg sitzen darf und wer nicht. Gleichwohl kommen Frauen und Mädchen damals in der Landwirtschaft praktisch nur dann zum Zuge, wenn alle Möglichkeiten einer Vererbung an einen männlichen Nachkommen ausgeschöpft sind. Und das sind sie im Falle des Hoffrogge-Hofes nicht: Selbst für den Fall, dass Heinrich Hoffrogges zweiter, ebenfalls für Kaiser und Vaterland kämpfender Sohn Diedrich den Krieg nicht überleben sollte, so stünden mit dessen Söhnen Heinrich Georg und Hans zwei weitere potenzielle Erben bereit, ehe ihre und Georgs Tochter Amanda an der Reihe wäre.

Diese Zusammenhänge dürften Lina frühzeitig klar sein. Als Diedrich Hoffrogge, der vor dem Krieg in Lintel einen eigenen, aber deutlich kleineren Betrieb (heute: Gerrit und Linda Schlötelburg) bewirtschaftet hat, nach seiner Rückkehr Ende 1918 mit Ehefrau Anna und den insgesamt vier Kindern auf den Stammhof übersiedelt, räumt sie deshalb mit Amanda das Feld. Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse in der jungen Weimarer Republik folgen einige äußerst schwierige Jahre, in der Lina als alleinerziehende und -verdienende Mutter voll gefordert ist. Schweren Herzens, aber dennoch dankbar nimmt sie deshalb das Angebot ihrer inzwischen in Ochholt verheirateten Schwester Anna Harms an, Amanda bei sich aufzunehmen und gemeinsam mit ihrer nur wenige Jahre jüngeren Tochter Grete aufwachsen zu lassen.

Wann und bei welcher Gelegenheit Lina ihren zweiten Ehemann Hermann Schütte aus Reiherholz kennenlernt, ist in der Familie nicht überliefert. Hermann bewirtschaftet zusammen mit seinen Eltern Gerhard und Johanne Schütte einen kleinen Hof an der Linteler Straße (heute: Gerd Moorbeck). Lina heiratet ihn am 12. Januar 1933 – zu einem Zeitpunkt also, an dem die von vielen Bürgern ungeliebte Weimarer Republik ein weiteres Mal mit großen wirtschaftlichen Problemen kämpft. Mit politisch fatalen Folgen: Nur zwei Wochen nach Linas Hochzeit tritt mit dem Kabinett von Reichskanzler Kurt von Schleicher die 20. Staatsregierung innerhalb von 14 Jahren zurück und ebnet damit am 30. Januar 1933 den Nationalsozialisten unter Adolf Hitler den Weg an die Macht.

Kurz nach ihrem 43. Geburtstag im November 1933 wird Lina noch ein zweites Mal schwanger, im September 1934 kommt Sohn Gerd zur Welt. Nur etwas mehr als fünf Jahre später ist sie dann schon Großmutter: Aus der im Januar 1938 geschlossenen Ehe von Tochter Amanda mit Heinrich Bruns aus Hude geht im April 1940 Enkel Heiko hervor. Eine Geburt, die Lina gedanklich 25 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzen dürfte, denn ähnlich wie 1915 befindet sich die Welt im Krieg – dieses Mal ausgelöst durch den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939. Anders als damals gibt es im engeren Kreis ihrer Familie jedoch keine Opfer zu beklagen. Schwiegersohn Heinrich Bruns gerät zwar in der Schlussphase des Krieges in amerikanische Gefangenschaft, kehrt aber schon im Sommer 1945 wohlbehalten nach Hude zurück.

Dem zweiten, im Januar 1945 geborenen Enkelkind Ilse folgt im August 1946 mit Egon das dritte. Nur drei Jahre darauf wird Lina durch den Tod von Hermann Schütte unvermittelt zum zweiten Mal Witwe. Zusammen mit Sohn Gerd – gerade konfirmiert und aus der Schule entlassen – sowie einzelnen Saisonkräften führt Lina den knapp zwölf Hektar umfassenden Hof daraufhin allein weiter. In den 50er Jahren übernimmt dann Gerd nach und nach die Regie. Hilfe von Lina und aus der Familie seiner Halbschwester Amanda bleibt dabei allerdings immer willkommen, insbesondere zur Erntezeit.

Da Gerd auch in den 60er Jahren unverheiratet bleibt und gesundheitliche Probleme hat, ist an eine wesentliche Vergrößerung des Hofes nicht zu denken. Als er am 3. Mai 1968 plötzlich stirbt, kommt das Ende abrupt: Bereits zwei Wochen später findet auf dem Schütte-Hof eine von Heinrich Degen durchgeführte Auktion statt, bei der Lina ihre Tiere und das gesamte Inventar versteigern lässt. Anschließend verpachtet sie das dazugehörige Land, bleibt aber auf dem Hof wohnen.

Lina stirbt am 12. Februar 1970 an Altersschwäche. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.