Anna Geerken – Biographie

Anna Rebecca Geerken wird am 13. Dezember 1864 als viertes Kind von Berend Galdas und Beta Margarete Galdas auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Otto Drieling) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Claus Galdas, Meta Braun und Adeline Drieling und die ältere Schwester von Gesine Dangel, Johann Galdas, Catharine Bellanga, Mathilde Sommerlott, Bertha Galdas und Karl Bernhard Galdas.

Zwei Tage nach Annas Geburt beginnt im Amerikanischen Bürgerkrieg die Schlacht von Nashville. Dabei stehen rund 60.000 Nordstaatler unter General George Henry Thomas 40.000 von General John Bell Hood befehligten Südstaatlern gegenüber. Die Kämpfe beginnen am frühen Morgen des 15. Dezember 1864 und dauern bis zum Anbruch der Dämmerung. Am nächsten Tag kommt es bereits morgens um 6 Uhr zu ersten Gefechten. Indem er mehrere Scheinangriffe durchführen lässt, gelingt es Thomas mit einem Teil seiner Truppen, den Gegner zu umgehen und ihm in den Rücken zu fallen. Hoods Männer leisten noch bis zum späten Nachmittag Widerstand, dann jedoch brechen ihre Linien zusammen. Tausende Soldaten ergeben sich oder fliehen – von Thomas‘ Armee verfolgt – nach Tupelo im Bundesstaat Mississippi.

Weiter östlich setzt zur gleichen Zeit Nordstaaten-General William Sherman seinen am 15. November begonnenen Marsch zum Meer fort. Gemäß der Strategie der verbrannten Erde hinterlässt er von Atlanta kommend eine Schneise der Verwüstung, die den Gegner von jeglichem Nachschub abschneiden und zudem die einheimische Bevölkerung demoralisieren soll. Ziel ist die Hafenstadt Savannah, die Sherman am 21. Dezember kampflos einnimmt. „Ich erlaube mir, Ihnen die Stadt Savannah als Weihnachtsgeschenk zu überreichen, mit 150 schweren Geschützen, einer Menge Munition und rund 25.000 Ballen Baumwolle“ telegraphiert er anschließend an Präsident Abraham Lincoln. Von da an ist der schon mehr als dreieinhalb Jahre dauernde Bürgerkrieg so gut wie entschieden, bis zur Kapitulation von Südstaaten-Oberbefehlshaber Robert Lee bei Appomattox Court House vergehen nur noch wenige Monate.

Das noch von einigen nachgelagerten Gefechten begleitete Ende des Krieges am 9. April 1865 und die Ermordung Lincolns durch den mit den Südstaaten sympathisierenden Schauspieler John Wilkes Booth fünf Tage später produziert weltweit Schlagzeilen. Auch in Annas Heimatdorf Lintel könnte beides durchaus für Gesprächsstoff sorgen – spielen doch in jenen Jahren angesichts der meist bescheidenen Lebensverhältnisse und der ganz allgemein nur geringen Entfaltungsmöglichkeiten in Deutschland diverse Dorfbewohner mit dem Gedanken, in die USA auszuwandern. Zu jenen Lintelern, die diesen Plan 1865 schon in die Tat umgesetzt haben, gehört mit Bernhard Petershagen ein früherer Mitschüler von Annas Mutter Beta Margarete. Bernhards Eltern Johann Hinrich und Gesche Margarete Petershagen sowie seine Schwestern Maria Christina, Meta und Catharine Hermine werden es ihm nur wenige Jahre später nachtun.

Wann in Annas Familie der Gedanke an eine Auswanderung zum ersten Mal konkret wird, lässt sich nur vermuten. Da bis auf den jüngsten Bruder Karl Bernhard – er stirbt im November 1877 nur sechs Wochen nach der Geburt – alle Geschwisterkinder das Erwachsenenalter erreichen und der am Rande des Schnitthilgenloh gelegene Galdas-Hof zu den eher kleineren Betrieben des Dorfes gehört, braucht es jedoch nicht viel Phantasie sich vorzustellen, dass er früher oder später aufkommt. Doch in den 1870er Jahren, in denen das neugegründete Deutsche Reich dank der nach dem Deutsch-Französischen Krieg gezahlten Reparationen zunächst einen kräftigen Aufschwung erlebt und anschließend mit dem Gründerkrach eine schwere Wirtschaftskrise, ist es sehr wahrscheinlich noch nicht so weit. Anna besucht in dieser Zeit die gemeinsam mit dem Nachbardorf Hurrel betriebene Volksschule, wo neben den 1863 und 1866 geborenen Schwestern Adeline und Gesine unter anderem Gesine-Marie Pralle, Meta Schweers, Sophie Voigt und Catharine Wilkens zu ihren in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen gehören.

Ob Anna nach Schulabschluss und Konfirmation zunächst weiter auf dem elterlichen Hof lebt oder andernorts in Stellung geht, liegt heute im Dunkeln. Dasselbe gilt für Ort, Zeit und Umstände der Begegnung mit ihrem künftigen Ehemann Diedrich Geerken. Kurz zuvor oder bald darauf ist allem Anschein nach Schwester Gesine das erste Familienmitglied, das die Hoffnung auf ein besseres Leben in den USA in die Tat umsetzt: Sie besteigt am 8. Februar 1890 den Schnelldampfer „Werra“ und erreicht nach elftägiger Reise New York. Möglicherweise macht aber auch die älteste, seit 1887 mit dem Oldenburger Schlachtermeister Adolf Braun verheiratete Schwester Meta den Anfang – das genaue Datum ihrer Auswanderung ist nicht überliefert.

Wann und wer auch immer: Die Berichte über die Neue Welt, die bald darauf Lintel erreichen, müssen derart euphorisch sein, dass nur ein Jahr später die Schwestern Mathilde, Catharine und eben Anna folgen. Letztere zusammen mit Catharine, aber ohne Diedrich Geerken – der offenbar verspricht, bei nächster Gelegenheit nachzukommen. In der alten Heimat übernimmt derweil Annas Bruder Claus den elterlichen Hof und arbeitet wie zuvor schon Vater Berend nebenbei als Zimmermann.

Wie es Anna in den folgenden Jahren in den USA ergeht, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Als einziges Dokument jener Zeit existiert ein in einem Studio in Philadelphia aufgenommenes Porträtfoto, das Anna entweder an ihre Eltern oder an Diedrich schickt. Die Neuigkeiten, die sie und ihre Schwestern im Gegenzug aus Lintel erreichen, werfen jedoch alle weiteren Zukunftspläne über den Haufen: Im Januar 1894 ist kurz vor ihrem 30. Geburtstag Meta Galdas gestorben, die Ehefrau von Bruder Claus. Ihr folgten innerhalb von nur zehn Tagen die gemeinsamen Söhne Bernhard und Heinrich und im März 1894 auch Claus selbst, so dass aus diesem Zweig der Familie nur die 1887 und 1888 geborenen Töchter Bertha und Hermine übriggeblieben sind.

Der einzige noch lebende Bruder Johann hat sich für eine Laufbahn beim Zoll entschieden, Schwester Adeline ist in Moorriem verheiratet und die jüngste Schwester Bertha arbeitet mittlerweile als Krankenschwester – die angesichts des vierfachen Verlustes tief betrübten Eltern stehen plötzlich ohne Hof-Nachfolger da. In dieser Situation trifft Anna die Entscheidung, in die Heimat zurückzukehren und an Claus‘ Stelle zu treten. Das genaue Datum ihrer Ankunft ist nicht bekannt, wohl aber jenes der Hochzeit mit Diedrich Geerken in Hude: Freitag, der 3. Mai 1895.

Aus der Ehe gehen mit Bernhard (März 1896), Johann (Januar 1897), Carl (Januar 1898), Ludwig (April 1901) und August (März 1903) insgesamt fünf Söhne hervor, die in den folgenden Jahren gemeinsam mit ihren Kusinen Bertha und Hermine auf dem durch die Heirat vom Galdas- zum Geerken-Hof gewordenen Anwesen in Lintel aufwachsen. Wenige Monate nach Bernhards Geburt stirbt im Juli 1896 Annas Vater Berend, Mutter Beta Margarete folgt im Juli 1903.

Wie Annas Alltag auf dem Geerken-Hof kurz nach der Jahrhundertwende aussieht, darüber wird ihr Sohn Johann mehr als 70 Jahre später in seinen Lebenserinnerungen ausführlich berichten. Daraus geht unter anderem hervor, dass Anna zeitlebens in engem Kontakt zur Schwester in Moorriem steht und dass um das Jahr 1903 herum noch einmal zwei der ausgewanderten Schwestern zu einem Besuch in Lintel weilen. Bald danach machen sich bei Anna die ersten Anzeichen einer Krankheit bemerkbar, unter der allein in Deutschland hunderttausende andere Männer und Frauen ihrer Generation leiden und gegen die es zur damaligen Zeit kaum ein Heilmittel gibt: Tuberkulose, im Volksmund auch Schwindsucht genannt. Sie bewirkt erst langsam, dann immer schneller körperlichen Verfall und verläuft unbehandelt fast immer tödlich.

Anna stirbt am 21. Juli 1908 im Alter von 43 Jahren. Beerdigt ist sie wenige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude – ein für die Hinterbliebenen höchst schwieriger und emotionaler Abschied, dem Sohn Johann in seinen Lebenserinnerungen ebenfalls breiten Raum widmet.