Einige rechtliche Anmerkungen zur Linteler Gedächtnis-Seite
„Hiermit untersage ich Ihnen ausdrücklich jede Veröffentlichung von Wort und Bild meine Mutter und meinen Vater betreffend, insbesondere natürlich auch diese ‘Biographie‘ meiner Mutter auf allen Internet-Plattformen. Sollten Sie sich nicht an dieses Verbot halten, dürfen Sie sich einer scharfen rechtlichen Auseinandersetzung sicher sein.“
Wer ohne Vorwarnung eine solche Mail (mit angeforderter Lesebestätigung) um die Ohren gehauen bekommt, hält erst einmal inne. Und rekapituliert dann noch einmal sehr genau, ob er das, was er da macht, eigentlich darf. Doch dazu später mehr. Zunächst einmal die Vorgeschichte, die zu dieser wenig erfreulichen Mail geführt hat. Sie beginnt mit einem Artikel in der Nordwest-Zeitung vom 24. November 2018. Er handelte vom örtlichen Ehrenmal mit den Namen von insgesamt 41 Hurreler Kriegsopfern, von denen zum damaligen Zeitpunkt erst 27 eine eigene Biographie auf der – für die Linteler Gedächtnis-Seite als Vorbild dienenden – Hurreler Gedächtnis-Seite erhalten hatten. Damit verbunden war ein Aufruf an die Leser, nach Möglichkeit etwas zur Vervollständigung der Lebensgeschichte der übrigen 14 Personen beizutragen.
Nur wenige Tage nach Erscheinen des Artikels meldete sich der im Ammerland wohnende Sohn eines dieser 14 Kriegsopfer. Ein Treffen schloss sich an – in einem wie in den meisten derartigen Fällen sehr angenehm verlaufenden Gespräch wurden die nötigen Details geschildert und diverse Fotos und Dokumente zum Einscannen übergeben. Dabei kam auch die Mutter zur Sprache, eine 2007 verstorbene gebürtige Hurrelerin. Ein Halbbruder wollte weitere Informationen und Fotos beisteuern, was auch postwendend geschah. Auf diese Weise entstanden zwei weitere Biographien für die Hurreler Gedächtnis-Seite, wie immer vor Veröffentlichung mit den Informationsgebern abgestimmt.
Dass es möglicherweise Probleme geben könnte, zeichnete sich kurz vor Fertigstellung der zweiten Biographie ab. Denn es leben noch zwei weitere Geschwisterkinder, von denen eines – eine ins Rheinland verzogene Tochter der Verstorbenen – dem Projekt offenbar äußerst ablehnend gegenüberstand. Selbstverständlich erhielt auch sie eine Vorabfassung des zur Veröffentlichung vorgesehenen Textes. Mit dem Resultat der angedrohten „scharfen rechtlichen Auseinandersetzung“. Womit wir wieder bei der eingangs gestellten Frage wären. Darf jemand einfach so Texte über verstorbene Personen verfassen, und vor allem: Darf er sie zusammen mit Fotos dieser Personen im Internet veröffentlichen?
Natürlich kommt einem bei diesen Fragen sofort die Datenschutz-Grundverordnung in den Sinn. Dieses seit Mai 2018 geltende, schon bei manchem ehrenamtlich Arbeitenden Verdruss auslösende Gesetz kann jedoch in der Schublade bleiben, denn es schützt ausschließlich die Privatsphäre lebender Personen.
Geht es um Verstorbene, gilt – zumindest in puncto Fotos – unverändert Paragraf 22 des Gesetzes betreffend des Urheberrechts an Werken der bildenden Künste und der Photographie. Dort heißt es: „Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von zehn Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten.“
Mit anderen Worten: Es ist im Jahre 2019 niemandem verboten, ein Foto einer 2007 verstorbenen Person zu veröffentlichen – es sei denn, das besagte Foto verletzt gemäß Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz die Menschenwürde dieser Person.
Für Texte gelten die Regelungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts. Auch hier spielt Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz die entscheidende Rolle: Die Ehre und das Ansehen von Verstorbenen sollen nach deren Tod geschützt werden – auch über den Ablauf von zehn Jahren hinaus. In gravierenden Fällen greift unter Umständen zusätzlich Paragraph 189 des Strafgesetzbuches: „Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Zum zeitlichen Horizont hat der Bundesgerichtshof 1989 in einem Urteil lediglich angemerkt, dass das Schutzbedürfnis „in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst“.
Etwas schwammig, keine Frage. Aber wie relevant ist das alles, bezogen auf die Linteler Gedächtnis-Seite? Möglichst vielen jemals in Lintel sesshaft gewesenen Menschen Gesicht, Gestalt und eine Biografie geben und sie vor dem Vergessenwerden bewahren, heißt es in der Rubrik „Wozu diese Webseite?“ als Ziel. Von Verunglimpfen steht da nichts.
Soweit zur rechtlichen Seite, die aber im Grunde genommen eher nebensächlich ist. Denn über allem steht der wichtigste Grundsatz, auf dem die ehrenamtliche Arbeit an der Linteler Gedächtnis-Seite ruht: Freiwilligkeit. Es gab in der Vergangenheit durchaus den einen oder anderen Fall, in dem im Vorfeld angesprochene Angehörige kein Interesse an einer Veröffentlichung hatten. Über die Gründe musste sich bislang niemand erklären und muss dies auch künftig nicht. Ist eine Gedächtnis-Seite für einen direkten Verwandten (Eltern, Kinder, Ehepartner) ausdrücklich nicht gewünscht, gibt es keine – so einfach ist das.
Es kann natürlich immer wieder einmal vorkommen, dass Angehörige sich in Bezug auf eine Veröffentlichung nicht einig sind. In diesem Fall muss jedoch niemand mit rechtlichen Schritten drohen. Ein freundliches „Ich möchte nicht, dass auf der Linteler Gedächtnis-Seite eine Biographie meiner Mutter/meines Vaters erscheint“ genügt völlig. Und hat am Ende die gleiche Wirkung.