Mathilde Wesemann – Biographie

Mathilde Adele Wesemann wird am 12. Juni 1874 als zweites Kind von Hermann Diedrich Busch und Anna Catharina Busch auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Guido und Susanne Einemann) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Johann Diedrich Busch. Mit Bernhard Diedrich Busch, Johann Carl Busch, Gesine Catharine Bernhardine Knüppel, Hermann Diedrich Busch und Heinrich Georg Busch hat sie zudem noch fünf ältere Halbgeschwister aus der ersten Ehe ihres Vaters mit Gesine Schütte.

Zwei Tage nach Mathildes Geburt besteht die über den Mississippi River hinweg St. Louis im US-Bundesstaat Missouri mit East St. Louis in Illinois verbindende Eads Bridge den vielleicht wichtigsten Test vor ihrer Eröffnung. Ein von einem vorüberziehenden Wanderzirkus ausgeliehener Elefant überquert unter dem Jubel zahlreicher Schaulustiger die 624 Meter lange Brücke und vermittelt der zuvor überwiegend skeptischen Menge dadurch ein Gefühl von Sicherheit. Bestünde nämlich die Gefahr eines Einsturzes, so die übereinstimmende Meinung von Experten und Laien, hätte sich das als sehr instinktsicher geltende Tier dem Experiment verweigert.

Zweifel hatte es im Vorfeld reichlich gegeben. Denn das nach dem am Mississippi aufgewachsenen Ingenieur James Buchanan Eads benannte Bauwerk ist bei seiner Fertigstellung nicht nur die längste Bogenbrücke der Welt, sondern auch die erste auf Stahlträgern ruhende Brücken-Konstruktion dieser Größenordnung. Es ist zudem das erste Mal, dass Eads sich in diesem Metier versucht – zuvor hatte er unter anderem durch die Erfindung einer Taucherglocke und den Bau von Bergungs- und Panzerschiffen von sich reden gemacht. Um auch die letzten Bedenkenträger zu überzeugen, lässt Eads zwei Wochen nach dem Elefanten-Test 14 Lokomotiven gleichzeitig die untere, dem Eisenbahnverkehr vorbehaltene Ebene der Brücke befahren. Alles geht gut, und der feierlichen Einweihung am 4. Juli 1874 steht nichts mehr im Wege.

Seit der Erfindung der Eisenbahn stehen Ingenieure überall auf der Welt immer wieder vor der Herausforderung, Flüsse und andere natürliche Hindernisse zu überwinden. Im drei Jahre zuvor begründeten Deutschen Reich ist dies vor allem der Rhein. So entsteht zwischen 1871 und 1874 die Eisenbahnbrücke Wesel, die sich bei einer von Ufer zu Ufer reichenden Länge von knapp 400 Metern allerdings nicht mit der Eads Bridge messen kann. Immerhin wird für sie ebenfalls tonnenweise Stahl verwendet, während etwa die 1867 in Mathildes Heimat nahe der Landeshauptstadt Oldenburg errichtete Eisenbahnbrücke über die Hunte noch rein aus Holz erbaut ist. Etwas weiter im Nordwesten startet mit dem Bau der Emsbrücke Hilkenborg nahe Weener ebenfalls noch 1874 ein weiteres Verkehrsprojekt. Sie schließt bei ihrer Fertigstellung im November 1976 eine wichtige Lücke der Bahnstrecke Ihrhove–Groningen.

Bahnreisende, die fortan von Bremen aus über Leer die niederländische Provinz-Hauptstadt Groningen ansteuern (und natürlich auch alle anderen, die vielleicht schon in Oldenburg oder Zwischenahn aussteigen), fahren in weniger als zwei Kilometern Luftlinie am Hof von Mathildes Eltern vorbei. Sicher wird sie als Kind mit ihren Geschwistern oder Schulfreundinnen des Öfteren am Bahndamm stehen und staunend zuschauen, wie sich wieder einmal eine dampfende Lokomotive nebst angehängten Waggons lärmend ihren Weg durchs Reiherholz bahnt. Wobei 150 Jahre nach Mathildes Geburt nicht mehr 100-prozentig klar ist, mit wie vielen Geschwistern sie letztlich aufwächst: Die beiden jüngsten Kinder aus der ersten Ehe ihres Vaters sind 1865 und 1866 noch als Säuglinge verstorben, der älteste Halbbruder ist bereits 1857 geboren und hat den Busch-Hof Mitte der 1870er Jahre möglicherweise schon verlassen.

Sehr wahrscheinlich von 1880 an besucht Mathilde die gemeinsam mit dem Nachbardorf Hurrel betriebene Volksschule, wo unter anderem Bertha Galdas, Anna Voigt, Wilhelmine Voigt, Anna Katharine Wilkens und Gesine Wilkens zu ihren in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen gehören. Ob sie nach Schulabschluss und Konfirmation vorübergehend selbst ihr Elternhaus verlässt und irgendwo anders eine Stellung annimmt, liegt heute im Dunkeln. Allzu viel dürfte der damals noch recht kleine Hof nicht abwerfen: Vater Hermann Diedrich arbeitet neben der Landwirtschaft zusätzlich als Maler – ebenso wie sein im Oktober 1880 verstorbener Bruder Berend Busch, der darüber hinaus auch noch die zunächst von Mathildes Vettern Carl Busch (später Gastwirt in Hurrel) und Bernhard Busch weitergeführte Gastwirtschaft „Zur Eiche“ (heute: Klaus Rodiek) betrieben hat. Hermann Diedrich Busch wiederum hat in den Hof seiner ersten Frau Gesine eingeheiratet, wodurch der jüngste überlebende Sohn aus dieser Ehe – Johann Carl Busch – nach dem Tod der Mutter im März 1866 automatisch zum Grunderben wurde.

Indes, großes Interesse für die Landwirtschaft scheint Mathildes Halbbruder nicht aufzubringen, er lässt sich der Linteler Chronik von Walter Janßen-Holldiek zufolge auszahlen und verdient seinen Lebensunterhalt späteren Quellen zufolge als (weiter in Lintel ansässiger) Musiker. Ähnliches gilt für den anderen Halbbruder Bernhard Diedrich Busch, die später im Oldenburger Vorort Osternburg verheiratete Halbschwester Gesine Catharine Bernhardine und den älteren Bruder Johann Diedrich Busch. Letzterer schlägt die Lehrer-Laufbahn ein und unterrichtet nach dem Examen unter anderem in Rüstringen und Bad Pyrmont. So kommt es, dass als Hof-Nachfolgerin lediglich Mathilde zur Verfügung steht.

Mit Johann Hermann Wesemann aus Hude findet Mathilde um die Jahrhundertwende herum den dazu passenden Partner. Aus der im März 1903 geschlossenen Ehe gehen mit Hermann Diedrich (Dezember 1903) und den Zwillingsschwestern Hermanda und Alma (August 1907) insgesamt drei Kinder hervor. Ein halbes Jahr vor der Geburt der beiden Töchter ist Mathildes Vater Hermann Diedrich verstorben. Es bleibt innerhalb der Familie in jener Dekade leider nicht der einzige Todesfall: Am 14. Juni 1908 stirbt auch der vierjährige Sohn Hermann Diedrich.

Über die folgenden Jahre in Mathildes Leben ist nur wenig überliefert. Unklar ist beispielsweise, ob Ehemann Johann Hermann am im August 1914 ausbrechenden Ersten Weltkrieg teilnimmt. Sollte dies der Fall sein, liegt die Bewirtschaftung des Wesemann-Hofes – unterstützt von Mutter Anna Catharina – zwischenzeitlich weitgehend in ihrer Hand. Darüber hinaus sind im erweiterten Familienkreis, allerdings nicht kriegsbedingt, zwei weitere Todesfälle zu beklagen: Halbbruder Bernhard Diedrich stirbt im Mai 1915 an einem Darmkatarrh, Bruder Johann Diedrich im August 1918 an Magenbluten.

Mit dem Waffenstillstand von Compiègne endet drei Monate später das mörderische Völkerschlachten, vorausgegangen sind die Flucht von Kaiser Wilhelm II. in die Niederlande und die Ausrufung der Weimarer Republik. Ereignisse, die sicher auch in Lintel für Gesprächsstoff sorgen. Genauso wie im Folgejahr der der neuen Regierung aufgezwungene Friedensvertrag von Versailles. Die wirtschaftlichen Folgen des verlorenen Krieges sind – allen voran durch die erst 1923 ihren Höhepunkt erreichende Hyperinflation – noch über Jahre hinaus zu spüren.

Mathilde übersteht diese sorgenvolle Zeit gemeinsam mit Ehemann Johann Hermann, den beiden Töchtern und Mutter Anna Catharina. Letztere stirbt im Februar 1927 an Altersschwäche. Zwei Jahre später kommt durch die Hochzeit von Tochter Hermanda mit Georg Einemann aus Kirchhatten ein Schwiegersohn auf den Hof, im Juni 1931 dann wird Mathilde mit der Geburt von Enkelsohn Günter zum ersten Mal Großmutter. Im Oktober 1932 heiratet die zweite Tochter Alma Hermann Wenke aus Köterende und zieht auf dessen Hof in der Wesermarsch.

Als die weiteren Enkelkinder Horst, Ilse und Erwin hinzukommen, ist die Weimarer Republik bereits Geschichte. Seit Anfang 1933 regieren die durch die Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise an die Macht gespülten Nationalsozialisten das Land und stürzen es unter ihrem Führer Adolf Hitler sechs Jahre später in einen neuen, noch verheerenderen Weltkrieg. Elf Wochen nach dem deutschen Überfall auf Polen, am 25. November 1939, muss Mathilde Ehemann Johann Hermann zu Grabe tragen lassen. Sie selbst stirbt am 27. April 1940 an einem Magengeschwür und wird vier Tage später neben ihm auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.